Die Einkaufstouristen aus der Schweiz verändern die Stadt am Bodensee. Sie bringen viel Geld, aber auch der Verkehr nimmt stetig zu. Nun denkt der Oberbürgermeister darüber nach, eine Seilbahn zu bauen. Nur ob diese das Problem löst?

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Peter Stolterfoht (sto)

Konstanz - Gelangweilt sitzen die zwei alten Männer im Wasser und starren auf die Fahrbahnen. Der eine mit Zigarre im Mund schaut in Richtung der Straße stadteinwärts nach Konstanz, der andere schaut auf die zwei Spuren, die stadtauswärts führen. Regungslos beobachten sie vom Mittelstreifen aus das immer gleiche Geschehen, das vor dem Wochenende in und um Konstanz herum so aussieht: Nichts fährt mehr. Der Bodensee-Bildhauer Peter Lenk hatte 1992, als er die Brunnenfiguren am Konstanzer Altstadtring Laube schuf, sicher nicht auf die endlosen Staus abgezielt. 25 Jahre später aber passt die zur Schau gestellte Passivität perfekt zum Konstanzer Verkehrsbild.

 

Immer wieder samstags und vor Feiertagen droht die Stadt am Bodensee im Verkehrschaos zu versinken. Die knapp 3000 öffentlichen Innenstadtparkplätze sind bereits morgens um 10 Uhr überfüllt, und trotzdem drängen die Autokolonnen im Zeitlupentempo weiter in die Stadt. Wild zugeparkte Wohngebiete sind eine Folge davon, wenn es heißt: Achtung, die Schweiz rollt an. „Vor ein paar Jahren hat man hier nur Schweizer Autos mit Thurgauer Kennzeichnen gesehen“, sagt Anne Mühlhäußer, „mittlerweile kommen die Leute aber auch aus Luzern, Zürich, Aargau und von noch weiter her.“ Konstanz, so heißt es hier, sei die einzige Stadt, in der alle Schweizer Dialekte zu hören sind.

Auf der Straßen stehen Stoßstange an Stoßstange, in den Gassen Einkaufstüte an Einkaufstüte

Anne Mühlhäußers Wohnung liegt in der malerischen Konstanzer Altstadt. Vor ihrem Zuhause liegt die Fußgängerzone, dahinter deren Umfahrung. So kann es vorkommen, dass rund um sie herum Stau herrscht. Auf der Straße steht Stoßstange an Stoßstange, in den engen Gassen Einkaufstüte an Einkaufstüte. „Mit dem Auto kommt man nicht raus, und zu Fuß wird es auch immer schwieriger“, sagt die Soziologin, die schon aufgrund ihres Studiums am Aufeinandertreffen von Deutschen und Schweizern interessiert ist. Doch das private Forschungsprojekt wird für Anne Mühlhäußer, die für die Grünen im Konstanzer Gemeinderat sitzt, immer mehr zum Ärgernis. Konstanz sei vom Schweizer Ansturm überfordert. „Es kann manchmal schon ganz schön nerven“, sagt Anne Mühlhäußer.

Der Strom der Einkaufstouristen reißt nicht ab, weil der Euro gegenüber dem Schweizer Franken chronisch schwach ist und die deutschen Preise fast in allen Branchen unter denen in der Schweiz liegen. Außerdem bekommen Schweizer auf einen Einkauf in Deutschland die Mehrwertsteuer zurückerstattet. Dafür müssen sich die Kunden an der Kasse einen grünen Ausfuhrzettel ausfüllen lassen, was die Staus in den Läden noch länger werden lässt. „Eine Konstanzer Bekannte wurde neulich in einer langen Schlange vorwurfsvoll auf Schwyzerdütsch gefragt, was sie hier am Samstag, dem Schweizer Einkaufstag, eigentlich zu suchen habe“, erzählt Anne Mühlhäußer, die natürlich weiß, dass ihre Stadt auch enorm vom Einkaufstourismus profitiert. „Tagsüber kommen die Schweizer Schnäppchenjäger in die Läden, abends die Bildungsbürger ins Theater“, sagt die Gemeinderätin, „auch deshalb kann sich Konstanz zum Beispiel ein reichhaltiges Kulturangebot leisten.“

