Unter normalen Umständen würde die Oberbürgermeisterwahl in Heilbronn jenseits der Region kaum beachtet werden. Doch der Lidl-Gründer und Mäzen Dieter Schwarz beeinflusst mit dem Votum für den SPD-Mann Mergel den Heilbronner Wahlkampf.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Heilbronn - Unter normalen Umständen würde die Oberbürgermeisterwahl in Heilbronn jenseits der Region kaum beachtet werden. Fünf Kandidaten bewerben sich am 16. März um die Nachfolge von Helmut Himmelsbach, der das Rathaus altershalber verlassen muss. Als Favoriten gelten zwei seiner Bürgermeister, beide Jahrgang 1956 und auch programmatisch nicht weit voneinander entfernt. Ein Duell zweier grauhaariger Verwaltungsprofis um den Chefsessel in einer 116 000- Einwohner-Stadt – das erscheint nicht übermäßig spannend. Doch es gibt drei besondere Umstände, die der OB-Wahl über Heilbronn hinaus Aufmerksamkeit verschaffen.

 

Da ist zum einen der Name des CDU-Kandidaten: Diepgen heißt er, wie einst der Regierende Bürgermeister von Berlin. Tatsächlich ist der Finanzbürgermeister Martin Diepgen (CDU) ein Halbbruder von Eberhard Diepgen, der ihn auch im Wahlkampf unterstützt. Als Regierender habe er seinen Bruder, einen „unabhängigen und bodenständigen Geist“, „oft um Rat gefragt“, bekennt er in dessen Prospekt.

Da ist, zum Zweiten, die Bedeutung der Wahl für die Südwest-CDU. Heilbronn ist die Heimatstadt des Landesvorsitzenden Thomas Strobl, dort sitzt er immer noch im Gemeinderat, den Ortsverband führt mit straffem Regiment sein Anwaltskollege Alexander Throm. Bei OB-Wahlen in den Oberzentren Baden-Württembergs tut sich die Partei schwer, wichtige Rathäuser hat sie in den letzten Jahren verloren. In Heilbronn will sie zeigen, dass sie noch gewinnen kann; entsprechend hoch ist der Einsatz. Klappt das nicht, hätte Strobl ein Problem.

Martin Diepgen zieht für die CDU in den Wahlkampf. Foto: dpa

Am spannendsten ist, just vor diesem Hintergrund, die dritte Besonderheit. Es handelt sich um einen unscheinbaren Eintrag in der Unterstützerliste des Sozialbürgermeisters Harry Mergel (SPD). Unter den 400 Heilbronnern, die sich auf dessen Internetseite für den altgedienten Kommunalpolitiker aussprechen, steht auch ein Dieter Schwarz. „Ich wähle Harry Mergel, weil er nach langjähriger Zusammenarbeit mit Oberbürgermeister Himmelsbach beste Erfahrungen für diese Arbeit mitbringt“, wird er zitiert. Darüber empfiehlt der einstige IG-Metall-Chef Klaus Zwickel den Genossen, darunter lobt ein „Gesamtkirchenpfleger“ die gute Zusammenarbeit mit ihm, beide samt Konterfei.

Der bildlose Zweizeiler gilt in Heilbronn gleichwohl als Sensation. Dieter Schwarz – das ist jener Unternehmer, der den Fruchtgroßhandel seines Vaters zum inzwischen größten deutschen Handelsunternehmen (Lidl, Kaufland) ausbaute, der damit zum mehrfachen Milliardär wurde – derzeit wird sein Vermögen auf mindestens 13 Milliarden Euro geschätzt –, der sich 1999 aus der operativen Konzernführung zurückzog und seither mit seiner Stiftung Gutes tut. Eine öffentliche Äußerung des heute 74-Jährigen, noch dazu zur Politik – das schien bisher unvorstellbar. Noch konsequenter als sein Unternehmen, das sich erst unter Druck zu einer gewissen Pressearbeit durchrang, mied Schwarz die mediale Öffentlichkeit. Bilder von ihm gibt es kaum, Interviews noch weniger. Auch als Mäzen, der 2007 für seine Verdienste zum Ehrenbürger ernannte wurde, hält er sich strikt im Hintergrund. Wie viele Millionen seine Stiftung für seine Heimatstadt ausgegeben hat, wird nicht verraten.

