Wie wollen wir leben? Eine Dimension dieser Frage bezieht sich auf die Gestaltung der Räume, die Menschen umgeben. Der Ludwigsburger Kongress Raumwelten hat Denkanstöße geboten, nicht nur für Stadtplaner, sondern auch für engagierte Bürger.

Ludwigsburg - „Pop-ups“ sind en vogue, für kurze Zeit erblühen im urbanen Raum Galerien, Läden, Kioske. Leerstehende Metzgereien werden zu Boutiquen, Scarlett Johansson verkauft in ihrem Pop-up-Store in Paris Popcorn. Auch die Lichtwolke, Aufblas-Pavillon des Kongresses Raumwelten neben der Filmakademie, ist ein Pop-up, das Ludwigsburg für ein paar Tage illuminiert.

 

Guido Mamczur von D’art Design (Neuss) referiert am Freitag über Pop-up-Stores eines Sportschuhherstellers, redet von „Erlebnissen“ und sagt allen Ernstes, Marken böten „Orientierung, eine gefilterte, vereinfachte Realität“ im Angesicht von Griechenland, Brexit, Trump. Verkaufshilfe als Sinnstiftung? Spielt nicht gerade die Durchökonomisierung des Lebens politischen und religiösen Extremisten in die Karten?

Dem schwäbischen Schraubenhersteller Würth, der bisher nur an Profis verkauft und nun die Endkonsumenten sucht, hat Mamczur in die Herrenabteilung bei Breuninger einen Pop-up-Store mit Werkbänken gesetzt. Mit Erfolg: „Wir werden einen Laden auf der Königstraße eröffnen“, sagt Marina Burmistrow von Würth. Den Gegenentwurf zum Corporate Pop-up zeigt Wulf Kramer (Yalla Yalla!, Mannheim), der gesellschaftskulturell denkt. „Temporäre Projekte sind ein gutes Instrument zur Stadtentwicklung“, sagt er, „auch wenn sie nur kurz da sind, können sie Impulse setzen, Potenziale aufzeigen.“

Das Motto des Architekten Subbegaard: Bloß nichts abreißen!

Das Urban Gardening auf dem Dach des Stuttgarter Züblin-Parkhauses, eine Paletten-Bar mit kleinem Pool in einer Baulücke in Mannheim. „Nur dort gibt es direkten Zugang zum Wasser“, sagt Kramer, „aber baden kann man nicht. Also mussten wir das Wasser zu uns holen.“ Auch in Stuttgart würde er gerne ein Wasserprojekt machen, „aber da sieht es noch viel düsterer aus als in Mannheim“. Dort hat Kramer 2014 zum Festival Theater der Welt ein Pop-up-Hotel realisiert: drei Einbett-Hütten mit Blick auf den Neckar, die ausgebucht waren.

Um Architektur im öffentlichen Raum dreht sich das Folge-Panel. Max Schwitalla (Berlin) zeigt kühne Visionen: Eine Gondelbahn in Berlin, die an Stuttgarter Hanglagen sinnvoll wäre, autonome Fahreinheiten, die sich auf Langstrecken zu Zügen verkoppeln, intelligente Aufzüge, die ihre Passagiere nach Stockwerken gruppieren.

Von der Utopie zurück ins visionäre Jetzt führt der dänische Architekt Dan Stubbegaard (Cobe, Kopenhagen). „Wir müssen die City denken als eine Reihe von Wohnzimmern für die Bürger“, sagt er. Kopenhagen hat Ufer von Autos befreit und eine Hochtrasse für Radfahrer gebaut, wie sie auch Stuttgart brauchen könnte. Stubbegaards Motto: bloß nichts abreißen. Einen grauen Silo am Hafen hat Cobe mit silbriger Außenhaut in einen Hingucker verwandelt, eine Fabrikhalle mit goldfarbener Pyramidenfassade in ein Jugendkulturmuseum. Eine Bibliothek aus Quadern wie ein Bücherstapel ist ein beliebter Treffpunkt geworden, ein putziges Kindergartendorf aus wild verschränkten Häuschen erregt weltweit Aufsehen. „Architektur ist erfolgreich, wenn die Öffentlichkeit sie annimmt und nützt“, sagt Stubbegaard.

