Die drohende Konkurrenz durch Aldi lässt die Chefs der CAP-Märkte in Ober- und Untertürkheim um die Arbeitsplätze teils behinderter Mitarbeiter und die Nahversorgung der Älteren fürchten. Sie wehren sich.

Stuttgart – - Die Verwaltung habe mit ihrem Plädoyer für den freien Markt und der Ansiedlung eines Aldi im Ortskern von Untertürkheim den Eindruck erweckt, die fußläufige Versorgung mit Lebensmitteln und die Beschäftigung von Behinderten durch die gemeinwohlorientierten CAP-Märkte sei entbehrlich. Werner Neubrandt und Gerhard Sohst von der Caritas-Tochter Markt & Service verweisen aber auf ihre Bedeutung für die Gesellschaft.

 
Herr Sohst, Herr Neubrandt, wir sitzen hier im Café Ihres CAP-Markts im Zentrum von Obertürkheim. Seit wann ist dieser Laden geöffnet und wen beschäftigen Sie hier?
Gerhard Sohst Wir haben, nachdem der Laden mehrere Jahre leer gestanden hatte, im Juli 2004 eröffnet und 2012 grundlegend modernisiert. Seit Mai 2014 wird auch der Vorkassenbereich mit Metzgerei, Backshop und Café-Lounge von uns betrieben. Seitdem ist die Café-Lounge wie ein Bürgertreff in Obertürkheim. Mittags verkaufen wir zwischenzeitlich zwischen 40 und 50 Essen jeden Tag. Derzeit arbeiten hier 23 Personen, wovon zwölf Menschen eine Behinderung haben.
Welche Art von Behinderung haben diese Beschäftigten?
Sohst In der Regel handelt es sich um körperlich und geistig schwer behinderte Menschen. Wir haben auch solche mit einer psychischen Erkrankung bei uns, wobei für uns die Art der Behinderung nicht im Vordergrund steht. Wichtig ist, dass wir sie entsprechend ihrer Kenntnisse und Fähigkeiten einsetzen können.
Angenommen, Sie müssten die CAP-Märkte tatsächlich schließen, würden die Menschen mit Behinderung in Ihren Neckartalwerkstätten schnell einen Ersatzjob bekommen?
Sohst Wohl eher nicht, der überwiegende Teil dieser Menschen wäre erst einmal arbeitslos. Gerade weil Menschen mit Behinderung aufgrund ihrer Handicaps große Probleme haben, einen Arbeitsplatz zu finden, gibt es Integrationsfirmen wie unsere, die auch diesen Menschen die Möglichkeit auf einen Arbeitsplatz einräumen.
Die Frage kommt nicht von ungefähr. Sie befürchten, Ihre beiden CAP-Märkte in Ober- und Untertürkheim wären in Gefahr, wenn in Untertürkheim in der Nachbarschaft ein Aldi-Laden eröffnen würde. Warum scheuen Sie die Konkurrenz?
Werner Neubrandt Weil wir davon ausgehen, dass die Umsatzeinbußen für den CAP-Markt in Untertürkheim mindestens 30 Prozent betragen. Etwa 900 000 Euro Umsatz pro Jahr weniger wären natürlich ein erheblicher Schlag für uns. Das fängt der Obertürkheimer Markt nicht auf, weshalb wir in die roten Zahlen rutschen würden. Beide Märkte gehören zur selben Firma und profitieren von Synergieeffekten.
Die Leute müssen ja nicht bei Aldi kaufen, sie könnten Ihnen die Treue halten.
Neubrandt Aldi hat bereits Läden in Bad Cannstatt, Wangen und Obertürkheim, es fehlt noch ein Laden für das Gebiet Untertürkheim und Luginsland. Deshalb bliebe die Kaufkraft zwar in Untertürkheim, aber eben nicht mehr nur bei uns, denn natürlich würde ein nicht unerheblicher Teil unserer 1000 Kunden täglich auch dort einkaufen. Ein Aldi-Markt muss schließlich heute zwischen fünf und sieben Millionen Euro Umsatz pro Jahr machen, wir haben in Untertürkheim zirka 2,8 Millionen Euro.
Haben Sie da Erfahrungen gemacht?
