Der Deal mit Ankara zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen soll in kürzester Zeit umgesetzt werden. Am Montag soll es damit losgehen. Griechenland braucht dafür 2500 EU-Beamte.

Brüssel - Es ist 14.30 Uhr am Freitagnachmittag, als sich eine Einigung zur Reduzierung der Flüchtlingszahlen zwischen der Europäischen Union und dem Schlüsselland Türkei abzeichnet: Der Sprecher von EU-Ratschef Donald Tusk gibt bekannt, dass sein Chef nach sechsstündigen Verhandlungen mit dem türkischen Premier Ahmet Davutoglu einen Kompromisstext vorgelegt und den 28 Staats- und Regierungschefs zur Annahme ohne Änderungen empfohlen hat – auch Davutoglu habe dem Papier bereits informell zugestimmt.

 

Spektakulär an der kurz darauf auch offiziell gewordenen Einigung ist vor allem die Schnelligkeit, mit der sie umgesetzt werden soll. Schon am 20. März um Mitternacht, de facto also Montag, soll die Vereinbarung greifen, dass die Türkei – von Einzelfällen abgesehen – alle auf den griechischen Inseln ankommenden Bootsflüchtlinge zurücknimmt. Für jeden dieser zurückgebrachten Schutzsuchenden aus Syrien soll ein anderer syrischer Flüchtling aus der Türkei direkt in die EU ausgeflogen werden – maximal 72 000 bereits bewilligter, aber bisher nie zur Verfügung gestellter Aufnahmeplätze sind dem Beschluss zufolge dafür nun verfügbar.

Der Rückführmechanismus soll nur vorübergehend sein

Auf griechischer Seite ist, wie ein EU-Diplomat formuliert, „eine logistische Mammutoperation“ nötig, um die Vereinbarung mit Ankara ins Werk zu setzen. Zum Start am Montag müssen demnach hunderte von Asylentscheidern, Richtern, Übersetzern und Beamte einsatzbereit sein, die die nachträglich zugesagten Asylanhörungen und Abschiebungen durchführen. Die EU-Kommission hat dafür bereits einen detaillierten Plan erarbeitet, welche Mitgliedstaaten wann welche Fachkräfte zur Verfügung stellen sollen. Die Brüsseler Behörde, die die organisatorische Oberaufsicht übertragen bekommen hat, verwies darauf, dass Deutschland und die Niederlande schon vor dem Gipfel die Entsendung hunderter Beamter in Aussicht gestellt hätten. Über die gesamte Zeit der „1:1-Operation“ werden nach übereinstimmenden Angaben der griechischen Regierung und der EU-Kommission 4000 Einsatzkräfte zusätzlich benötigt – davon 2500 aus den EU-Staaten und EU-Organisationen wie der Grenzschutzagentur Frontex.

Der vereinbarte Mechanismus soll „vorübergehender“ Natur sein – bis die Flüchtlingszahlen soweit gesunken sind, dass sich mehr Staaten als bisher bereit erklären könnten, sich auf freiwilliger Basis einem Umsiedlungsprogramm aus der Türkei anzuschließen, der sogenannten Kontingentlösung von Bundeskanzlerin Angela Merkel. Die Staats- und Regierungschefs rechnen damit, dass die so gut wie garantierte Rückführung und die Aussicht auf einen legalen EU-Aufenthalt die Flüchtlinge davon abhalten werden, überhaupt die Ägäis per Boot überqueren zu wollen.

Das Geld an die Türkei soll schneller fließen

Der sich vor dem Gipfel abzeichnende Widerstand mehrerer EU-Regierungen gegen den Türkei-Deal wurde durch eine Reihe von Klarstellungen und Kompromissen überwunden. So hatte etwa Zypern ein Veto gegen die Öffnung von fünf Verhandlungskapiteln in den EU-Beitrittsgesprächen angekündigt, weil die Regierung der geteilten Insel in den laufenden Wiedervereinigungsgesprächen ihr größtes Faustpfand nicht aus der Hand geben wollte. Nun soll bis Ende Juni nur das Kapitel 33 zur Angleichung der Haushaltspolitik eröffnet werden – dies zählt nicht zu den Themenbereichen, die Zypern seit Jahren aus politischen Gründen blockiert.

Bei den Finanzhilfen für die Türkei zur Versorgung syrischer Flüchtlinge im eigenen Land bleibt es dabei, dass bis 2018 über die Überweisung weiterer drei Milliarden Euro entschieden werden soll – jedoch keinesfalls mehr. Davutoglu beharrte Teilnehmern zufolge jedoch darauf, dass die bereits bewilligten drei Milliarden Euro zügiger ausbezahlt werden. Deshalb wurde vereinbart, bis Ende nächster Woche eine gemeinsame Liste von Flüchtlingsprojekten in der Türkei zu erstellen, die zügig und vorrangig finanziert werden sollen.

Die Visumfreiheit für Türken bei Reisen in die EU, für Ankara der vermutlich größte politische Preis, spielte in den abschließenden Gesprächen gar keine so große Rolle mehr. Schon vor Gipfelbeginn hatte man sich darauf verständigt, dass der Visumzwang bis Ende Juni aufgehoben werden soll – aber eben nur, wenn alle 72 technischen und legalen Voraussetzungen erfüllt werden, die die Brüsseler Kommission kürzlich identifiziert hat.