Nach Startproblemen will die Stadt bei 5000 Ausländern für die hiesige Staatsbürgerschaft werben.

Stuttgart - Im Frühjahr 2009 ist in Stuttgart eine Einbürgerungskampagne angelaufen. So richtig in Fahrt gekommen ist die Aktion wegen Personalengpässen im Ausländeramt bisher allerdings nicht. Trotzdem bewerten die Verantwortlichen die Kampagne als Erfolg, da die Zahl der Einbürgerungen in Stuttgart nach Jahren des Rückgangs 2010 erstmals wieder angestiegen ist. Stuttgart liegt damit allerdings im Landestrend, auch baden-württemberg-weit haben seit 2009 wieder mehr Menschen einen deutschen Pass angenommen.

Das Herzstück der Kampagne ist ein Brief Wolfgang Schusters an ausgewählte Migranten. Der Oberbürgermeister fragt die Zugewanderten, ob sie schon einmal daran gedacht haben, die deutsche Staatsangehörigkeit zu erwerben und die Einbürgerung zu beantragen. Beigefügt ist dem Schreiben die Kopie einer Einbürgerungsurkunde mit dem Bundesadler auf dem Briefkopf. "Die Resonanz ist enorm", berichtet Andreas Deuschle vom Ausländeramt und spricht gar von der "Magie der Schreiben". Die Menschen kämen mit den Briefen ins Ausländeramt, hocherfreut und bisweilen mit glänzenden Augen. Allerdings konnte die Stadt im vergangenen Jahr nur 2000 Migranten anschreiben. "Mehr haben wir wegen Personalengpässen nicht geschafft", wie Deutschle bedauert. Jetzt sei die Mannschaft wieder komplett. Deshalb sollen in diesem Jahr 5000 Briefe verschickt werden, vor allem an jüngere Zuwanderer, da deren Interesse an einem deutschen Pass größer ist als bei den älteren. "Die Erfahrung zeigt, dass sich überdurchschnittlich viele Menschen unter 35 Jahren einbürgern lassen", so Deuschle.

Zuwanderer müssen Deutschkenntnisse nachweisen


Insgesamt wohnen in Stuttgart etwa 90.000 Zuwanderer, die eine wesentliche Voraussetzung für eine Einbürgerung erfüllen: sie leben seit mindestens acht Jahren in Deutschland. Für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit allein freilich reicht dies nicht aus, die Zuwanderer müssen zudem Deutschkenntnisse nachweisen, ihren Lebensunterhalt selbst bestreiten können, und sie dürfen keine Straftat begangen haben. Eingeführt wurde zudem im Jahr 2008 ein Einbürgerungstest, den zwischen 50 und 60 Prozent der Antragssteller absolvieren müssen. Ebenso viele Zuwanderer müssen einen Deutschtest ablegen. "Wir wissen, dass die Prüfungen viele Zuwanderer abschrecken", sagt Deuschle. Er weiß aber auch, dass viele Migranten unzureichend informiert seien.

Als Beispiel führt Deuschle ein Gespräch mit einem Franzosen an, der in Deutschland studiert hat und der sich vor dem Einbürgerungstest fürchtete. "Der Mann hat mich gefragt, ob er für den Test viel lernen müsse." Tatsächlich bestehen nach Angaben des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge fast 99 Prozent den Multiple-Choice-Test mit 33 Fragen zu Landeskunde, Politik und dem eigenen Demokratieverständnis. Höher ist die Durchfallquote beim Sprachtest, den in vergangenen Jahren rund ein Drittel der Teilnehmer nicht bestanden haben. Inzwischen liegen der Stadt keine Zahlen mehr vor. Was viele Zuwanderer nicht wissen: längst nicht alle müssen den Deutschtest überhaupt ablegen. Ein deutscher Hauptschulabschluss etwa reicht als Nachweis für ausreichende Deutschkenntnisse aus.

Viele Türken möchten ihren alten Pass behalten


Um die Wissenslücken zu schließen, planen das Ausländeramt und die Stabsstelle für Integration dieses Jahr vier Veranstaltungen, darunter eine mit ausländischen Vereinen, eine andere mit den Moscheegemeinden. "Die Zuwanderer sollen sich für den deutschen Pass entscheiden. Es gibt Untersuchungen, die klar zeigen, dass sich eingebürgerte Migranten stärker am politischen und gesellschaftlichen Leben beteiligen", sagt Stuttgarts Integrationsbeauftragter Gari Pavkovic. Als deutsche Staatsbürger würde auch ihr politischer Einfluss wachsen: "Man muss nur die Aussiedler anschauen, die als Wahlbürger schon lange eine gute Lobby haben", so Pavkovic.

Wie wirksam die Stuttgarter Kampagne tatsächlich ist, lässt sich unterdessen nicht sagen. "Um das zu messen, müsste man die Antragssteller fragen, was den Anstoß gegeben hat", sagt Werner Brachat-Schwarz. Der Referatsleiter im Statistischen Landesamt weiß, dass bei der Entscheidung viele Faktoren eine Rolle spielen, vor allem aber einer: ob der Migrant seine alte Staatsbürgerschaft behalten darf. Brachat-Schwarz hat festgestellt, dass türkische Zuwanderer unter den neu Eingebürgerten zwar die größte Gruppe stellen, die Einbürgerungsquote bei der türkischen Bevölkerung aber bei nur einem Prozent liegt. Bei Irakern oder Iranern hingegen liegt sie bei fünf bis sechs Prozent, weil diese damit rechnen können, ihre alte Staatsangehörigkeit auch mit deutschem Pass zu behalten.

Zwar besteht Deutschland prinzipiell auf eine Monostaatsangehörigkeit, allerdings gibt es Ausnahmen. Bei EU-Bürgern ist grundsätzlich eine doppelte Staatsangehörigkeit möglich. Bei Nicht-EU-Bürgern wird die Mehrstaatlichkeit etwa dann hingenommen, wenn ein Zuwanderer aus seiner alten Staatsangehörigkeit nicht entlassen wird, wie dies bei Algerien oder Marokko der Fall ist. Kerim Arpad vom Deutsch-Türkischen Forum bestätigt, dass viele Türken eine Einbürgerung ablehnen, weil sie ihren alten Pass behalten wollen. Er kennt aber auch noch andere Argumente gegen eine Einbürgerung: "Die Integrationsdebatten rund um Thilo Sarrazin geben vielen Migranten das Gefühl, in diesem Land nicht willkommen zu sein." Dagegen komme auch eine durchaus lobenswerte Einbürgerungskampagne nicht an.