Sohst Nachdem 2005 Lidl seinen Markt in Untertürkheim geschlossen hat, stieg unser Umsatz rasch um 35 Prozent.
Die städtische Wirtschaftsförderin Ines Aufrecht sieht sich dem Vorwurf ausgesetzt, Ihre Bedenken nicht ernst genug zu nehmen. Die Stadt sagt, sie habe „mangels Einblicks in die Unternehmensstruktur“ darüber keine Aussage treffen können“.
Neubrandt Es gab ein Gespräch mit Frau Aufrecht. Darin haben wir kurz skizziert, was der Aldi für uns bedeuten würde. Natürlich gab es keine Einblicke in die Bücher, aber unsere Bilanzen sind ja veröffentlicht. Und es ist keine Frage, dass wir die Kennzahlen jederzeit präsentieren würden.
Jetzt gibt es in Obertürkheim bereits seit vielen Jahren einen Aldi, Ihr CAP-Markt überlebt trotzdem. Das ist doch ein Widerspruch zu Ihren Aussagen.
Neubrandt Das hat damit zu tun, dass dieser Aldi so weit außerhalb des Stadtteils an der Grenze zu Esslingen-Mettingen liegt und deshalb von den Obertürkheimern nur schlecht fußläufig erreichbar ist. Die Situation in Untertürkheim stellt sich ganz anders da, dort wäre der Aldi zirka 50 Meter vom CAP-Markt entfernt. Die negativen Aspekte dazu sind ja auch in einem Gutachten genannt.
Dass aber, so ein weiterer Vorwurf gegen die städtische Wirtschaftsförderin, von ihr unter Verschluss gehalten worden sein soll.
Sohst Weil es zu einem Ergebnis kommt, das Frau Aufrecht wohl so nicht hören wollte, nämlich, dass man sich im Klaren sein muss, dass die Aldi-Ansiedlung für uns das Aus bedeuten würde. Uns ist das Vorgehen völlig unverständlich. Natürlich muss das Gutachten öffentlich diskutiert werden.
Anders als die Konzerne liefern Sie auch frei Haus. In welchem Umfang geschieht dies und wer nimmt den Service in Anspruch?
Neubrandt Den kostenlosen Lieferservice in Ober- und Untertürkheim nutzen vor allem geheingeschränkte Menschen. Das sind etwa 50 Kunden pro Woche. Der Mindesteinkaufswert beträgt 20 Euro.
Die Stadt glaubt, Sie verbesserten Ihre Überlebenschance, wenn Sie Ihr Angebot modifizieren würden. Wie sehen Sie das?
Sohst Was sollen wir umstellen? Wir sind ein breit aufgestellter Vollsortimenter, werden zu 95 Prozent von Edeka beliefert. Nur fünf Prozent der Produkte können wir frei von Lieferanten einkaufen, etwa Wein von hiesigen Wengertern oder Hochland-Kaffee. Aldi und Lidl sind mittlerweile auch kleine Vollsortimenter, bieten genauso Frische- und Molkereiprodukte an wie wir. Die Aussage der Stadt ist deshalb unlogisch.
Frau Aufrecht räumt Ihnen nur eine Lückenbüßerfunktion ein: Sie gingen in Leerstände, wenn der „freie Einzelhandel“ nicht funktioniere und müssten folgerichtig aufgeben, wenn dieser ein Interesse habe. Läuft es so?
Neubrandt Wir wissen, was der sogenannte freie Markt anrichten kann. Ihn als Maß aller Dinge zu begreifen, finden wir fragwürdig. Wir sind ein gemeinwirtschaftliches Unternehmen, das nicht die private Gewinnmaximierung zum Ziel hat, sondern Gemeinwohlaspekte berücksichtigt. Wir gewährleisten als Vollsortimenter die Nahversorgung mit Lebensmitteln, bieten einen Lieferservice an und beschäftigen zudem noch schwerbehinderte Menschen.
Die Stadt versucht den Eindruck zu erwecken, Sie würden nur einen Marktstand betreiben, den man schnell abbauen kann.
