Was die EU nicht hinbekommen hat, übernimmt jetzt die Nato: die Grenzsicherung zwischen Griechenland und der Türkei. Ankara hat sich nun auch bereit erklärt, im Meer aufgegriffene Flüchtlinge zurückzunehmen.

Stuttgart - In solchem Rekordtempo ist noch nie ein Nato-Einsatz beschlossen worden: Erst am Montagabend hatte Angela Merkel die Idee öffentlich gemacht, wobei sie auf einer gemeinsamen Pressekonferenz in Ankara den türkischen Premier Ahmet Davutoglu vorschickte. Überrumpelt wurde sie von dessen Forderung, die Militärallianz solle im östlichen Mittelmeer gegen Schlepper vorgehen, nämlich keinesfalls. Wie erst jetzt bekannt wurde, hatte die Kanzlerin den Plan zu dem Zeitpunkt bereits mit dem griechischen Regierungschef Alexis Tsipras abgestimmt. Daraus wurde beim Verteidigungsministertreffen in Brüssel ein gemeinsamer Vorschlag der drei Länder, dem am späten Mittwochabend auch entsprochen wurde.

 

Die Nato soll nun den Rahmen bieten für das, was die Europäische Union bisher nicht zustande gebracht hat. Ein EU-Aktionsplan sieht etwa eine engere Kooperation zwischen Athen und Ankara in der Ägäis vor – in der Praxis hat sich aber wenig getan. Österreichs Innenministerin Johanna Mikl-Leitner hatte Griechenland zuletzt kritisiert, weil es seine Marine nicht einsetzt, um die Lage in den Griff zu bekommen. Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen sprach in Brüssel von 600 Menschen, die pro Tag bei schlechtem Wetter übersetzen, bis zu 3000 bei gutem Wetter: „Wir können das nicht länger tolerieren, vor allem nicht zwischen zwei Nato-Partnern.“

Aufgegriffene Flüchtlinge nimmt die Türkei zurück

Von der Leyen blieb es vorbehalten, die von ihr als „Riesenschritt nach vorne“ bezeichnete Einigung mit den anderen Mitgliedern der Allianz zu verkünden. „Ein bestehender Marineverband, der schon in der Region ist, wird mit der neuen Aufgabe betraut.“ Der militärische Nato-Oberbefehlshaber Philip Breedlove sagte in der Sitzung zu, den Verband, der zur Absicherung der Türkei bisher vor der syrischen Küste operiert, sofort nach Kreta zu verlegen. Spätestens am 24. Februar sollen alle nötigen Vorarbeiten erledigt sein und die fünf Schiffe den Ägäis-Einsatz aufnehmen. Stoltenberg unterstrich, dafür stünde „auch anderes militärisches Gerät bereit“. Kampfjets für Luftpatrouillen und Awacs-Aufklärungsflieger etwa. Mehrere Nato-Staaten stellten weitere Schiffe für den Verband in Aussicht – bisher gehören ihm ein griechisches, ein türkisches, ein kanadisches und ein italienisches an. Angeführt wird er vom Einsatzgruppenversorger „Bonn“ der Bundesmarine. Da es um Nato-Gebiet geht, ist kein Mandat des Bundestags nötig.

Aufgabe soll von der Leyen zufolge vorrangig die Seeüberwachung sein. „Die Nato soll die Küstenwache informieren, wo immer sie sieht, dass Schlauchboote ablegen von der türkischen Küste.“ Sollte ein unter Flagge der Allianz fahrendes Schiff selbst auf Flüchtlingsboote stoßen gebe es selbstverständlich die völkerrechtliche Pflicht zur Seenotrettung, doch sei mit Ankara vereinbart, dass die Aufgegriffenen zurück in die Türkei gebracht werden – selbst wenn sie bereits griechische Gewässer und damit EU-Territorium erreicht haben.

Zum Ausgleich soll es Kontingente geben

Die Flüchtlingsorganisation Pro Asyl verurteilte dies scharf als „Beihilfe zur Aushebelung des Asylrechts“. Darauf angesprochen sagte von der Leyen, dass es statt illegaler „lebensgefährlicher Fahrten“ künftig legale Kontingente von Flüchtlingen geben solle, die direkt aus der Türkei nach Europa gebracht würden. Dies ist Teil einer deutschen Initiative, die am Rande des EU-Gipfels nächste Woche beschlossen werden könnte. Als Voraussetzung dafür hatte Merkel stets besseren Grenzschutz von Seiten der Türkei angemahnt – der nun im Nato-Rahmen vorangetrieben wird.

Dass die Allianz so schnell und wohlwollend reagierte, hängt damit zusammen, dass sie die Flüchtlingskrise mehr und mehr auch als Sicherheitskrise begreift. So denken nicht wenige in der Nato wie der FDP-Europaabgeordnete Alexander Graf Lambsdorff, der hinter Russlands Bombardierung der Stadt Aleppo auch die Absicht erkennt, „eine gezielte Destabilisierung der europäischen Nachbarschaft“ über große Flüchtlingszahlen herbeizuführen.