Bis zu 50 Prozent des Umsatzes kommt aus der Schweiz

Bis zu 50 Prozent des Umsatzes im Konstanzer Einzelhandel kommt aus der Schweiz. Geld, das die Stadt verändert. In Kürze eröffnen die Konstanzer dm-Märkte fünf und sechs. Einer kommt in die Räume des Scala. Der Vertrag mit dem traditionsreichen Programmkino wurde im Sommer nicht verlängert. Der Hauseigentümer kann von einem dm-Markt deutlich mehr Miete verlangen. Dasselbe gilt im Fall des alteingesessenen Café Marktstätte.

Die Konstanzer Innenstadt hat mit Sicherheit bundesweit die höchste Drogeriemarkt-Dichte. Denn speziell in diesem Bereich ist der Preisunterschied zwischen Deutschland und der Schweiz besonders groß. Aber auch in anderen Branchen gehören Konstanzer Filialen bundesweit beim Umsatz zu den internen Spitzenreitern. Am Montag sind viele Artikel ausverkauft, weil am Samstag palettenweise eingekauft wurde. Eine Metzgerei-Angestellte erzählt, dass sie so ein Großkampftag an die Belastungsgrenze führe, vor allem dann, wenn die Leute häufig noch ungeduldig und unfreundlich seien. Der Kunde ist aber König und die Schweiz deshalb eine Monarchie. Kritik könnte als Majestätsbeleidigung verstanden werden und wird deshalb vor allem hinter vorgehaltener Hand geäußert. Ihren Namen wollen gestresste Verkäuferinnen nicht in der Zeitung lesen.

Auch der OB meint, dass beim Thema Verkehr gehandelt werden muss

Der Name „Seemoz“ wiederum steht ganz klar für die Kritik an den Folgen des Konstanz-Booms. Die enorm gestiegenen Miet- und Immobilienpreise, die mittlerweile auf Stuttgarter Niveau angekommen sind, werden im linken Online-Magazin ebenso thematisiert wie die Erhöhung der Buspreise in vom Stau geprägten Zeiten. „Seemoz“ geht immer wieder auf Konfrontationskurs mit dem Rathaus.

Das Konstanzer Rathaus dürfte auf jeden Fall optisch der Traumarbeitsplatz eines jeden deutschen Verwaltungsbeamten sein. Der Prachtbau aus dem Mittelalter hat einen malerischen Innenhof, mit vier Türmen in jeder Ecke. Im Turm hinten rechts ist das Büro von Oberbürgermeister Uli Burchardt (CDU) untergebracht. Der 45-Jährige kommt gerade von der Einweihung einer Fertigungshalle, die Siemens in Konstanz gebaut hat. Dieser Termin passt ziemlich gut zu Burchardts Grundthese über die Konstanzer Anziehungskraft und ihre Folgen: „Jede attraktive Stadt hat ein Verkehrsproblem.“ Burchardts Problem wiederum ist, dass Konstanz’ Platzangebot unverrückbare Grenzen hat: zur Seeseite hin und zur Schweiz. Einerseits sagt der OB, dass in seiner Stadt auf hohem Niveau gejammert werde, andererseits meint er aber auch, dass der Verkehr jetzt an einem Punkt angekommen sei, an dem zwingend gehandelt werden müsse.

Der OB will das Verkehrsproblem mit einem spektakulären Plan lösen

In Konstanz wird schon lange versucht, wirtschaftfreundliche Politik mit umweltverträglichen Ideen und sozialem Engagement in Einklang zu bringen. Die katholische 85 000-Einwohner-Stadt hat zwar die Farben Schwarz, Weiß und Rot im Wappen, doch im Grunde ist sie schwarz-grün. Unter dem Grünen-Bürgermeister Horst Frank entstand 2004 das Einkaufszentrum Lago, das bewirkt hat, dass Konstanz nicht mehr nur eine malerische Wohlfühloase ist, sondern auch als bestens sortiertes Einkaufsziel wahrgenommen wird. Für diese Stadt ist es kein Widerspruch, dass ein Grüner das Wirtschaftswachstum angekurbelt hat und sein CDU-Nachfolger die Folgen wie beispielsweise Verkehrsproblem in den Griff bekommen will.

