400 von 1500 Menschen, die im vergangenen Jahr in Stuttgart einen deutschen Pass bekamen, besuchten das diesjährige Einbürgerungsfest – und spendeten OB Kuhn für seine AfD-Schelte viel Applaus.

Digital Desk: Sascha Maier (sma)

Stuttgart - 400 der fast 1500 Neubürger aus Stuttgart, die in den vergangenen neun Monaten die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten hatten, sind der Einladung der Landeshauptstadt gefolgt und haben am Freitagabend mit Oberbürgermeister Fritz Kuhn (Grüne) ein Einbürgerungsfest im Rathaus gefeiert. Die meisten darunter stammen aus der Türkei und aus Kroatien, gefolgt von Griechenland, Serbien, Irak, Kosovo, Bosnien-Herzegowina, Ukraine und Polen. Unter ihnen waren auch viele ehemalige Flüchtlinge.

 

Kuhn hat die Gelegenheit für einen Seitenhieb auf die rechtspopulistische AfD genutzt, deren Vizechef Alexander Gauland laut „Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung“ gesagt haben soll, dass die meisten Deutschen jemanden mit dem Nachnamen von Fußball-Nationalspieler Jérôme Boateng – Christ, in Berlin geboren und aufgewachsen –, nicht als Nachbar haben wollten: „Egal wie Sie heißen, egal woher Sie kommen, egal wie Sie aussehen: Ich versichere Ihnen, bei der Mehrheitsgesellschaft dieser Stadt sind Sie sehr wohl als Nachbarn willkommen!“, sagte Kuhn. Gaulands Satz bezeichnete er offen als rassistisch. Dafür gab es viel Beifall vom Publikum, in dem sich auch viele Stadträte und Landtagspräsidentin Muhterem Aras (Grüne) tummelten.

Weiter bezeichnete Kuhn die Neubürger mit ihrem vielfältigen kulturellen Hintergrund als Bereicherung für die Stadt. „Es geht uns um Integration, nicht um Assimilation, und da gehören immer zwei Seiten dazu“, so der OB, „wir freuen uns auf darauf, wie Sie die Stadt mit Ihrer Kultur und Geschichte bereichern. Nur unser Grundgesetz, das müssen Sie achten.“

Koran oder Grundgesetz?

In den letzten Tagen sorgte eine Studie, die das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid im Auftrag der Universität Münster gemacht hatte, für Diskussionsstoff. Laut der Studie stellt nahezu jeder zweite Türkischstämmige in Deutschland den Koran über das Grundgesetz. Bei der zweiten Generation der in Deutschland lebenden Türken sehen das jedoch nur noch knapp über ein Drittel so.

In Stuttgart findet Kuhn überdies einen besonders großen Integrationswillen, was er auch am Miteinander mit den 8500 in Stuttgart lebenden Flüchtlingen festmacht. Dabei lobte er besonders die Arbeit der Ehrenamtlichen, die sich in Flüchtlingsunterkünften engagieren.

Gleichzeitig sei auch das Interesse der in Stuttgart lebenden Menschen mit Migrationshintergrund an der deutschen Staatsbürgerschaft sehr groß. Zwischen Juni 2015 und Mai 2016 wurden knapp 2300 Anträge auf Einbürgerung gestellt. 2500 Anträge erwartet die Stadt insgesamt bis Ende des Jahres. Zum Vergleich: 2011 wurden nur knapp 1900 Anträge auf Einbürgerung gestellt, Stuttgart wird also immer bunter.

Bürokratische Hürden sind hoch

Womöglich könnte das noch schneller gehen, wenn die bürokratischen Hürden niedriger wären. Der Abstimmungsprozess zwischen dem zuständigen Amt für öffentliche Ordnung und den Behörden der Herkunftsländer der Antragsteller dauert nicht selten bis zu einem Jahr.

Für die Neubürger im Rathaus ist das Prozedere vom Tisch. Gleich zu Beginn der Feierlichkeiten wurden sie mit einem Herzstück der Kultur der Einheimischen konfrontiert: Einem Arrangement des Klassikers „Auf der schwäb’sche Eisenbahne“ von Adrian Werum, Stuttgarter Komponist und Leiter des Orchesters der Kulturen. Einflüsse von Didgeridoo, Sitar, Kora und anderen exotischen Instrumenten scheinen dem musikalisch eher einfachen Volkslied aus Württemberg offenbar gut getan zu haben. „Die beste Version, die ich von dem Lied je gehört habe“, sagt eine junge Frau aus dem Publikum – ohne Migrationshintergrund.