Der ehemalige OB-Kandidat Ralph Schertlen drückt im Stuttgarter Rathaus die Hinterbank. Mitunter sorgt er mit skurrilen Debattenbeiträgen und Anträgen für Ärger bei seinen Stadtratskollegen.

Stuttgart - Menschen, die Ralph Schertlen näher kennen, bescheinigen ihm durchaus einen gewissen Hang zur Selbstüberschätzung. Bei der OB-Wahl 2012 war Schertlen als Einzelbewerber angetreten und warb damit, dass er sich als parteiloser Kandidat „neben zahlreichen eigenen Ideen einfach die besten von allen Parteien herausgreifen kann, ohne es mir mit einem eigenen Lager zu verderben“. Die Wähler überzeugte er damit nicht: Schertlen kam im entscheidenden zweiten Wahlgang lediglich auf 0,2 Prozent der Stimmen. Mittlerweile ist der verhinderte OB aber doch im Rathaus angekommen: Als Einzelstadtrat der Wählervereinigung „Die Stadtisten“ drückt der parteilose Ingenieur, der bei Bosch arbeitet, seit 2014 die Hinterbank im Kommunalparlament.

 

Vermutlich wäre er dort auch nicht weiter aufgefallen, wenn die achtköpfige Fraktionsgemeinschaft SÖS-Linke-Plus nach der Kommunalwahl nicht auf die Idee gekommen wäre, mit Schertlen eine Zählgemeinschaft zu bilden, um dadurch selbst mehr Sitze in den gemeinderätlichen Ausschüssen zu ergattern. Der Deal zahlte sich auch für den Einzelkämpfer, der eigentlich kein Anrecht auf Sitz und Stimme in einem Ausschuss hätte, aus: Er darf nun im wichtigen Umwelt- und Technikausschuss mitsprechen und mitstimmen. Bei strittigen Fragen kann ihm dort mitunter die Rolle des Züngleins an der Waage zufallen, wie in der vergangenen Woche bei der Entscheidung über das Genehmigungsverfahren für zwei umstrittene Windräder im Tauschwald zwischen Feuerbach und Weilimdorf. Mit seinem Votum gegen die Anlage sorgte er für ein Stimmenpatt im Gremium und eine Ablehnung der Vorlage – sehr zur Freude der CDU, die die Front der Windradgegner im Rat anführt.

E-Bikes gegen Windräder: Skuriler Kuhhandel

Nun gibt es durchaus Argumente, die gegen die Windräder im Tauschwald sprechen. Für Aufsehen und Ärger bei Grünen. SPD und SÖS-Linke-Plus, die sich für die Einleitung eines Prüf- und Genehmigungsverfahrens ausgesprochen hatten, sorgte Schertlen allerdings mit der Begründung seines Votums: Er habe sich gewundert, warum OB Fritz Kuhn (Grüne) nicht im Vorfeld der Entscheidung Gespräche mit ihm geführt habe. Auf den scherzhaften Zwischenruf von SPD-Fraktionschef Martin Körner, welches „Bonbonle“ er sich denn für seine Zustimmung gewünscht hätte, präsentierte Schertlen prompt seinen Wunschzettel: mehr E-Bikes und Segways für städtische Mitarbeiter – sozusagen im Tausch für den Tauschwald.

Politisch naiv bis skurril nennen das auch diejenigen Stadtratskollegen, die Schertlen durchaus wohlgesonnen sind. Andere sprechen dagegen von „Stammtischpolitik 2.0“, weil sich der Stadtrat zuvor via Facebook der Rückendeckung der Stadtistenbasis versicherte. Sie attestieren dem Mittvierziger, er sei kommunalpolitisch unbedarft; es fehle ihm an einer politischen Grundhaltung und vor allem am Verständnis rathausinterner Abläufe. „Gespräche zum Zwecke der Mehrheitsbeschaffung im Rat sind Sache der Fraktionen und nicht des OB“, sagt ein Ratsroutinier.