Fünftausend Haushalte entscheiden in Deutschland über die Tops und Flops unseres Fernseh-Programms. Denn aus ihren Fernsehgewohnheiten werden nachher die Einschaltquoten errechnet. Man muss diese nur richtig zu lesen wissen.

Stuttgart - Jeden Morgen gegen 9 Uhr veröffentlichen die Fernsehsender die Zuschauerzahlen vom Vorabend. Bleiben die Quoten hinter den Erwartungen zurück, machen sie mitunter auf einen Schlag die Arbeit von Monaten zunichte: weil ein neues Format wie etwa zuletzt „Die Zuschauer“ (RTL) umgehend eingestellt wird. Fünftausend repräsentativ ausgewählte Haushalte entscheiden über die Tops und Flops unseres Programms. Sekundengenau wird das Sehverhalten der einzelnen Mitglieder dieses so genannten Fernsehpanels protokolliert. Daher weiß man zum Beispiel beim ZDF, dass regelmäßig viele Menschen umschalten, sobald bei „Wetten, dass . . ?“ eine Popgruppe auftritt.

 

Die Einschaltquoten lügen nicht. Aber man muss sie richtig zu lesen wissen. Wenn ein „Tatort“ wie kürzlich „Summ, Summ, Summ“ aus Münster knapp 13 Millionen Zuschauer hatte, ist das ohne Frage ein Erfolg. Der letzte „Tatort“ aus Saarbrücken („Eine Handvoll Paradies“) hatte dagegen nur 8,35 Millionen Zuschauer. War der Film nun also ein Misserfolg? Eigentlich nicht, denn nach der Januar-Premiere von Devid Striesow als neuem Kommissar aus dem Saarland hatte es in den sozialen Netzwerken Hohn und Spott gegeben. Gemessen an der Häme waren mehr als acht Millionen Zuschauer beim zweiten Film eine richtig gute Quote. Aber die Kritiken waren erneut vernichtend.

Die Zahl sagt nur die halbe Wahrheit

Zahlen lügen also doch: weil sie kein Qualitätsurteil darstellen. Von den gut 13,5 Millionen Zuschauern, die Markus Lanz bei seiner „Wetten, dass . . ?“-Premiere hatte, wollte die Hälfte womöglich bloß Zeuge seines Scheiterns werden. Seither hat sich die Quote jedenfalls fast halbiert, zuletzt erreichte Markus Lanz nur noch knapp 7,5 Millionen.

Und selbst diese Zahl sagt am Ende nur die halbe Wahrheit. Sie legt zwar nahe, dass 7,5 Millionen Menschen von 20.15 Uhr bis circa 23 Uhr das ZDF eingeschaltet und aufmerksam zugeschaut haben, aber das stimmt gar nicht. Diese Zahl, erläutert der ZDF-Programmplaner Martin Berthoud, „setzt sich aus sämtlichen Nutzungsvorgängen zusammen. Die Nutzungsdauer jedes Zuschauers geht mit dem zeitlich gewichteten Anteil ein“. Die 7,5 Millionen sind also ein statistischer Durchschnittswert. Hat jemand nur die Hälfte der Show gesehen, zählt er auch nur als halber Zuschauer. Alle Menschen, die mindestens eine Minute lang bei „Wetten, dass . . ?“ verweilt haben, bilden die so genannte Nettoreichweite. Statistisch hatte Lanz nur 7,5 Millionen Zuschauer, aber unterm Strich haben vermutlich mindestens doppelt so viele mindestens mal reingesehen.

Martin Berthoud ist Vorstandsvorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Fernsehforschung, einem Zusammenschluss der vier wichtigsten deutschen Fernsehveranstalter. Als die AGF ihr Fernsehpanel entwickelt hat, war die Medienwelt noch überschaubar: Fernsehen fand zuhause statt.

Unabhängig vom Wohnzimmer

Mittlerweile aber ist der Zuschauer dank unterschiedlichster mobiler Endgeräte völlig unabhängig vom heimischen Wohnzimmer. Gerade junge Menschen besitzen gar keinen Fernseher mehr und schauen sich das Programm als Stream auf dem Laptop oder dem iPad an. Andere besitzen ein hochmodernes „Smart TV“ mit Internetzugang und nutzen die Mediatheken der Sender; hier kann man das Programm in der Regel bis zu einer Woche nach Ausstrahlung kostenlos abrufen.

Ebenfalls beliebt sind Festplattenrekorder, zumal die zeitversetzte Sichtung das problemlose Überspringen der Werbeblöcke ermöglicht. Alle diese Nutzungsformen fließen aber nur zum Teil in die veröffentlichten Zuschauerzahlen ein. Einzig die zeitversetzte Nutzung wird laut Martin Berthoud bis zu drei Tage nach der Ausstrahlung miteinbezogen: „Das Phänomen ist ja nicht neu, das gab es auch schon im Zeitalter des Videorecorders. Aber die Zahl ist überschaubar, sie liegt bei etwa zwei Prozent. Nur in ganz seltenen Fällen kommen Zuschauer in sechsstelliger Größenordnung dazu.“

Die Nutzung der Mediatheken dagegen wird noch nicht erfasst, ein entsprechendes Messsystem wird derzeit entwickelt. Je nach Popularität einer Produktion können die entsprechenden Zahlen durchaus Einfluss auf die Quoten haben. Die in diesem Jahr ausgestrahlten ZDF-Dreiteiler „Das Adlon“ oder „Unsere Mütter, unsere Väter“ hatten jeweils deutlich über eine halbe Million Abrufe.

Es konzentriert sich auf ein paar Sender

Diese Zuschauer aber werden ebenso wie die Nutzer von Tablets und Smartphones wohl erst vom kommenden Jahr an mitgezählt. Auch wenn man mutmaßen kann, dass Privatsender dank ihres im Schnitt jüngeren Publikums davon stärker profitieren werden als ARD und ZDF, glaubt Berthoud nicht, dass sich durch das neue Messsystem allzu viel ändern werde, auch das ZDF erreiche über mobile Medien „bei jüngeren und mittelalten Nutzern Zahlen, die nicht unerheblich sind“.

Das wird wohl auch so bleiben: Der durchschnittliche Haushalt in Deutschland empfängt zwar achtzig Programme, aber achtzig Prozent der Sehdauer entfällt auf fünf bis sechs Sender. Ein Großteil der restlichen zwanzig Prozent verteilt sich auf vier bis fünf weitere Programme, der Rest wird kaum genutzt.