Anna Scholl und Veit-Jacob Walter sind die neuen Kirchenmusiker bei der evangelischen Kirchengemeinde Sillenbuch.

Klima & Nachhaltigkeit: Judith A. Sägesser (ana)

Sillenbuch - Die Duschkabine inspiriert ihn. Veit-Jacob Walter muss nur an der nassen Scheibe mit dem Finger von oben nach unten streichen, dann hört er Töne. Töne, die sich in Musikstücke verwandeln lassen. Manchmal schlendert er nachts durch die Straßen und verharrt an einer Stadtbahnhaltestelle. Weil seine Ohren Dinge wahrnehmen, die ihn weiter bringen. Veit-Jacob Walter braucht solche Entdeckungen, sie gehören zu seinem Handwerkszeug. Er ist Komponist.

 

Zusammen mit seiner Freundin Anna Scholl hat er vor Kurzem die Kirchenmusiker-Stelle in der evangelischen Kirchengemeinde Sillenbuch angetreten. Sie ist vor allem die Frau für die Orgel, er leitet neuerdings den Chor, und zusammen haben sie frischen Wind im Gepäck. Sie wünschen sich, dass der Gottesdienst zu einem Gesamtpaket wird, dass die Kirchenmusik weg kommt von dem Image, nur ein Lückenfüller zu sein.

Wenn die beiden von ihren Zielen sprechen, klingen sie, als wären sie jenseits der 40. Dabei haben sie gerade mal die 20 überschritten. Sie studieren noch Kirchenmusik, und der Job in Sillenbuch ist die Praxis zur akademischen Theorie. „In der Gemeinde wurden wir als Fachleute für Kirchenmusik vorgestellt“, sagt Anna Scholl. Das hilft, wenn der Dirigent da vorne dem einen oder anderen Chorsänger zu jung aussehen mag. „Ich bin nicht der Typ, der dominant auftreten will“, sagt er. „Ich weiß, was ich will. Die Leute merken schnell, wenn ein Chorleiter keinen Plan hat.“

Das in Sillenbuch ist ihr Ding

Für die zwei ist die Stelle in Sillenbuch kein Neuland. Sie wissen seit ihren Jugendjahren, wie es ist, im Gottesdienst an der Orgel zu sitzen, das haben sie immer wieder vertretungsweise getan. „Jetzt haben wir halt Gestaltungsmöglichkeiten“, sagt Anna Scholl. Soll heißen: Das in Sillenbuch ist nun ihr eigenes Ding.

Anna Scholl und Veit-Jacob Walter sind kürzlich von Berlin nach Stuttgart gezogen. Für sie geht es hier mit dem sechsten Semester weiter, er hat sich fürs nächste Semester eine Auszeit ausbedungen – um sich besser in seine Arbeit als Chorleiter zu finden und um den Gedanken mal freien Lauf zu lassen. Das braucht der Komponist. Neben all den Seminaren und Kursen bleibt zu wenig Zeit für geniale Eingebungen, für Ideen, die auch ergebnislos verpuffen dürfen. Veit-Jacob Walter wird im Herbst entscheiden, wie es mit ihm weitergeht.

Weder sie noch er sind Kinder gewesen, die zum Klavierunterricht gedrängt werden mussten. Ganz im Gegenteil, sie wollten es genau so. Anna Scholl sagt, „es kam eines zum anderen“. Sie trällerte bereits mit vier im Kinderchor in ihrer Heimatgemeinde, in einem Dorf bei Göppingen. Im Alter von fünf Jahren hat sie mit der Geige angefangen, mit elf war die Orgel dran. Heute steht auf ihrer Können-Liste Orgel, Klavier, Cembalo, Geige und Gesang. Bei ihrem Freund ist das Repertoire fast identisch, nur, dass er statt Geige Oboe spielt.

Das war bereits ein Kindertraum – von beiden

Die kleine Anna hat sich früh gewünscht, eine Kirchenmusikerin zu werden. So sehr, dass sie gern auf Dinge verzichtet hat, die für andere Kinder normal sind: zum Beispiel Nachmittage spielend auf der Straße verstreichen zu lassen. Jugendchor, später Erwachsenenchor, Unterricht für Orgel, Geige und Klavier – „ich hatte sehr wenig Zeit“, sagt sie. Die Freunde haben sie zwar stets zu Partys und Ausflügen eingeladen, „aber immer mit dem Zusatz: Du kommst ja eh nicht“, sagt sie.

Während sie spricht, schaut ihr Freund sie von der Seite an, er weiß, was sie meint. Er hat sich im Alter von sechs Jahren entschieden, Kirchenmusiker zu werden. „Das wusste ich damals schon“, sagt er. Sein Vater ist Pfarrer, und damals bekam die Kirche eine neue Orgel. Um den Jungen war es geschehen. „Man kann sich von der Orgel schon begeistern lassen“, sagt er. Damit sich der Traum irgendwann erfüllt, hat Veit-Jacob Walter im Sportunterricht lieber auf Volleyball verzichtet – der Finger wegen. Und in Discos ward er selten gesehen. „Das ist schlecht für die Ohren“, sagt er. Schon damals wäre es für ihn das Schlimmste gewesen, wenn das mit der Musik nichts wird. „Ich kann alles verlieren, nur nicht, dass ich Orgel spielen darf.“