Der frühe Langstreckenschwimmer Christof Wandratsch hat fast alles gewonnen. Jetzt will der 49-Jährige in Burghausen einen ganz besonderen Weltrekord aufstellen – in einem eiskalten See.

Rems-Murr/ Ludwigsburg: Martin Tschepe (art)

Burghausen - Ein Wintertag in Burghausen. Die Sonne ist eben untergegangen. Dunkelheit legt sich über den Wöhrsee. Scheinwerfer beleuchten die Mauern der längsten Burg Europas, die über der bayerischen Stadt thront. Eine grandiose Kulisse. Draußen wird es trotzdem langsam ungemütlich. Das Seewasser: 4,5 Grad Celsius. Der Mann am Beckenrand: Christof Wandratsch, 49 Jahre, Eisschwimmer.

 

Der Ausnahmeathlet, der im Schwimmsport fast alles gewonnen hat, legt seine warme Jacke ab. Nur noch mit einer schnöden Badehose, mit einer Schwimmbrille und einer Badekappe bekleidet macht er sich bereit für das Training auf der 25-Meter-Bahn in seinem See. Auf dem Programm steht ein Testschwimmen zur Vorbereitung auf die 2. Aqua Sphere Ice Swimming German Open. Die offenen deutschen Meisterschaften im Eisschwimmen, einer hierzulande noch jungen Sportart, werden am zweiten Januarwochenende in Burghausen ausgetragen. Und wer mitmachen will, der sollte ein bisschen verrückt sein – schwimmverrückt. Das Wasser muss weniger als fünf Grad Celsius haben, sonst gelten die Rekorde im Eisschwimmen nicht.

Die aktuelle Bestzeit über die Königsetappe, den Kilometer, hält der bayerische Hauptschullehrer mit genau 13 Minuten. Wandratsch hat sie alle abgehängt, die deutlich jüngeren Konkurrenten. Viele von ihnen kommen aus dem Norden, aus Finnland und Sibirien zum Beispiel, wo Schwimmen im Eiswasser seit Jahrzehnten populär ist.

Schwimmbad, Ärmelkanal, Bodensee, Eiswasser

Wenn Wandratsch antritt bei einem Wettbewerb, dann will er gewinnen, oder einen neuen Rekord aufstellen. Das war schon immer so. Früher im Schwimmbad und später im Ärmelkanal und im Bodensee. Jetzt eben im Eiswasser.

„Go into the water.“ Auf dieses Kommando steigt Wandratsch, der sich speziell für das Kraulen in dem eiskalten See gut zehn Kilogramm angefuttert hat, ins Becken, wartet auf den Startschuss. „Biopren“, so nennt er seine natürliche Schutzhülle augenzwinkernd. Anders als bei gewöhnlichen Schwimmwettkämpfen ist ein Kopfsprung aus Sicherheitsgründen beim Eisschwimmen tabu, genauso wie die Rollwende und das Eincremen des Körpers. Der Schwimmer darf nicht komplett untertauchen, denn sonst hätten die Helfer im Notfall Probleme, ihn schnell zu finden. Und mit aufgetragenem Fett am Körper wäre der Sportler zu glitschig, für die Rettungstaucher also kaum zu greifen.

Krebsrot steigt er aus dem Wasser

Der Meister schwimmt die 40 Bahnen mit einem beeindruckenden Tempo. Ein paar Minuten Training im Eiswasser, das sei mindestens so anstrengend wie eine knackige Zwei-Stunden-Einheit im warmen Becken, hat Wandratsch unmittelbar vor dem Start seines 1000-Meter-Tests erklärt. Als der Mann, den in Burghausen fast alle kurz „Wandi“ rufen, später aus dem See steigt, ist er krebsrot, ziemlich aus der Puste, aber ganz zufrieden. Er bittet darum, die Zeit, die er für seine Paradestrecke gebraucht hat, nicht zu veröffentlichen. „Meine Konkurrenten müssen nicht wissen, wie gut ich drauf bin“, sagt er und grinst verschmitzt. Okay, also nur so viel: Wandratsch ist verdammt schnell unterwegs.

Früher war er auch schnell, aber bei weniger als 20 Grad lieber gar nicht im Wasser. Als Wandratsch vor einem Jahr in Murmansk bei null Grad erstmals Weltmeister im Eiswasser geworden ist, da haben einige seiner alten Konkurrenten mit dem Kopf geschüttelt.

Wandratsch hat 1991 bei der Europameisterschaft Gold über 25 Kilometer im Freiwasser gewonnen. Er hat 1993 bei einem 24-Stunden-Schwimmen mit 80,5 Kilometern einen Rekord aufgestellt, 2005 den Ärmelkanal in der Rekordzeit 7:03,52 Stunden durchschwommen. 2006 hat der Pädagoge die schnellste Schwimmzeit bei einem Ironman hingelegt: 3,8 Kilometer in 41:26 Minuten.

Die Suche nach der ultimativen Herausforderung

Zusammen mit seinem langjährigen Trainer Stefan Hetzer ist der Extremsportler ständig auf der Suche nach der nächsten ultimativen Herausforderung. Im Frühsommer 2013 hat Wandratsch als erster Schwimmer die Bodenseelängsquerung geschafft, ist in 20:41 Stunden nonstop fast 67 Kilometer weit geschwommen. Als Hetzer ihm wenig später feixend verkündete, dass er einen neuen Wettbewerb ausfindig gemacht habe, das Eisschwimmen, da hat der Christof dem Stefan erst mal einen Vogel gezeigt und sinngemäß erklärt: So einen Blödsinn werde er ganz bestimmt nicht machen. Es kam anders.

Seit Sommer ist Wandratsch wieder täglich im Wöhrsee. Er hat seinen Körper ganz langsam an die sinkenden Temperaturen gewöhnt. Und er hat ständig gefuttert, damit der Biopren auch gut wächst. Mit ein paar Gleichgesinnten hat er in Burghausen einen Verein für Eisschwimmer gegründet und dann die German Open erfunden. Er bietet Schwimmcamps für Eiskrauler an und hat denselben Sponsor wie der beste Schwimmer aller Zeiten, der US-Amerikaner Michael Phelps. Im Januar 2017 gehen in Burghausen die Weltmeisterschaften im Eisschwimmen über die Bühne. Die Sportler hoffen, dass ihre Sportart eines Tages olympisch wird – sie würden gerne bei den Winterspielen antreten.

Es ist kaum zu glauben: dieser Herr Wandratsch wird bald 50. Das Alter, sagt er, stehe bloß auf dem Papier, spiele für ihn keine Rolle. Nach seinem Eistest im Wöhrsee beaufsichtigt er ein paar Schützlinge, die sich auch ins Eiswasser trauen und für die German Open üben. Dann erzählt er von seiner neuesten Ideen, von dem Plan, die Eismeile am Nordpol zu schwimmen. Hinfahren würde er am liebsten mit einem sowjetischen Atom-U-Boot. Einen Kommandanten habe er schon gefragt. Könnte klappen, habe dieser erklärt. „Aber ich brache noch einen Sponsor, der 20 000 Euro auf den Tisch legt.“