Viele nennen ihn den guten Paten von Heilbronn

Es müssen sehr viele sein. Ohne das Engagement von Dieter Schwarz, sagen Kenner, wäre Heilbronn heute eine mittelmäßige, glanzlose Stadt – und nicht die Boomtown, die landesweit ob ihrer Entwicklung bewundert und beneidet wird. Das Science-Center Experimenta, der moderne Bildungscampus, die private Hochschule für Unternehmensführung – das und mehr wurde erst durch die Millionen der Schwarz-Stiftung möglich, die vor allem das „lebenslange Lernen“ fördern will. Der weitere Ausbau der Wissensstadt ist fest geplant, allein die Experimenta soll ihre Fläche verdoppeln. Von Schwarz‘ Geld profitieren zudem die Kindergärten, die Kultur oder die Kilianskirche, deren Turm mit seiner Hilfe saniert wurde. Er sei „im positiven Sinne der Pate“ der Stadt, heißt es in Heilbronn.

Zunächst schien es ein schöner Coup für Harry Mergel zu sein, dass sich Schwarz als Unterstützer outete. Der Milliardär empfiehlt den Genossen – da staunten (und ärgerten sich) auch die Christdemokraten. Mit parteipolitischer Präferenz hat das Votum indes nichts zu tun: Als Geschäftsführer von Schwarz’ Stiftung fungieren ein einstiger CDU-Landrat und ein früherer SPD-Spitzenbeamter. Es geht um persönliche Wertschätzung, die aus langjähriger Bekanntschaft resultiert. Man trifft sich im Lions-Club Heilbronn-Franken, dem auch andere Mergel-Fans entstammen, plaudert am Rande von Konzerten, die Ehefrauen kennen und mögen sich. Schwarz’ Gattin Franziska erscheint sogar mit Foto auf der Liste der Anhänger wie auch der Stiftungsmanager Erhard Klotz (SPD).

Diesen soll Schwarz bei der OB-Wahl 1983 ebenso unterstützt haben wie bereits vor 15 Jahren Mergel, jedoch nicht offen. Ob und inwieweit er dem Sozialdemokraten heute auch finanziell unter die Arme greift, bleibt unklar. Mergel zeigte sich ob des prominenten Fürsprechers zwar „geehrt“, bemüht sich aber, diesen unauffällig in das „breite gesellschaftliche Bündnis“ seiner Anhänger einzureihen. Kritik an Schwarz’ Wahltipp höre er in Heilbronn nahezu gar nicht. Nur einmal wollte der Moderator einer Podiumsdiskussion wissen, ob er sich seinem Förderer als OB verpflichtet fühlen würde. „Die Frage ist unanständig“, erwiderte er gereizt.

Ein gewisses Unbehagen ist freilich zu spüren

Diskutiert wird sie in Heilbronn gleichwohl, allerdings ziemlich verdruckst. Öffentlich traut sich kaum jemand, ein kritisches Wort über den Wohltäter zu verlieren; dessen Verdienste sind schließlich unbestritten. Man möge sie bloß nicht zitieren oder namentlich nennen, bitten besorgte Gesprächspartner. Schwarz zu verprellen, könnten sie sich nicht leisten. Selbst die Lokalzeitung berichtete erst über die Empfehlung des Milliardärs, nachdem diese bereits landesweit Schlagzeilen gemacht hatte. Ein gewisses Unbehagen ist freilich zu spüren: Trotz aller Bescheidenheit im Auftreten, heißt es, wolle Schwarz nicht nur bezahlen, sondern auch mitbestimmen. Bei Mergel erhoffe er sich womöglich mehr Einfluss im Rathaus als bei Diepgen. Schon spötteln CDU-Leute, künftig müsse man den Namen der Stadt wohl mit dem schräg gestellten Lidl-„i“ schreiben, so wie jetzt schon die Experimenta. Die anfänglich irritierten Christdemokraten sehen Schwarz’ Rat zunehmend positiv: Er könne sogar ihrem Kandidaten nützen, denn die Bürger hätten ein feines Gespür für Abhängigkeiten.

So sieht das auch der Politikwissenschaftler Hans-Georg Wehling. „Das könnte kontraproduktiv sein“, sagt er mit Blick auf die Wahlhilfe. Die Menschen fühlten sich womöglich bevormundet und folgten der Empfehlung schon deshalb nicht. Zudem könne der Eindruck entstehen, „hier wolle sich jemand – in Anführungszeichen – seinen OB kaufen“. Wehlings Fazit: „Ich hätte da abgeraten.“ Andere Wahlkampfexperten teilen die Einschätzung: „Testimonials“ seien grundsätzlich zwiespältig, aber in diesem Fall besonders.

Zumindest im ersten Wahlgang, glauben Beobachter, könnte es einen lachenden Dritten geben: den spät ins Rennen gegangenen Wirt des Ratskellers, einen einstigen CDU-Stadtrat. Als dessen größtes Pfund gilt seine schon mehrfach bewiesene Unabhängigkeit.