Whitey Bulger ist kein der Fantasie entsprungener Piratenkapitän. Johnny Depp spielt in „Black Mass“ einen realen Gangster, der eine Weile Bostons bestgepolsterter Verbrecher war. Denn der brutale Kerl hatte unglaubliche Kontakte.

Stuttgart - Der Junge hat Ärger in der Schule. Er hat einen Mitschüler mit der Faust ins Gesicht geschlagen. Das sei nicht falsch gewesen, sagt der Vater, aber es sei ein großer Fehler, so etwas in Anwesenheit von Zeugen zu tun. „Wenn es keiner sieht, ist es nie geschehen“, fasst Papa die Lektion zusammen, die gleichzeitig sein berufliches Erfolgsrezept ist.

 

Denn James „Whitey“ Bulger (Johnny Depp) übt die Profession des Gangsterbosses aus und hält seit Mitte der siebziger Jahre den Süden von Boston unter Kontrolle. Sein Bruder Billy (Benedict Cumberbatch) hat es als Politiker zum Senator gebracht, Schulfreund John Connolly (Joel Edgerton) hat beim FBI Karriere gemacht. Er schlägt Whitey vor, er solle ihn mit Informationen über die konkurrierende italienische Mafia versorgen und dafür vom FBI unbehelligt bleiben.

Kein dunkles Heldenstück

Politik, Gesetz und Verbrechen Hand in Hand, verbunden durch die Loyalität aus Kindertagen – das ist zweifellos ein interessanter, fast schon Shakespeare’scher Ansatz für einen Gangstermovie, den der Regisseur Scott Cooper in „Black Mass“ verfolgt.

Zumal diese Geschichte direkt aus dem Leben gegriffen ist: James Bulger und seine Winter Hill Gang trieben tatsächlich über zwanzig Jahre lang in Boston ihr Unwesen. Natürlich steht dieser Film in der Tradition großer Gangster-Epen. Gleichzeitig setzt sich Cooper jedoch gezielt von diesem filmischen Erbe ab, indem er sich einer Mythologisierung und Aufwertung krimineller Gewalt strikt verweigert.

Eine Frage der Seele

Der Schlüssel dazu ist Johnny Depp, der sich hier ein drastisches Relaunch gönnt. Blaue Kontaktlinsen, hellblondes, straff zurückgekämmtes Haar und Gesichtsprothesen haben zur Folge, dass man ihn in seinen ersten Auftritten kaum erkennt.

Depp spielt Bulger als eiskalten Psychopathen ohne Exzentriker-Bonus. Dieser Mann ist zutiefst böse, eine grausam berechnende Kraft. Den ungeschönten Blick mag man „Black Mass“ hoch anrechnen. Aber er führt dazu, dass der Film selbst seine Seele verliert.

Mit der interessierten, aber unbeteiligten Perspektive eines Insektenforschers schaut Cooper auf Machtspiele, Gewaltexzesse und die fatalen Auswirkungen männlicher Loyalitätskonzepte – was auf einer Länge von 122 Filmminuten weniger erhellt als ermüdet. Cooper gelingt es nicht, das Unwohlsein, das seine Hauptfigur hervorruft, ins Produktive zu wenden. „Black Mass“ bleibt in der nüchternen Bestandsaufnahme des Bösen stecken.

Black Mass. USA 2015. Regie: Scott Cooper. Mit Johnny Depp, Benedict Cumberbatch, Joel Edgerton. 122 Minuten. Ab 16 Jahren.