Grundsätzlich hilft ja beim Wohlfühlen oft, wenn man die Wirklichkeit zugunsten der Erinnerung etwas ausblendet. Und wen die Dresdner Altstadt unterm Jahr in ihre einst so friedliche barocke Mitte nimmt, wen sie hineinlockt in ihre seelenstreichlerische Stadtlandschaft, dem gelingt das ziemlich schnell. Früher jedenfalls, in Vor-Pegida-Zeiten.

 

Aber das ist eben eine Weile her. Pegida hat aus Dresden das Symbol einer neuen rechtspopulistischen Bewegung gemacht. Und das schadet doch sehr. Deshalb ist das Wohlfühlen an diesem Wochenende praktisch von Amts wegen erste Bürgerpflicht geworden: Tag der Deutschen Einheit, eine streng nach Plan alternierende Freude, jedes Jahr am 3. Oktober in einem anderen Bundesland. Der Föderalismus ist da prinzipiell unbestechlich, es interessiert ihn nicht, ob da was stören könnte und bei so einer Feier zusammenwächst, was nicht zusammengehört. Wer dran ist, ist dran und feiert dann ein Fest von einschläfernder Gleichförmigkeit, ein demokratisches Sedativum mit Chinapfanne, Flammkuchen und Flyern vom Auswärtigen Amt.

Diesmal allerdings ist alles anders. Zur Beruhigung besteht keinerlei Anlass. Die üblichen elbflorentinischen Euphemismen bleiben einem im Halse stecken, denn ungewollt verdichtet sich hier alles, worüber einem in Deutschland zurzeit gehörig die Lust am Feiern vergeht.

Fremdenhass beeinträchtigt alle neuen Länder

Gerade hat Iris Gleicke, die Ostbeauftragte der Bundesregierung, in ihrem Jahresbericht zur Einheit Klartext geredet. Der Fremdenhass schade dem Standort Ostdeutschland. „Im Moment habe ich nicht viel Positives zu berichten“, sagte Gleicke. Rechtsextremismus stelle „in all seinen Spielarten eine sehr ernste Bedrohung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder dar“. Im Ausland werde sie auch von möglichen Investoren auf die Situation angesprochen. Der Tourismus – zum Beispiel in Sachsen – leide.

Sie haben versucht, in diesem Einheitswochenende eine Chance zu sehen. Sie wollten ein Fest feiern, das der Stadt etwas von ihrem verlorenen Image wiedergibt – oder wenigstens wollten sie sich das Feiern von der rechten Protestbewegung Pegida nicht verunmöglichen lassen: „Wir müssen wieder lernen, stolz auf unsere Demokratie zu sein, und wir müssen die Demokratie auch leben und verteidigen“, hat der Oberbürgermeister Dirk Hilbert in der letzten Woche gesagt. „Wenn wir nicht feiern, dann bekommen die Hetzer und Angstmacher noch mehr Aufwind und Zuspruch.“

Grundsätzlich hilft ja beim Wohlfühlen oft, wenn man die Wirklichkeit zugunsten der Erinnerung etwas ausblendet. Und wen die Dresdner Altstadt unterm Jahr in ihre einst so friedliche barocke Mitte nimmt, wen sie hineinlockt in ihre seelenstreichlerische Stadtlandschaft, dem gelingt das ziemlich schnell. Früher jedenfalls, in Vor-Pegida-Zeiten.

Aber das ist eben eine Weile her. Pegida hat aus Dresden das Symbol einer neuen rechtspopulistischen Bewegung gemacht. Und das schadet doch sehr. Deshalb ist das Wohlfühlen an diesem Wochenende praktisch von Amts wegen erste Bürgerpflicht geworden: Tag der Deutschen Einheit, eine streng nach Plan alternierende Freude, jedes Jahr am 3. Oktober in einem anderen Bundesland. Der Föderalismus ist da prinzipiell unbestechlich, es interessiert ihn nicht, ob da was stören könnte und bei so einer Feier zusammenwächst, was nicht zusammengehört. Wer dran ist, ist dran und feiert dann ein Fest von einschläfernder Gleichförmigkeit, ein demokratisches Sedativum mit Chinapfanne, Flammkuchen und Flyern vom Auswärtigen Amt.

Diesmal allerdings ist alles anders. Zur Beruhigung besteht keinerlei Anlass. Die üblichen elbflorentinischen Euphemismen bleiben einem im Halse stecken, denn ungewollt verdichtet sich hier alles, worüber einem in Deutschland zurzeit gehörig die Lust am Feiern vergeht.

Fremdenhass beeinträchtigt alle neuen Länder

Gerade hat Iris Gleicke, die Ostbeauftragte der Bundesregierung, in ihrem Jahresbericht zur Einheit Klartext geredet. Der Fremdenhass schade dem Standort Ostdeutschland. „Im Moment habe ich nicht viel Positives zu berichten“, sagte Gleicke. Rechtsextremismus stelle „in all seinen Spielarten eine sehr ernste Bedrohung für die gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklung der neuen Länder dar“. Im Ausland werde sie auch von möglichen Investoren auf die Situation angesprochen. Der Tourismus – zum Beispiel in Sachsen – leide.

