Jörg Steegmüller macht, was ansonsten fast keiner macht: Er baut Figuren und Kulissen.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Heumaden - Die Jungbrunnen-Weiber haben Winterpause. Sie stehen in einer Fabrikhalle in Ruit, splitternackt, so wie Jörg Steegmüller sie einst geschaffen hat. Dabei hat sich der Mann aus Heumaden viel Mühe gegeben. Die Damen, die den Wunderbrunnen noch vor sich haben, sind lebensecht verrunzelt, die Zähne schief, das Haar ist fahl und grau. Die Jungen räkeln sich daneben mit Blumenschmuck und straffen Brüsten. Es sind die Jungbrunnen-Weiber aus dem Freizeitpark Tripsdrill in Cleebronn. Und Jörg Steegmüller nutzt die Winterzeit, um ihnen zu neuem Glanz zu verhelfen.

 

In Steegmüllers Atelier sind die Weibsen nicht die einzigen Gestalten. Der 37-jährige Kunsthandwerker stellt beispielsweise Karikaturköpfe von Stefan Raab, Verona Poth und Jürgen Trittin aus. Oder Chewbacca, den behaarten Riesen aus Star Wars, der sich als Kostüm anziehen lässt und sogar den Mund bewegen kann. Im Regal liegen Unterarme samt den Händen. Manche sehen ganz gewöhnlich aus, andere erinnern eher an Klauen. Das sind alles Werke von Jörg Steegmüller.

Der Heumadener macht, was ansonsten fast niemand macht. Er modelliert hauptberuflich Figuren und Kulissen, entweder aus seiner Fantasie heraus oder nach Wunsch. Steegmüller hat zum Beispiel für Roland Emmerichs „Der Patriot“ Häuser und Schiffe gebaut. Er hat sich das Werbekänguru vom Verkehrs- und Tarifverbund Stuttgart ausgedacht, aus seiner Werkstatt kommt außerdem das VfB-Maskottchen Fritzle.

Der Künstler arbeitet die ganze Zeit

Die Liste ist lang und länger. Jörg Steegmüller war deshalb seit 2009 nicht mehr im Urlaub. Aber das stört ihn überhaupt nicht. „Man würde das sicher gar nicht aushalten, wenn die Arbeit nicht so einen Spaß machen würde“, sagt er. Er kann schlichtweg nicht anders, „weil ich so glücklich bin“. Da klingt der Mann wie ein Kind.

Er sieht die Welt mit Kinderaugen. Das hat sich Jörg Steegmüller bis ins Erwachsenenalter bewahrt. Vielleicht, weil er nie etwas anderes getan hat. Die ersten Comics hat er als kleiner Junge gezeichnet. Pippi Langstrumpf, Biene Maja, Nils Holgersson – er hat diese Geschichten verschlungen. „Die kamen nicht nur von der Stange.“ Schaltet er heute den Kinderkanal ein, schaltet er bald wieder ab. „Das ist nichts für die Seele.“

Jörg Steegmüller ist staatlich geprüfter Grafikdesigner. Er wusste bereits während der Ausbildung, dass er kein Mann für die Werbung ist. Aber er hat sein Handwerk zunächst erlernt. Unter anderem auch bei seinem Vater in der Werkstatt. Der war selbstständiger Schauwerbegestalter, da gab es für den Jungen viel zu sägen und zu formen. Als er 19 Jahre alt war, hat er 300 Puppen für seinen Film namens „Spielball der Mächte“ produziert. An dem Projekt hat er sechs Jahre lang gearbeitet.

Aus dem Puppenproduzenten von damals ist ein Unternehmer geworden, der in ganz Deutschland, aber auch international Geschäfte macht. Die Konkurrenz ist mager. „Ich bin ein Exot“, sagt er.

Am liebsten nimmt Steegmüller Wachs

Damit aus den Jungbrunnen-Weibern Jungbrunnen-Weiber wurden, hatte Jörg Steegmüller einiges zu tun. Der Ablauf ist immer sehr ähnlich. Um Köpfe und Rümpfe zu formen, braucht es zunächst Bienenwachs, Ton oder Plastilin. Steegmüller verwendet am liebsten Wachs. Die Masse wird aufgetragen und modelliert, bis einen das gewünschte Gesicht anschaut. Der Umriss wird zum Beispiel in einer Silikonform verewigt, so dass sich hernach zig Abbildungen nachgießen lassen. Das Material hängt davon ab, ob die Figur Wind und Wetter abbekommen wird, ob sie im Wasser steht, oder ob sie sich bewegen kann.

In Ruit ist die Werkstatt, in der modelliert, geklebt, genäht und gemalt wird. In Scharnhausen hat Jörg Steegmüller ein Gästehaus. Dort wohnen Mitarbeiter, „wenn mal etwas Größeres geplant ist“, sagt er. Zum Beispiel habe jüngst eine Zoohandelskette wegen zehn Meter großer Leguane angefragt.

Er nutzt die Wohnung in Scharnhausen auch für seine kleine, private Ausstellung. „Hier trifft sich Hobby und Beruf“, sagt er. Gleich zu Beginn stellt sich einem Captain Hook in den Weg. Steegmüller hat ihn vor Jahren erschaffen, seit einiger Zeit trägt die Puppe die Originalkleidung aus dem Film. Den Hut mit den Federn, den hat Dustin Hoffman als Captain Hook getragen. Steegmüller hat die Sachen von einem amerikanischen Politiker gekauft.

Das hier ist seine Leidenschaft, die macht er nicht für Geld. „Captain Hook hat mich schon immer fasziniert“, sagt er. Die erste Hook-Marionette hat Steegmüller gebastelt, da war er sieben Jahre alt. Um die Ecke stehen Darth Vader in Rüstung und seine finsteren Kumpanen. Erschreckend echt, fast schon bedrohlich. Man kann die Lichter einschalten, und Darth Vader kann auf Knopfdruck sprechen. Daran hat Steegmüller ausgiebig gefeilt.

Das Archiv ist säuberlich abgeheftet

In demselben Zimmer sind auch die Schränke, in denen das Archiv lagert. Säuberlich abgeheftet in Ordnern. Mitte der 80er-Jahre hat Jörg Steegmüller angefangen, Geschichten für den Stoffaffen Fridolin zu erfinden. Irgendwann hat er einen Zeichentrickfilm vorbereitet und dafür 1000 Zeichnungen angefertigt.

„Als Junge wollte ich das eigentlich nur für mich und meine Freunde machen“, erzählt er. Doch es ist mehr daraus geworden – und das haben vermutlich alle geahnt, die ihn kannten. Dieser Jörg Steegmüller zeichnete einfach verdammt gut.

Dazu kommt, dass ihm Geschichten dazu einfallen. Seine Eltern haben ihm stets selbst Erfundenes erzählt, wenn Schlafenszeit war, sagt er. Er führt es fort. „Über die Comics und die erfundenen Geschichten definiere ich mich.“

Jörg Steegmüller hat als Kind spielen gelernt. Und er hat nie damit aufgehört.