Die Bundesregierung diskutiert über Hinweise an Touristen, von denen die türkische Wirtschaft abhängig ist. Nach einem Gespräch mit Kanzlerin Angela Merkel will sich Außenminister Sigmar Gabriel an diesem Donnerstag zum weiteren Vorgehen äußern.

Berlin - Vizekanzler Sigmar Gabriel (SPD) ist am Mittwoch eigens aus seinem Sommerurlaub zurückgekehrt, um mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über eine Kurskorrektur der deutschen Türkeipolitik zu beraten.

 

Nach Informationen dieser Zeitung liegt dabei die Option auf dem Tisch, dass das Auswärtige Amt seine Hinweise an deutsche Urlauber und Geschäftsleute deutlich verschärfen könnte. „Wenn das AA eine Reisewarnung ausspricht, bricht der Tourismusmarkt in der Türkei ein“, hieß es in hochrangigen Regierungskreisen. Eine Entscheidung aber ist noch nicht gefallen, allerdings wurde in Berlin eine öffentliche Stellungnahme Gabriels für den späten Donnerstagvormittag ankündigt.

Zudem existiert in der Bundesregierung die Hoffnung, dass vielleicht schon das öffentliche Spekulieren über diese Möglichkeit den türkischen Staatschef Recep Tayyip Erdogan zur Vernunft bringen könnte. So machte Gabriels Sprecher Martin Schäfer am Mittwoch bereits vage Andeutungen in diese Richtung: „Dass man sich Gedanken darüber machen muss, was so alles passieren kann, wenn man in die Türkei reist, ist offensichtlich.“ Er berichtete in der Bundespressekonferenz zudem – theoretisch – über die Auswirkungen einer offiziellen Reisewarnung. Ferienreisende erhalten in einem solchen Fall zumeist ihre Kosten erstattet. „Liegt für ein Land eine Reisewarnung des Auswärtigen Amtes vor“, heißt es auf der Internetseite des Ministeriums, „so wird von den Gerichten meist anerkannt, dass ein Fall erheblicher Gefährdung vorliegt.“

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen hatte eine solche Maßnahme schon am Dienstag gefordert: „Die Beschwichtigungspolitik der Bundesregierung in Sachen Türkei ist endgültig gescheitert und stellt eine Gefahr für deutsche Staatsbürger dar, weil jeder Deutsche in der Türkei als Geisel genommen werden könnte.“

Hintergrund der erneuten Eskalation ist die Verhaftung des deutschen Menschenrechtsaktivisten Peter Steudtner, der zusammen mit vier Kollegen am 5. Juli vor der türkischen Küste festgenommen und am Dienstag von einem Richter in Untersuchungshaft gesteckt wurde. Damit sind nach Angaben des Auswärtigen Amtes inzwischen neun Bundesbürger, vier davon auch mit einem türkischen Pass, unter „an den Haaren herbeigezogenen“ Vorwürfen in Haft. Regierungssprecher Steffen Seibert sprach davon, die Verhaftung Steudtners sei „ein durchschaubarer Versuch, Andersdenkende zu diskreditieren und zu kriminalisieren“. Er fordert im Namen der Bundesregierung die „unverzügliche“ Freilassung. „Das ist leider ein weiterer Fall, in dem aus unserer Sicht unbescholtene Menschen in die Mühlen der Justiz und damit auch in Haft kommen“, hatte Merkel bereits am Vorabend gesagt, „und deshalb ist das ein Grund zu allergrößter Sorge“. Am Mittwochvormittag wurde der türkische Botschafter ins Auswärtige Amt einbestellt.

„Genug ist genug, es reicht“, sagte SPD-Fraktionschef Thomas Oppermann: „Wer deutsche Menschenrechtsaktivisten oder Vertreter von Amnesty International unter absurden Vorwürfen verhaftet, stellt sich gezielt außerhalb unseres Wertekonsens.“ Ähnlich äußerte sich Rainer Arnold, der verteidigungspolitische Sprecher in Oppermanns Fraktion: „Wenn in der Türkei willkürlich Deutsche gefangen genommen werden, ist das Maß erreicht, an dem wir nicht mehr allein mit den Mitteln der Diplomatie vorgehen können, sondern eine klare Reaktion der Bundesregierung brauchen.“

In Arnolds Zuständigkeitsbereich fällt zudem, dass die türkischen Behörden einer Delegation des Bundestages den Besuch auf dem Luftwaffenstützpunkt Konya zumindest vorübergehend verweigern. Dort sind die Nato-Überwachungsflugzeuge vom Typ Awacs stationiert, die gegen die Terrormiliz des sogenannten Islamischen Staates im Einsatz sind. Da Besuche deutscher Parlamentarier bei den teilnehmenden Bundeswehrsoldaten jederzeit möglich sein müssen, wollen Merkel und Gabriel auch über die „Abwägung“ sprechen, ob der Kampf gegen den IS oder die Parlamentsrechte Vorrang haben sollen.