„Den Wachstumsauftrag annehmen“, nennt Uli Burchardt seine Aufgabe in einer Stadt, in der Vollbeschäftigung herrscht und es keinen Ladenleerstand gibt. Der Oberbürgermeister, Sohn eines Konstanzer Geschichtsprofessors, weist als ehemaliger Zivildienstleistender und Manager des ökologisch ambitionierten Warenhauses Manufaktum nicht gerade einen typischen CDU-Lebenslauf auf. Nachhaltigkeit ist ihm so wichtig, dass er ein Buch zum Thema mit dem Titel „Ausgegeizt“ geschrieben hat. Und seinen Öffentlichkeitsreferenten Walter Rügert übernahm er ohne politische Berührungsängste vom Vorgänger. Einen Verkehrsreferenten hat die Studentenstadt nach langer Suche auch wieder. Der bekommt auch gleich eine ganze Menge zu tun. Denn das Verkehrsproblem will Uli Burchardt mit einem spektakulären Plan lösen und gleichzeitig die Attraktivität seiner Stadt weiter steigern. Mit einer Seilbahn, die über vier Stationen von der Insel Mainau über die Universität und das Bodenseeforum in die Innenstadt und zum Hafen führen könnte. Mit den Seilbahn-Gondeln ließen sich bis zu 8000 Personen in der Stunde befördern. Im Juni soll die Machbarkeitsstudie fertig sein und dann dem Gemeinderat vorgestellt werden.

Die Schweizer Seite wirbt mit lukrativen Angeboten medizischen Fachkräfte ab

Beim Thema Seilbahn schwingt die Hoffnung des Oberbürgermeisters mit, dass die Schweizer dieses Projekt besser annehmen als die Shuttlebusse, die oft leer am Großparkplatz Bodenseeforum starten. Dasselbe gilt auch für die Einheimischen. Zumal infolge der hohen Nachfrage nach Wohnraum gleich ein ganz neuer Stadtteil auf dem letzten großen bebaubaren Grund entstehen soll. Hafner wird er heißen.

Mit Schweizer Hilfe kann Konstanz bei der Neugestaltung der Infrastruktur aber nicht rechnen, hat das Nachbarland doch kein Interesse daran, die Anreise ihrer Landsleute zu vereinfachen. Die eidgenössische Nachbarstadt Kreuzlingen hat schwer damit zu kämpfen, dass fast alle in Konstanz einkaufen. Der Einzelhandel auf Schweizer Bodenseeseite darbt und bricht nur deshalb nicht zusammen, weil es noch einige Eidgenossen gibt, die aus Nationalstolz den heimischen Handel unterstützen. Doch selbst in der reichen Schweiz kann oder will sich nicht jeder diesen Luxus leisten. Im Gegenzug werden von Schweizer Seite speziell medizinische Fachkräfte mit lukrativen Jobangeboten abgeworben. „Das ist ein Problem“, sagt Burchardt.

In den 1980er Jahren fuhren am „Nudelsonntag“ die Deutschen zum Einkauf in die Schweiz

Der Oberbürgermeister erinnert noch daran, dass der Grenzverkehr auch früher schon keine Einbahnstraße gewesen sei. „Ich sage nur Nudelsonntag.“ Da wisse dann jeder nicht mehr ganz junge Konstanzer, was gemeint sei. Am deutschen Feiertagen, die in der Schweiz Werktage waren, fuhr Mitte der 1980er Jahren die ganze Familie in die Schweiz und deckte sich mit damals billigen Waren ein: eben mit Nudeln, Ovomaltine oder den Minor-Haselnussriegeln. Und voll getankt wurde das Auto am Nudelsonntag in der Schweiz natürlich auch. Aber selbst das Benzin ist mittlerweile in Deutschland manchmal billiger.