Neubrandt Ich weiß nicht, ob sich Vertreter der Verwaltung unsere Märkte schon einmal angeschaut haben. Das sind keine Projektläden, die man von heute auf morgen zumachen kann. Wir haben zudem eine Verantwortung gegenüber unseren Beschäftigten und Kunden. Unsere Gesellschaft hat als Integrationsunternehmen Zuschüsse vom KVJS, das ist der Kommunalverband für Jugend und Soziales, und von der Aktion Mensch für die Ladeneinrichtung und die Modernisierung bekommen. Das zeigt doch deutlich: Wir sind keine spleenigen Typen, die mal was probieren, sondern setzen auf Nachhaltigkeit.
Sie behaupten nun auch, Ihnen sei seinerzeit von der Stadt ein Konkurrenzschutz zugesagt worden.
Sohst So ist es. Als wir 2003 angefragt wurden, ob wir uns vorstellen könnten, in Ober- und Untertürkheim in den leer stehenden Immobilien CAP-Märkte einzurichten, teilte das Stadtplanungsamt der Caritas mit, dass auf längere Sicht sich die Konkurrenzsituation in Unter- und Obertürkheim für den Lebensmitteleinzelhandeln nicht in größerem Ausmaß verändern wird. Das hat uns geleitet, ins wirtschaftliche Risiko zu gehen und die CAP-Märkte zu eröffnen.
Wäre es nicht sinnvoll, Ihr Modell auf andere Stadtteile auszudehnen, in denen es auch Nahversorgungsdefizite gibt?
Neubrandt Wir würden ja gerne expandieren, sind auch auf der Suche nach einem dritten Markt. Aber aufgrund unseres Konzepts und des Festanstellungsprinzips brauchen wir eine gewisse Umsatzgröße und mindestens 600 Quadratmeter Ladenfläche. Diese finden wir aber nur selten. Die Stadt fragte etwa bei uns an, nachdem Schlecker in Rohracker zugemacht hat, so wie sie bei solchen Leerständen immer auf die sozialwirtschaftlichen Unternehmen zukommt, weil man die großen Privaten gar nicht fragen muss. Aber bei nur 300 Quadratmeter Ladenfläche ist das betriebswirtschaftlich auch für uns nicht darstellbar.
Müsste dann nicht die Stadt die Rahmenbedingungen verbessern, um den Bürgern eine Nahversorgung zu ermöglichen?
Sohst Natürlich ist bei diesen Gesprächen die Wirtschaftsförderung dabei. Aber es ist eben so, dass die Immobilien in Privatbesitz sind und deshalb eine bestimmte Miete verlangt wird. Darauf hat die Stadt keinen Einfluss. Und um eines klarzustellen: Wir bekommen von der Stadt keine Subvention. Zuschüsse erhalten wir vom KVJS für die Beschäftigung von behinderten Menschen. Es ist also nicht richtig, wenn hier von einem subventionierten Arbeitsmarkt gesprochen wird. Wir sind ein Unternehmen, das sich wie jedes behaupten muss.
So könnte jedes private Unternehmen den Minderleistungsausgleich in Anspruch nehmen, wenn er Behinderte einstellt?
Neubrandt Grundsätzlich ja, die Details sind im neunten Sozialgesetzbuch geregelt. Die Gegenleistung für die Zuschüsse ist die Beschäftigung besonders betroffener schwerbehinderter Menschen. Uns gibt es, weil es der freie Markt nicht hinbekommt, schwerbehinderte Menschen in einem ausreichenden Maße zu beschäftigen. Wir bieten zudem eine Vollsortimentsversorgung, die Gemeinwohlorientierung und Beschäftigung von behinderten Menschen.
Ob Aldi nach dem Erwerb der Post einen Markt eröffnen darf, hängt von der Stadt ab, die dafür einen Parkplatz verkaufen müsste. Es gibt also eine politische Entscheidung.
S ohst Deshalb appellieren wir an den Gemeinderat, das Grundstück nicht zu verkaufen. Wir haben dafür schon positive Signale erhalten. Es gibt sicher Branchen, die eher geeignet sind, dem negativen Trend in Untertürkheim entgegenzuwirken als ein Aldi-Markt. Und noch mal: Es gibt in Untertürkheim keine Unterversorgung mit Lebensmitteln.