Eine ehemalige Karstadt-Verkäuferin berichtet, wie die Mitarbeiter in Stuttgart zehn Jahre lang vergebens um den Erhalt ihrer Filiale gekämpft haben – den Verzicht auf Gehalt und Urlaubstage inklusive.

Stuttgart - Antonia Dehner hat schon im Einzelhandel gearbeitet, da schlossen die Läden an Samstagen noch um 14 Uhr ihre Türen. Einen großen Teil ihres Berufslebens hat die 66-Jährige in der Lebensmittelabteilung bei Karstadt an der Königstraße gearbeitet. Wenn sie an die vergangenen zehn Jahre zurückdenkt, kämpft die Rentnerin immer wieder mit den Tränen. „Wir haben so viel für unser Haus geopfert“, sagt sie. Trotzdem wird das Warenhaus an der Ecke zur Schulstraße im Sommer dieses Jahres geschlossen.

 

1993 hatte Antonia Dehner in dem Gebäude angefangen, aus dem Karstadt nun bald verschwinden soll. „Damals war es noch ein Hertie“, erinnert sie sich. 1996 wurde das Gebäude dann von Karstadt übernommen. Der Konzern sprach anlässlich der prunkvollen Eröffnung von einem „Weltstadt-Warenhaus“. TV-Prominenz und OB wurden eingeladen – ganz ähnlich wie jüngst bei den Eröffnungen der neuen Einkaufszentren Gerber und Milaneo.

Die Sparrunden beginnen 2004

„Schon damals wurde nur ein gewisser Teil der Mitarbeiter übernommen“, sagt Dehner. Doch die tatsächlichen Sparrunden begannen erst einige Jahre später. „Das hat 2004 angefangen“, erzählt die ehemalige Verkäuferin. „Wir haben auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld verzichtet und bekamen weniger freie Tage“, berichtet die Rentnerin. „Alle Mitarbeiter wollten etwas dazu beitragen, ihren Arbeitsplatz und den Betrieb zu retten“, sagt Antonia Dehner.

Dann folgten immer neue Einschnitte und Stellenstreichungen. „Die ständige Angst, ob es einen diesmal trifft oder nicht, geht an die Substanz“, erinnert sich Dehner. Zudem sei nie direkt mit den Betroffenen gesprochen worden, kritisiert die Rentnerin. „Neuigkeiten haben wir immer aus der Zeitung erfahren“, sagt sie.

Das Aufopfern für das Unternehmen sei so weit gegangen, dass man ein schlechtes Gewissen bekommen habe, wenn man trotz hohem Fieber nicht zur Arbeit erschienen sei, erzählt die 66-Jährige. Sie zieht einen Brief aus einem dicken Ordner hervor, in dem sie Fotos aus ihrer Zeit hinter der Käsetheke gesammelt hat. Es gebe keinen Grund sich zu schämen, wenn einem die Puste ausgehe, heißt es in dem Schreiben ihrer ehemaligen Vorgesetzten. „Das habe ich bekommen, nachdem ich mich dafür entschuldigt habe, dass ich es wegen eines Gebrechens nicht zur Arbeit geschafft habe“, erinnert sie sich. „Durch den ständigen Druck bin ich ernsthaft krank geworden“, sagt sie. Das einzige, was in dieser Zeit Trost gespendet habe, seien kleine Präsente von Kunden oder deren Zuspruch gewesen. „Das war das einzige Lob, das wir bekommen haben“, sagt sie.

Familienväter stehen vor dem Nichts

Im Juli 2011 ist Antonia Dehner schließlich in Rente gegangen. „Ich habe aus den Medien erfahren, dass die Filiale in Stuttgart geschlossen wird“, sagt sie und kämpft erneut mit den Tränen. Mit den ehemaligen Kollegen hat sie bis heute guten Kontakt. „Das hat mir den Hals zugeschnürt.“ Man habe sich getroffen und einander Zuspruch gespendet, so Dehner. „Da waren Familienväter dabei, die geweint haben, weil sie nicht wissen, wie es in Zukunft bei ihnen weitergehen soll“, sagt sie.

Im Lauf des Jahres wird Karstadt seinen Betrieb an der Königstraße 27 bis 29 einstellen. Die Nachricht, dass ausgerechnet die Stuttgarter Filiale geschlossen wird, kam selbst für viele Experten überraschend. „Bei uns sind alle davon ausgegangen, dass es in Stuttgart weitergeht“, sagt auch Antonia Dehner. Allein aus diesem Grund habe die Belegschaft so viele Opfer für das Unternehmen gebracht, berichtet sie. Für die ehemalige Verkäuferin kommt es einem Schlag ins Gesicht gleich, dass der Gebäudeeigner, die österreichische Signa-Holding, in Stuttgart künftig lieber über Fremdvermietung als mit der Leistung der eigenen Angestellten Geld verdienen will.

Keine Berater mehr für die Kunden da

Nach Meinung von Antonia Dehner war der jahrelange Jobabbau einer der entscheidenden Gründe für die Probleme des Warenhauses Karstadt. „Dort, wo früher fünf oder sechs Verkäufer gearbeitet haben, sind heute nur noch einer oder maximal zwei unterwegs“, berichtet sie. „Die Kunden finden also niemanden mehr, der ihnen weiterhelfen könnte, und die Mitarbeiter haben dadurch keine Zeit mehr, um anständig zu beraten“, sagt sie und fügt an: „Da ist es klar, dass die Menschen lieber im Internet einkaufen als in der Stadt.“

Die ehemalige Verkäuferin lebt heute von einer kleinen Rente. „Das reicht nicht, um eine Miete zu bezahlen“, sagt sie. Aus diesem Grund ist sie zu ihrer Schwiegertochter nach Flacht bei Leonberg gezogen. „Ich helfe im Haushalt und kümmere mich um die Kinder, wenn die Eltern arbeiten gehen“, sagt sie. Viele ihrer ehemaligen Kollegen müssten dagegen im Ruhestand kleine Jobs annehmen, um überhaut irgendwie über die Runden zu kommen, sagt Antonia Dehner.