In der Mannheimer Trinitatiskirche wird jetzt getanzt: Eric Trottier und sein Dance Collectiv erobern der freien Szene neue Räume. Am Samstag wird das Ein-Tanz-Haus eröffnet – ein Vorbild auch für Stuttgart.

Stadtleben/Stadtkultur/Fildern : Andrea Kachelrieß (ak)

Mannheim - Liegt es am Vornamen? Oder an der Nationalität? Fakt ist, dass die beiden kanadischen Erics, nämlich Eric Gauthier und Eric Trottier, beide in Montreal geboren, der Tanzszene im Land gehörig Beine machen. Der erste hat mit Gauthier Dance in den vergangenen zehn Jahren am Stuttgarter Theaterhaus eine inzwischen 16 Tänzer starke Kompanie aufgebaut; der zweite gründete 2011 das La Trottier Dance Collective in Mannheim, das sich, bislang am Theater Felina-Areal beheimatet, im Dialog mit anderen Künsten immer wieder auf neues Gelände vorwagt.

 

Nun ist Eric Trottier in Mannheim etwas geglückt, wovon sein Landsmann Eric Gauthier und mit ihm die ganze freie Tanz- und Theaterszene in Stuttgart seit Jahren träumt: Er bezieht mit seiner Kompanie ein eigenen Haus; eröffnet wird das Ein-Tanz-Haus an diesem Samstag und ist dann mit seiner rund 200 Quadratmeter großen Bühne und einer kleineren Probebühne die größte Spielstätte für zeitgenössischen Tanz in Mannheim. Ungewöhnlich an dem Projekt ist nicht nur die kurze Realisierungsphase von knapp einem Jahr. Ausgefallen ist auch der Ort, an dem Tanz nun möglich wird: in einer Kirche.

„Das Geheimnis unseres Projekts? Wir haben einfach mal gemacht“, entgegnet Eric Trottiers Partnerin, die Künstlerin Daria Holme, den verwunderten ersten Gästen im neuen Haus. Dass das Ein-Tanz-Haus in Mannheim so fix Realität wurde, ist sicherlich dem zupackenden Auftreten des Künstlerpaars zu verdanken, aber auch glücklichen Fügungen. Da ist etwa die Stadt Mannheim, die im Eilverfahren den Umbau der Kirche in mit einem Investitionskostenzuschuss von 150000 Euro voranbrachte und bis 2019 dem Betreiberverein des Ein-Tanz-Hauses jährlich 100000 Euro Betriebskosten überweisen wird.

Wandel machte das Gotteshaus in den Quadraten überflüssig

Und da ist die Evangelische Kirche, die für die Trinitatiskriche, einen unter Denkmalschutz stehenden Bau Helmut Strifflers aus dem Jahr 1959, nach einer neuen Verwendung suchte. Die Anwohner rund um die in den Quadraten gelegene Kirche sind heute eher nichtchristlicher Herkunft, der demografische Wandel machte das Gotteshaus überflüssig.

Warum Eric Trottier und Daria Holme mit ihrem Konzept den 2015 ausgeschriebenen Wettbewerb zur Umnutzung der Kirche für sich entscheiden konnten, versteht schnell, wer das Mannheimer Tanzhaus betritt. Die Wucht des sechseckigen Kirchenraums mit seinen durch kleinteilige Glasfenster gerasterten Wänden wird von den für Bühnenkünstler notwendigen Einbauten wie Tanzboden und Lichttraversen kaum gestört. Die Kirchenbänke sind erhalten und bieten von einer ansteigenden Tribüne und von der Seite aus maximal 199 Zuschauern besten Blick auf den Tanz; auch Taufbecken und Altar blieben am Platz und wurden mit den Künstlergarderoben umbaut.

Gesucht habe man nach einer Nutzung, die der sakralen Energie des Raums und der Ausstrahlung der Kirche ins Quartier gerecht werde, sagt der Mannheimer Dekan Ralph Hartmann bei einer Ortsbegehung. Dem Tanz gelinge das, überhaupt gebe es da eine Verwandtschaft mit dem Religiösen. „Tanz verdichtet menschliches Leben, weist den Menschen aber auch über seine Horizonte hinaus.“ 1,3 Millionen Euro hat die Evangelische Kirche in die Ertüchtigung des Gebäudes und eine neue Haustechnik investiert - und kommt dem Tanzhausverein mit einer moderaten Miete entgegen.

Kulturbau auch für Menschen, die noch nie im Theater waren

Denn der Tanz soll Licht in ein Stadtviertel bringen, dessen Bewohner eher im Schatten stehen. „Mir ist wichtig, dass hier Leute ein Ticket kaufen, die noch nie in einem Theater waren“, sagt Eric Trottier. Auch ein Kursprogramm mit Angeboten für Profis, Amateure und Kinder soll Begegnungen ermöglichen. „Wir sind hier, das ist unser Haus. Seine Energie fließt in die Arbeit aller Choreografen ein und macht sie besser“, hat Trottier bereits beobachtet.

„Eine große Bühne für die freie Szene in Mannheim zu haben“, sagt Trottier, das sei ihm wichtig gewesen. „Insgesamt entsteht hier eine Situation, die für die Zukunft des Tanzes Grundlagen schafft, ein Standort mit landesweiter Förderung und Ausstrahlung“, freut sich der Mannheimer Kulturbürgermeister Michael Grötsch auf das, was kommt. Und die ersten Programmpunkte zeigen, welche Berechtigung und Notwendigkeit eine solche Bühne für eine wachsende Szene hat. Neben Eric Trottier bespielen Mannheimer Musiker die Kirche. Am 1. Dezember wird der in Heidelberg ansässige Choreograf Edan Gorlicki hier sein neues Tanzstück „Lucky Bastards“ herausbringen; am 15. und 16. Dezember ist die Stuttgarterin Nicki Liszta mit „Superbia“ zu Gast.

Stuttgart will Wettbewerb für Tanzhaus ausschreiben

Austausch, Anregungen durch Gastspiele: Das erhofft sich auch die freie Szene in Stuttgart von einer eigenen Spielstätte, um die seit Jahren gerungen wird. Nicht ohne Neid geht deshalb der Blick aus der Landeshauptstadt auf das Mannheimer Tanzhaus. Ein kleiner Trost mag da sein, dass sich Stuttgarts OB Fritz Kuhn und der Finanzbürgermeister Michael Föll klar zu dem Projekt bekennen, das als Erweiterungsbau des Theaterhauses sowohl Gauthier Dance als auch der freien Szene in einer nicht allzu fernen Zukunft Proben- und Auftrittsräume bieten soll: Am Montag haben sie in die Beratungen für den neuen Stuttgarter Doppelhaushalt einen Finanzierungsvorschlag für das rund 40 Millionen Euro teure Haus eingebracht. Letzte Details seien noch zu klären, sagt Föll, damit in den kommenden Wochen die Vorlagen für die Ausschreibung des Wettbewerbs erstellt werden könnten. Der soll noch dieses Jahr gestartet werden, damit vielleicht im Jahr 2021 auch in Stuttgart der Tanz neue Energie bekommt.