Sie haben versucht, in diesem Einheitswochenende eine Chance zu sehen. Sie wollten ein Fest feiern, das der Stadt etwas von ihrem verlorenen Image wiedergibt – oder wenigstens wollten sie sich das Feiern von der rechten Protestbewegung Pegida nicht verunmöglichen lassen: „Wir müssen wieder lernen, stolz auf unsere Demokratie zu sein, und wir müssen die Demokratie auch leben und verteidigen“, hat der Oberbürgermeister Dirk Hilbert in der letzten Woche gesagt. „Wenn wir nicht feiern, dann bekommen die Hetzer und Angstmacher noch mehr Aufwind und Zuspruch.“

Aber seit in der Nacht zu Montag zwei Sprengsätze in die Luft geflogen sind – Angela Merkel besucht an diesem Nachmittag die Familie eines Imams, dessen Moschee getroffen wurde –, geht es eigentlich vor allem um die Hoffnung, dass der Tag ohne Katastrophen enden möge. Er wünsche sich ein Fest „ohne Störfeuer“ formulierte der sächsische Ministerpräsident Stanislaw Tillich (CDU) bei der Pressekonferenz Anfang der Woche, und hinter ihm leuchteten an der Wand Zahlen auf: 2600 Polizisten, darunter mehr als 100 Spezialkräfte, auch die GSG 9. 1400 tonnenschwere Betonsteine, die hier schnell den sprechenden Namen „Nizzablöcke“ bekommen haben. 3650 Meter Sperrlinie, 3800 Meter Gitter.

Der Besucheransturm, er bleibt aus, von wegen eine dreiviertel Million Menschen, nach den Anschlägen gab es Stornierungen, dazu der Regen, die beginnenden Herbstferien, die Aussicht auf am Ende doch nur wieder Brüllerei.

Tja, und was ist nun eine Feier ohne Katastrophe? Früher, da hätte man vielleicht gemein und kulturbeflissen gespottet über die bemühte Lasershow, die den Höhepunkt des Sonntagabends bildet. Kitschkaskaden in lichtem Blau, Lichtkegel, die sich wie Sterntaler golden über die Stadtsilhouette ergießen, dazu Kinderwohlfühlstimmchen vom Band. In einer fließenden Bewegung tastet sich der Mensch, der die Publikumskamera bedient, über die Gesichter in der ersten Reihe – und siehe da: lauter glückliche Menschen. Alles in allem ein schwarz-rot-goldenes Geschmacksstahlbad, gipfelnd im Traum des Tourismuswerbers: Schriftzüge feiern alle möglichen sächsischen Errungenschaften von der Erfindung des BHs bis zu Neo Rauch.

Glücklich, wer sich darüber aufregen kann. Dresden bietet anderen Stoff. Am Sonntag, als der Bürgermeister Hilbert in seinem Rathaus muslimische Mitbürger empfängt, darunter den Imam, wird er auf einmal aus einer kleinen Menge heraus bepöbelt und beschimpft.

Mit Goebbels argumentieren – wo ist das Problem?

Da ist zum Beispiel dieser kleine, ältere Herr, Karohemd, Sommerbräune, er hält ein Schild in die Höhe, eine säuberliche Heimarbeit mit Mutter und Unterlegscheiben an einem Stock befestigt. Zu lesen ist ein berühmtes Zitat des späteren NS-Propagandaministers Joseph Goebbels, erschienen 1931 im „Angriff“. Es geht, grob gesagt, darum, dass die Nazis keine Nazis, sondern Linke sind. Die Polizei, so erfährt man vom Besitzer des Schilds, hat das Ding kontrolliert – und zwar daraufhin, ob die Stocklänge die vorgeschriebenen zwei Meter überschreitet. Tat sie nicht.

Und wenn man sich dann mehr als 70 Jahre nach Kriegsende in einer Stadt, die damals in Schutt und Asche lag, weil die Nazis der Welt den Krieg erklärt hatten, weiter mit dem Schildbesitzer unterhält, dann erklärt er, dass er es gemalt hat, weil er keine Lust hat, als Nazi bezeichnet zu werden. Weil man mal über diesen Begriff reden muss. „Wissen Sie eigentlich, dass Adolf Hitler selbst sich bis zum Ende auf Karl Marx berufen hat?“ Der Versuch, das Thema etwas tiefer zu durchdringen, führt nach überraschend kurzer Zeit zu den Juden. Und da erklärt einem der Herr, dass auch da etwas nicht stimmen kann. Es gebe, so sagt der Mann, viele Quellen, die bewiesen, dass die Zahl der europäischen Juden sich im Dritten Reich sogar vergrößert habe. „Nicht verkleinert.“ Er sagt das wirklich so. Und man denkt sich: Katastrophen haben sie in Dresden genug.

Derweil gibt es wieder Gebrüll und Beschimpfungen, als die Festgäste den Gottesdienst verlassen und sich auf den Weg zu ihren Limousinen und zum Festakt in der Semperoper machen. Es ist ein Spießrutenlauf, den die Bürger ihren gewählten Repräsentanten bereiten. Die Frau des sächsischen Wirtschaftsministers Martin Dulig (SPD) kann die Tränen nicht mehr zurückhalten. So viel Hass.

Vorne am Theaterplatz, es regnet mittlerweile in Strömen, hat die Minderheit wieder Platz bezogen – ungehindert von der Polizei. Zwar gibt es einen Verhaltenskodex für das Veranstaltungsgelände, der zum Beispiel Trillerpfeifen verbietet, aber die Ordnungsmacht lässt die Protestierer gewähren. Darunter einen, der schon am Sonntag den Bürgermeister bepöbelt hat – anderswo hätte er vielleicht einen Platzverweis bekommen. Dort, wo Leute pfeifen und „Halt die Fresse“ brüllen, kann man also nicht hören, wie Sachsens Ministerpräsident Tillich sagt: „Beschämt erleben wir, dass Worte die Lunte legen können für Hass und Gewalt.“

Später hat Pegida zur üblichen Montagsdemo aufgerufen, ein zweites fremdenfeindliches Bündnis namens „Festung Europa“, eine Abspaltung, ebenfalls. Man hört natürlich wieder diesen Satz: „Wir sind das Volk.“ Die Männer schreien ihn laut. Ihre Ohren sind verstopft.