Pfarrer Gerd Häußler von der Lukas-Lutherhausgemeinde hat Interessierten „sein“ Gemeindegebiet gezeigt. Dazu gehören auch die so unterschiedlichen historischen Quartiere Ostheim und Raitelsberg.

S-Ost - Eine florierende Stadt, immenser Siedlungsdruck durch Zuzug von Arbeitskräften, massiver Bedarf an „bezahlbarem Wohnraum“: Wie ähnlich doch die Problemlage im Abstand von mehr als einem Jahrhundert sein kann! Und wie unterschiedlich die Möglichkeiten für Lösungen, denn damals war noch reichlich Freifläche oberhalb des Kessels. Grünland, auf dem Kühe grasten, Bauern Ackerbau betrieben oder Gärtner Gemüse züchten. Wie auf dem zwölf Hektar großen Areal, auf dem sich heute ein lang gezogenes „Architekturdenkmal“ mit 350 Häusern befindet: die Siedlung Ostheim. Dieses „einzigartige Kleinod“ hat Pfarrer Gerd Häußler von der Lukasgemeinde vorgestellt.

 

Ohne Eduard Pfeiffer sähe es hier anders aus

Die Einführung am Westportal der Lukaskirche geriet dabei zu einer Hommage an Eduard Pfeiffer, ohne den das Quartier nicht entstanden wäre. Denn der 1835 geborene Bankier und Geschäftsmann hatte nicht nur 1863 den genossenschaftlichen „Stuttgarter Consum- und Ersparnisverein“ gegründet, sondern war später auch federführend bei der Gründung des „Vereins für das Wohl der arbeitenden Klassen“, der zum „Bauträger“ der Siedlung wurde. Nachfolger ist der Bau- und Wohnungsverein, dem noch heute große Teile Siedlung gehören.

Bei seinen Reisen, so Häußler, hatte Pfeiffer auch „die miserablen Wohnbedingungen der englischen Arbeiterschaft“ kennengelernt. Das nahm er als Mahnung und Auftrag zugleich: „Er war vernetzt mit Sozialreformern der Zeit, aber er war kein Revoluzzer. Ihm lag an der Verbesserung und Stabilisierung der Verhältnisse, deshalb sollte keine monotone Arbeitersiedlung entstehen“, sagte Häußler. Pfeiffer wollte, was man heute Durchmischung nennt: In der zwischen 1891 und 1901 gebauten „Colonie Ostheim“ sollten Arbeiter und Handwerker, Angestellte und Beamte nebeneinander wohnen. Eine Pioniertat war schon die Ausschreibung eines Architektenwettbewerbs. Dass die Typenbauten, die realisiert wurden, als solche kaum erkennbar sind, macht noch heute den äußeren Charme der Siedlung mit ihren rund 1300 Wohnungen aus: „Zwei Geschosse mit ausgebautem Dachgeschoss, standardisierte Grundrisse der Zwei-, Drei-Zimmerwohnungen, doch kein Haus gleicht dem anderen“, so Häußler.

Die Gärten in den Hinterhöfen begeistern

Die Details konnten dann besichtigt werden: farbliche Abwechslung bei den Klinkern und viele variable Details in der Fassadengestaltung mit Elementen, die von mittelalterlichem Fachwerk, Gotik, Barock und Renaissance bis zu Gußeisernem aus der Gründerzeit reichen. Zur Qualität kommt, was Brigitte Schwarz aus Botnang nach einem Blick in Hinterhöfe ausrief: „Wunderbar, was die für Gärten haben! Da kann man Urlaub machen.“

Die Frage einer Teilnehmerin, wie die Struktur der Bewohner heute sei, sagte Häußler: „Es gibt alte Leute, die von Geburt an hier wohnen.“ Seiner Beobachtung nach finde aber „ein Umbruch“ statt: „Ich glaube, dass der Stadtteil dabei ist, jünger zu werden. Studenten, junge Familien mit Kindern, auch wenn die Zimmer mit teils an heutige Bedürfnisse angepassten Zuschnitten nicht sehr groß sind. Reizvoll ist das Quartier auch wegen günstiger Mieten und natürlich wegen der schönen Gärten.“

Ein Vierteljahrhundert später wurde der Wohnungsdruck baulich ganz anders beantwortet: fünfgeschossig, in langen Zeilen von Geschossbauten, wie dann in „RiO“, in Raitelsberg im Osten, zu besichtigen war. Dass dabei Pfeiffers Ansatz des sozialen Ausgleichs bis heute eine Aufgabe geblieben ist, machte Karin Dünkel, die Leiterin des dortigen Begegnungszentrums, deutlich: „Die Leitlinie unserer Gemeinwesenarbeit ist Internationalität, Toleranz und Gleichbehandlung aller. Und im Großen und Ganzen funktioniert das auch.“