Über Jahrzehnte hinweg war das ein unverbrüchliches Bündnis: Pkw aus Deutschland und der Michel. Nach den Betrugsskandalen aber macht sich allmählich Verunsicherung breit, beobachtet der StZ-Autor Mirko Weber.

Manteldesk: Mirko Weber (miw)

Stuttgart - Nach dem Tod von Sam Shepard erinnerte eine Freundin, die Sängerin Patti Smith, daran, dass der Schauspieler stets im Handumdrehen seinen Pick-up bepackt hatte: Angelrute, Gitarre und Bücher warf er auf den Rücksitz und haute ab, „einfach so“, schreibt Smith. Über diesen Einfach-so-Moment gibt es, angefangen von Woody Guthrie („Riding In My Car“) jede Menge Songs, auch und gerade von Bruce Springsteen, der bis heute dem Mythos von der cowboyähnlichen Freiheit des Autofahrers huldigt. Mit dem Cadillac, singt Springsteen, rollt man die Straße auf „wie ein alter, großer Dinosaurier“.

 

Es gab, muss man dazu sagen, noch keine SUVs, mithin Festungen auf Rädern, als Springsteen das Lied auf „The River“ (1980) veröffentlichte, aber schon die Ölkrise hierzulande. Zu dieser Zeit (1973) grub die Künstlergruppe Ant Farm westlich von Amarillo, Texas, zehn mit Graffitis besprühte Cadillacs kopfüber in ein Maisfeld ein. Man konnte das kaum anders als kulturkritisch sehen, und Bruce Springsteen wollte auf keinen Fall nach Amarillo, wo er den Tod wähnte: „Don‘t let ’em take me to the Cadillac Ranch.“

Die zehn wichtigsten Fakten zum Diesel-Skandal sehen Sie im Video:

Wie das Ende der Pferde?

Im Daimler-, Bosch- und Porsche-Deutschland hat die gerade heftigen Belastungen ausgesetzte, vorurteilsfreie Liebe zum Auto trotz allem erfinderischen Pioniergeist historisch bescheidenere Wurzeln. Zwar legte Adolf Hitler vor knapp achtzig Jahren persönlich den Grundstein für das Wolfsburger Werk, das mit dem Volkswagen später die Ausbreitung von Massenmobilität garantierte, doch dann kam der Krieg. Bereits länger vorher endete der kentaurische Pakt (wie Ulrich Raulff, der Leiter des Marbacher Literaturarchivs ihn nennt), also die Jahrhunderte des Pferdes, das der Mensch genutzt hatte.

Noch 1914 standen vier Millionen Vierbeinern in Arbeit vergleichsweise lächerliche 55 000 Autos in Deutschland gegenüber. Nach der Währungsreform jedoch wurden die Deutschen richtig fidel mobil und hingen, zumindest im Westen – der Osten war automobil ja eher unterversorgt – bald dem heiligen Blech als Fetisch an. So manchem Auto wird bis heute mehr Gewiener gegönnt als den Körpern seiner Besitzer. Bei Mr. Wash an der Heilbronner Straße in Stuttgart, der wahrscheinlich größten Autowanne der Welt, gehen an einem lustig-umtriebigen Samstag fast 4000 Pkw durch, eine halbe Million im Jahr.

Geliebt, gebraucht, gehasst

Als hätten sie geahnt, dass im Verhältnis zwischen Mensch und von ehemals als rundum honorig angesehenen Firmen frisierten Autos fast nur noch von Betrug und Täuschung die Rede sein würde, nannte das Bonner Haus der Geschichte bereits im Frühling eine Ausstellung zum Auto im Titel relativ novembrig „Geliebt, gebraucht, gehasst“. Die Feuerbacher Waschwalzen drehten sich da noch munter in den schwarz-rot-goldenen Landesfarben, aber es schien auch schon etwas aus dem Takt.

Das Wahrzeichen der deutschen Identität wurde eingeholt von Dienstfahrrädern und Elektromobilen to go: ohne jedwede Rückbank für die Gitarre, doch ausgestattet mit einer neuen Aura. Man darf jetzt – geleast oder geshared – immer auch ein anderes Auto haben und geht als Mensch oft gar keine finanziell prekäre und emotional fragwürdige Verbindung für Lebensjahre ein. Aus dem Ersatzwohnzimmer des Einzelnen wird auf diesem Mentalitätswandelweg ein Aufenthaltsraum für viele.

Im Skandal endlich löst sich im Verhältnis zum liebsten Kind einiges an libidinöser Bindung, und natürlich entrückt das mythische Element, das den Motor mit Pferdestärken vom ersten Lauf an umgeben hat. Die Zeit wird weisen, ob das klassische Auto das Schicksal des Pferdes erleidet, doch ein Nachteil liegt jetzt schon auf der Hand, der mit der schleichenden Abkehr vom Verbrennungsmotor einhergeht: Wer, fragt sich, wird uns wohl mal ein Elektroauto hymnisch besingen?