Bei Andreas Hildebrand kostet ein Anzug mehrere Tausend Euro. Rund 60 Stunden Handarbeit stecken in Jackett und Hose. Dafür sei der unterschied zu einem Zweiteiler von der Stange so groß wie der zwischen einem Trabi zur S-Klasse, behauptet der Maßschneider.

Stuttgart - Für einen Maßanzug 4000 Euro und mehr, wenn es das mutmaßlich selbe für ein Zehntel von der Stange gibt? „Klar, denn der Unterschied ist so drastisch wie der zwischen einer S-Klasse und einem Trabi“, sagt Andreas Hildebrand. Der 26-Jährige hat jüngst sein eigenes Atelier in Stuttgart eröffnet. Gelernt hat der Mittzwanziger am Stuttgarter Staatstheater. Nach Stationen in Hamburg und Düsseldorf war er mit 24 Jahren Abteilungsleiter bei Breuninger in Stuttgart. Eine bemerkenswerte Karriere für jemanden, der vor einigen Jahren noch weniger als 500 Euro pro Monat verdient hat.

 

Mit 17 hat Andreas Hildebrand seine Ausbildung zum Schneidergesellen am Staatstheater begonnen – schon damals mit dem festen Ziel, sich spätestens zehn Jahre danach selbstständig zu machen. Einen Plan, den der eine oder andere damals belächelt haben mag. Heute aber steht der 26-Jährige in seinem frisch eingerichteten Atelier an der Schützenstraße. Hildebrand trägt einen schmalen Zweireiher und eine akkurat gebundene Krawatte. Ein seidenes Einstecktuch blitzt aus der Brusttasche. Sein Atelier ist fein eingerichtet – Parkett, große Spiegel, ein Samtsofa. Es liegen Bücher mit Stoffproben auf dem Tisch. „Der teuerste Stoff ist die Wolle von Vikunjas“, sagt er und fügt an: „Das ist eine seltene Art Lama, die in den südamerikanischen Anden lebt. Ein Meter dieses Stoffs von einer 1,40 Meter breiten Rolle kostet zwischen 3000 und 6500 Euro.“ Ein Mantel oder eine Jacke aus diesem extrem weichen Material liegt schnell im fünfstelligen Bereich. Doch in aller Regel ist der Arbeitsaufwand der Faktor, der einen Maßanzug teuer macht. „Rund 60 Stunden Handarbeit stecken in einer Kombination“, sagt der Schneider. Sogar die Knopflöcher sind von Hand genäht.

Vom Abteilungsleiter bei Breuninger in die Selbstständigkeit

Andreas Hildebrand hat während seiner Ausbildung im ersten Lehrjahr 470 Euro im Monat verdient. „Und das ist sogar viel“, sagt er, „die meisten Lehrlinge verdienen weniger als die Hälfte.“ Schon wenige Jahre später hat er bei Breuninger als Verantwortlicher für das Maßatelier des Warenhauses in Stuttgart ein mehr als anständiges Gehalt verbucht. Trotzdem folgte der Schritt in die Selbstständigkeit. „Ich will mein eigener Chef sein“, sagt er und fügt an: „Ich habe große Pläne.“ Expandieren will er, Filialen in anderen Städten eröffnen und einen Online-Shop eröffnen mit Accessoires, Regenschirmen, edlen Kaschmirpullovern und Schuhen.

Doch zunächst gilt es, den neuen Laden in Stuttgart zum Laufen zu bringen. „Ich will in Kürze mit der Produktion nichts mehr zu tun haben, sondern mich allein um das Geschäftliche und um die Kunden kümmern“, sagt der selbstbewusste Schneider. Zu diesem Zweck hat er bereits seine ersten Mitarbeiter angestellt. „Derzeit habe ich einen Schneider, er soll später meine Werkstatt leiten.“ Bald sollen in den beiden hinteren, mit Nähmaschinen und Bügelanlagen voll gestellten Räumen des Ateliers an der Schützenstraße vier oder fünf Schneider arbeiten.

Die Problemzonen werden kaschiert

Andreas Hildebrand hat sich auf das Thema Vollmaß konzentriert. Im Unterschied zu maschinell gearbeiteten Anzügen könne er die Problemstellen seiner Kunden kaschieren. Zunächst werden die Kunden vermessen. Danach folgen vier bis fünf Anproben, bis der Anzug perfekt sitzt. Die Kunden des Maßschneiders sind – allein schon den Preisen geschuldet – Vorstände, Geschäftsführer oder Manager. Sie kommen unter anderem aus der Immobilienbranche, der Autoindustrie oder der Finanzbranche. „Namen nenne ich natürlich nicht“, sagt Andreas Hildebrand.

Und die Konkurrenz in der Stadt? Mehr und mehr Läden in der Stadt bieten Maßanzüge für einige Hundert Euro das Stück an. „Das ist Maßkonfektion“, erklärt Hildebrand. Dabei werde ein vorgefertigter Anzug maschinell an die Vorgaben des Kunden angepasst. Da sei man nicht mehr beim Trabi, aber auch noch lange nicht bei der S-Klasse, sagt er. Und Hildebrands früherer Arbeitgeber? Breuninger hat mit viel Mühe das eigene Maßatelier gestärkt. „Ich sehe uns nicht als Konkurrenten. Wir haben doch eine recht unterschiedliche Klientel“, sagt der Schneider entspannt.