„Schönheit erhöht den Wert“

Davon kann auch Hans Schneider (J. Mayer H., Berlin) berichten. Autobahnraststätten in Georgien, außen asymetrische Kunstwerke und innen multifunktionale Zentren, sind heute wichtige Begegnungsräume in einem Land, in dem es davon zu wenige gibt. Besonders spektakulär: „Metropol Parasol“ in Sevilla. „Eigentlich sollten wir nur eine Markthalle bauen“, sagt Schneider, „aber das wäre zu wenig gewesen für diesen zentralen Ort.“ Nun ist dort ein archäologisches Museum, darüber die Markthalle und noch darüber ein großer Platz, überspannt von einer gewagten, luftigen Schirmkonstruktion gegen die andalusische Sonne.

„Die Demonstranten gegen die Wirtschaftskrise haben den Ort entdeckt“, sagt Schneider. Heute ist „Metropol Parasol“ ein Wahrzeichen Sevillas, an dem sich in der Semana Santa die religiösen Symbole reiben. „Schönheit erhöht den Wert“, sagt Stubbegaard in der anschließenden Diskussion, „auch die Vororte haben solche Schirme verdient. Wichtig ist, den Kontext des spezifischen Ortes zu sehen und die Bedürfnisse derer, die dort leben.“ Dafür gibt es verdienten Applaus – und mancher fragt sich, wieso Stuttgart aussieht, wie es aussieht.

Am Abend dann die „Special Lecture“ im Ordenssaal des Ludwigsburger Schlosses, oft ein Raumwelten-Höhepunkt. Zu Gast: Mahmoud Bodo Rasch, gebürtiger Stuttgarter, Schüler Frei Ottos und Islam-Konvertit. Im Auftrag der saudischen Monarchen hat er in Mekka Zeltstädte für Pilger installiert, elektrische Sonnenschirme, fahrbare Kuppeln, die größte Turmuhr der Welt. Seinen Vortrag hält er im Schnellvorlauf, denn die Veranstalter haben den Abend Raschs Sohn Achmed gewidmet, der in die Uhr ein Astronomie-Museum eingebaut hat, bei dessen Errichtung Geld wohl keine Rolle spielte.

Wissenschaft und Religion sind im Islam kein Widerspruch

Der Junior entfaltet wenig Esprit, und im Podiumsgespräch ist es dann auch der Senior, der mit schwäbischem Unterton die Akzente setzt. Ob eine Konkurrenz entstehe zwischen dem Museum und dem religiösen Zweck der Pilgerfahrt, fragt die Moderatorin Amber Sayah, Kulturredakteurin unserer Zeitung. „Im Islam ist das kein so großer Widerspruch wie im christlichen Europa, in Arabien hat man sich von Anfang an intensiv mit Planetenbewegungen beschäftigt“, sagt Rasch senior. „Besser, die Pilger schauen sich das an als einen Cowboyfilm.“

Wie ein „Ballet ohne Choreografie“ seien die Ströme von Millionen Menschen während der Hadsch, die Rasch seit den 1970ern erforscht. Ob das Pendeln zwischen europäischer und islamischer Welt aktuell schwieriger sei als früher, möchte Sayah wissen, und Rasch antwortet: „Ich ärgere mich unglaublich über das Maß der Dummheit auf beiden Seiten. Jesus kam mitten aus dem arabischen Raum, er sprach aramäisch, das ist sehr nah am Arabischen. Christentum, Judentum und Islam haben dieselben Wurzeln, es gibt überhaupt keinen Grund, sich die Köpfe einzuschlagen.“