Systemgastronomie gilt derzeit als Allheilmittel der Branche: Auch in Stuttgart gibt es mittlerweile einige Restaurants mit diversen Filialen. Die Chefs des Sultan Saray und des Il Pomodoro sprechen über Vor- und Nachteile.

Stuttgart - Eigentlich müsste Michele Compagnoni stinksauer sein. Während andere Urlaub machen, wurde er zum Arbeiten nach Stuttgart beordert. Compagnoni sitzt aber beneidenswert entspannt in der Il-Pomodoro-Niederlassung im Süden und plaudert über die Vorzüge von gelber Tomatensoße. So entspannt kann man wohl nur sein, wenn man für eine Gastrokette mit mittlerweile vier Ablegern verantwortlich zeichnet. Dabei hört der 47-Jährige den Begriff nicht gerne. „Mit einer Kette assoziiere ich seelenlose Restaurants gleicher Bauart, denen es an Individualität fehlt. Das sind wir hoffentlich nicht.“

 

Systemgastronomie gilt derzeit als Allheilmittel der Branche. Hat man das nötige Startkapital, kann es deutlich günstiger sein, anstelle von 40 Stühlen gleich 1000 Stück zu ordern und ein erfolgreiches Konzept in verschiedenen Städten zu etablieren. McDonald’s und Co. haben das System einst aus Amerika nach Europa gebracht. Vapiano gilt derzeit als das Erfolgsmodell der Branche, dem andere hinterhereifern.

In Stuttgart gibt es mittlerweile auch einige Restaurants mit diversen Filialen. Das Sultan Saray etwa, die Kette San’s oder eben das Il Pomodoro. In der neuen Food Lounge in den Königsbau-Passagen buhlen ebenfalls gleich mehrere Ketten um Kunden. Michele Compagnoni setzt genauso auf den Widererkennungswert wie die großen Player. Speisen und Preise gibt er den Filialen vor, nur in der Wochenkarte dürfen die Betreiber Eigenständigkeit beweisen. „Dennoch ist das Il Pomodoro für mich keine Systemgastronomie. Ich lasse nur gute Freunde oder ehemalige Mitarbeiter das Label verwenden“, sagt er. Er habe viele Anfragen „von irgendwelchen Italienern, die auch ein Il Pomodoro aufmachen wollen. Das lehne ich dann aber dankend ab.“

Compagnoni selbst ist in Stuttgart geboren, lebt aber mittlerweile das halbe Jahr in Apulien. Gelernt hat er unter anderem im Ratskeller: „Dabei durfte ich Manfred Rommel persönlich bedienen, aber auch ganze Busladungen voller Rathausbesucher.“ Mit 19 eröffnete er sein erstes Restaurant in Fellbach. „Damals wussten die Deutschen noch nicht, was Rucola ist. Es musste viel Sahne in der Soße sein. Heute wird das entschieden abgelehnt.“ Das Il-Pomodoro-Stammhaus am Wilhelmsplatz hat Compagnoni 1996 eröffnet. „Weitere Filialen waren keine Absicht, sondern haben sich so ergeben, weil sich Mitarbeiter selbstständig machen wollten“, so Compagnoni. Den Erfolg macht er aber auch am Unterschied zur italienischen Konkurrenz fest. „Die meisten Restaurants in Stuttgart sind sehr chic, bezahlbare Hausmannskost gibt es dagegen eher selten.“

Sein Thema ist der Orient

Eine Marktlücke glaubt auch Erkan Erkul für sich entdeckt zu haben. Sein Thema ist der Orient, modern interpretiert. „Ohne Beduinenzelt“, sagt der smarte Unternehmer mit türkischen Wurzeln und Sozialisation in Bad Cannstatt beim leichten Lunch. Statt auf Döner setzt er auf die Vorspeisenkultur der Mezze und auf Grillgerichte wie im südlichen Mittelmeerraum, die der Gast aus mehreren Komponenten selbst zusammenstellt.

Erkul kommt nicht aus der Gastronomie, sondern aus der Betriebswirtschaft. Ein Jahr lang hat der Quereinsteiger an seinem Konzept gefeilt. Als Versuchslabor hat er neben dem Büro an der Immenhofer Straße im Süden das erste Yaz eröffnet. Der kleine Imbiss im schicken orangebraunen Outfit hat planmäßig Ende Juli geschlossen, dort finden künftig nur Schulungen statt. Am 27. September eröffnet Erkul sein deutlich größeres Restaurant an der Calwer Straße.

Er plant langfristig: In zehn Jahren will er mit seinem Co-Geschäftsführer Kivanc Semen „50 Metropolstädte“ erschlossen haben. Rund 20 Geldgeber, vom Unternehmer bis zum Bankenkonsortium, hat er für seine Idee gewonnen. Vorsitzender des Beirats ist sein früherer Vorgesetzter, der Ex-IBM-Manager und ehemalige VfB-Präsident Erwin Staudt.

Zwitter aus Selbstbedienung und klassischem Service

Im Yaz erwartet die Kunden ein Zwitter aus Selbstbedienung und klassischem Service. Der Gast bestellt beim „Kassenbetreuer“ am Tresen. Dann sucht er sich einen Platz, während der „Küchenassistent“ sein Steak im Hochleistungsofen in fünf Minuten brutzelt und ins Yufka-Brot füllt. Ein Spezialchip im Tablett erkennt, wo der Besteller sitzt, das Gericht wird an den Tisch gebracht – und später vom „Spülexperten“ sauber gemacht. Die Begriffe mögen spitzfindig sein, für Erkul gehören sie zum Wohlfühlkonzept. Bei dessen Erläuterung wird er philosophisch: „Wo beginnt das Gastsein? Bin ich mein eigener Bediensteter?“

Der Sprecher der Geschäftsführung bei der Yaz GmbH & Co. KG hält den Siegeszug der Systemgastronomie für unumkehrbar – und untermauert diese These mit Zahlen. Das Marktvolumen liege in Deutschland bei inzwischen elf Milliarden Euro (2011), davon erwirtschafteten allein die Döner-Buden drei Milliarden. Die klassische Gastronomie schrumpfe dagegen stetig und liege nur noch bei 19 Milliarden Euro (2011). Schuld daran ist in Erkuls Augen der „entstrukturierte Alltag“. Schnelle Snacks anstelle von Hauptmahlzeiten seien „das neue Normal“. Erfolg habe in der umkämpften Branche nur, wem es gelinge, das schlechte Image der Systemgastronomie zu durchbrechen: mit Gerichten aus hochwertigen Zutaten, frisch zubereitet. Erste Nagelprobe fürs neue Yaz: die Stoßzeiten am Mittag.