Als Einwanderungsland ist die Bundesrepublik Deutschland im internationalen Vergleich schon sehr liberal, sagen Experten. Sie werben aber für eine weitere Öffnung.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Armin Käfer (kä)

Berlin - Soll Deutschland seinen Wohlstand halten, dann wird es langfristig deutlich mehr Zuwanderer brauchen. Zu diesem Schluss kommen Christine Langenfeld und ihre Kollegen vom Sachverständigenrat der deutschen Stiftungen in ihrem neuen Jahresgutachten. 500 000 Einwanderer in jedem Jahr würden demnach gerade ausreichen, um das Arbeitskräfteangebot stabil zu halten. Die Einwanderung zu gestalten und für Akzeptanz zu werben sei „eine der größten Herausforderungen für die deutsche Politik seit dem Ende des Zweiten Weltkriegs“, sagte die Vorsitzende des Expertengremiums.

 

Dem Gutachten zufolge zählt Deutschland heute zur „Riege fortschrittlicher Einwanderungsländer“. Gerade im Bereich der Arbeitsmigration sei die Bundesrepublik „mittlerweile selbst zu einem Vorreiter geworden“. Der ewige Vergleich mit klassischen Einwanderungsländern, insbesondere mit Kanada, führe nicht weiter. Die SPD wäre demnach auf dem Holzweg. Sie will die Einwanderung in Deutschland nach einem Punktesystem wie in Kanada regeln. Der Sachverständigenrat vermisst hingegen vor allem ein Gesamtkonzept: „Eine erfolgreiche Migrations- und Integrationspolitik umfasst weit mehr als nur liberale Gesetze“, sagt Christine Langenfeld.

„Stärker als Einwanderungsland positionieren“

Deutschland müsse sich international „sehr viel stärker und glaubwürdig als Einwanderungsland positionieren“. Dabei gelte es, die Perspektive auf Länder außerhalb der Europäischen Union zu verlagern. Süd- und Osteuropa würden wegen der demografischen Entwicklung dort mittelfristig als Reservoir für neue Arbeitskräfte ausfallen. Eine geradezu „ideale Arbeitsmigration“ sei der Zuzug ausländischer Studenten – und ihr Verbleiben in Deutschland nach dem Examen. Sprachbarrieren und Vorbehalte bei Unternehmen seien aber noch große Hemmnisse. Die Notwendigkeit, um weiteren Zuzug zu werben, „muss der Bevölkerung in Deutschland offensiv vermittelt werden“, mahnen die Experten in Sachen Migration.

Sie machen sich auch dafür stark, die Flüchtlingspolitik in der Europäischen Union neu zu regeln. Dabei wollen sie an dem Prinzip festhalten, dass die Länder für ein Asylverfahren zuständig sind, in denen die Flüchtlinge zunächst ankommen. Sie müssten dafür aber Hilfen aus Brüssel erhalten. Wenn Flüchtlinge als Asylanten anerkannt sind, dann sollen sie frei wählen dürfen, in welchem europäischen Land sie sich niederlassen wollen.

Plädoyer für ein neues Asylverfahren in Europa

Falls sich ein solches Verfahren etablieren ließe, so würde das für Deutschland bedeuten, dass weniger Asylbewerber einreisen, aber mehr anerkannte Asylanten. Diese könnten dann aber sofort nach einer Arbeit suchen und für ihren Lebensunterhalt selbst aufkommen.

Europa müsse sich auf ein einheitliches Bleiberecht zubewegen, fordert der Sachverständigenrat. Vorrangig sei jedoch ein Soforthilfeprogramm, das Flüchtlingen zumindest vorübergehend Schutz biete. Dazu sei eine „Lastenteilung“ nötig, etwa auf der Basis „fairer Aufnahmequoten“, die für alle EU-Länder verbindlich werden müssten. Solche Quoten sollten neben dem Bevölkerungsanteil auch das jeweilige Arbeitskräfteangebot in den einzelnen Ländern sowie deren Wirtschaftskraft berücksichtigen. Europa müsse auch Armutsflüchtlingen in begrenztem Maße legale Zugangswege eröffnen, etwa durch Mobilitätspartnerschaften und Verträge mit einzelnen Ländern über eine zirkuläre Migration – im Klartext: die zeitlich befristete Aufnahme von Flüchtlingen als Arbeitskräfte oder zur Ausbildung.

Die Integrationsbeauftragte der Bundesregierung, Aydan Özoguz (SPD), forderte vor dem Hintergrund des Gutachtens erneut ein Einwanderungsgesetz. „Deutschland ist als Einwanderungsland zwar besser als sein Ruf, aber es fehlt noch immer an einer stimmigen Einwanderungspolitik aus einem Guss, die von unserer Bevölkerung nachvollzogen werden kann“, sagte sie. Gegen ein Einwanderungsgesetz gibt es vor allem in der Union Vorbehalte.