Volker Nitschmann hat es in die Kälte und den vergessenen Osten Grönlands verschlagen. Von hier aus verkauft der Neuffener Sonderbriefmarken in die ganze Welt.

Tasiilaq/Neuffen - Es braucht etwas Ausdauer, um auf Tasiilaqs Hausberg Qaqqartivakajik zu steigen. Volker Nitschmann hat an seinem freien Tag die Schneeschuhe unter die Winterstiefel geschnallt, den Tagesrucksack geschultert und sich auf den Weg gemacht. Der führt zwei Stunden durch das lang gestreckte Blumental, dann eine weitere Stunde über einen steilen Sattel aufwärts, 679 Höhenmeter. Nur von oben könne man wirklich begreifen, wo er jetzt zuhause sei, sagt Nitschmann.

 
Volker Nitschmann Foto: privat

Auf dem Gipfel lässt er das Panorama seiner neuen Heimat für sich selbst sprechen: Tief unten liegen die Holzhäuser des Dorfes als Ansammlung winziger bunter Punkte in einer endlosen Wildnis schrundiger Felswände, tief eingeschnittener Fjorde und verkeilter Eisberge und -schollen auf der Ammassalik-Insel vor der Ostküste Grönlands. Weit und breit nur Natur ohne Fernstraßen, Eisenbahn, Baumärkte, Vorgärten. Halbe Tagesreisen entfernt liegen noch ein paar Dörfer, aber die sind noch bedeutend kleiner. Die enge Hafenzufahrt ist nur von Juni bis November eisfrei, und 625 Kilometer Luftlinie über den Nordatlantik trennen Tasiilaq vom nächsten Flughafen in Islands Hauptstadt Reykjavik. Robuste Propeller-Maschinen starten dort dreimal pro Woche, falls der häufig heftige Wind, der Nebel und der Schneefall es zulassen und der Flugplatz auf der Nachbarinsel Kulusuk mit dem Hubschrauber aus Tasiilaq überhaupt erreichbar ist. Wenn es ein Ende der Welt gäbe, läge ein Zipfelchen davon genau hier in Tasiilaq.

Von der Alb ins Eis

Man sollte meinen, es stecke eine besondere Mission dahinter, ein persönliches Projekt oder ein hoch dotierter Job, wenn einer die schwäbische Bilderbuchkleinstadt Neuffen auf der Alb verlässt, um sich mit dieser Weltgegend einzulassen. Volker Nitschmann, sportlich-schlank und groß gewachsen, zuckt mit den Schultern: „Ich wollte einmal den großen Eisschild sehen“, beginnt der 44-Jährige zurück unten im Dorf bei einer dampfenden Tasse schwarzen Kaffees mit seiner Geschichte.

Nitschmann ist kein großer Erzähler. Keiner, der mit seinen Abenteuern hausieren geht, der sein Leben überhaupt als besonders abenteuerlich empfindet. Als Tourist reiste der begeisterte Skifahrer nach Grönland, wanderte durch die Berge, fuhr in winzigen Booten der Inuit-Fischer ohne Schwimmweste zu entlegenen Fjorden, stiefelte mit Steigeisen und Skiern über das unendliche Eis. „Das hat mich sehr beeindruckt.“ Nitschmann kam ein zweites Mal, atmete die Luft ohne Schadstoffe, saß in der Mitternachtssonne. „Das ist schon ganz anders als in Deutschland.“ Vor allem der Kontrast zu seiner Büroarbeit war gewaltig. Als Softwareentwickler saß der Informatiker sonst tagein, tagaus im Büro hinter abgedunkelten Fensterscheiben, während draußen die Welt sich drehte.