Der oberste Repräsentant der Evangelischen Kirche, Heinrich Bedford-Strohm, fordert eine bessere Seerettung von Flüchtlingen. Berlin müsse Druck auf die EU machen, sagt er im Interview.

Familie, Bildung, Soziales : Michael Trauthig (rau)

Würzburg - Alle Regierungsbeschlüsse müssten künftig vor der Umsetzung daraufhin überprüft werden, ob sie den ärmsten Ländern dieser Welt nützen oder dort Schaden anrichten. Das fordert Heinrich Bedford-Strohm. Der EKD-Ratsvositzende sieht diesen Check als ein Mittel, um langfristig Fluchtursachen zu bekämpfen.

 
Herr Bedford-Strohm, seit einem halben Jahr sind Sie EKD-Ratsvorsitzender. Wie lautet Ihre Bilanz?
Für eine Bilanz ist es zu früh. Ich stelle aber in vielen Gesprächen in Berlin und überall in unserem Land fest, dass die Kirchen nach wie vor gefragt sind, wenn es darum geht, welche ethische Orientierung wir der Gesellschaft geben wollen. Das hat mich in den den letzten Monaten immer wieder gefreut.
Haben Sie so viel Gefallen am Amt , dass Sie es länger wahrnehmen wollen als bis zum turnusmäßigen Ende im Herbst?
Ich rede nur über das Hier und Jetzt. Da kann ich sagen, dass mir meine neuen Aufgaben viel Freude macht. Manchmal ist es natürlich ein ziemlicher Kraftakt, meine beiden Ämter als Landesbischof und als EKD-Ratsvorsitzender terminlich zusammenzubringen.
Ließe sich Ihr Erfolg an der EKD-Spitze überhaupt quantifizieren?
In der Regel ist nicht messbar, was ich an öffentlichen Orientierungswirkungen erreichen kann. Ich gehe auch nicht an diese Aufgabe so heran, als dass ich mir Ziele stecke, die ich später abhaken kann. Ich gebe mein Bestes. Ich bin zutiefst überzeugt, von dem, was ich vertreten darf: Die Botschaft des Evangeliums hat eine ungeheure Kraft. Aus dieser Kraft handele ich, und den Erfolg lege ich in Gottes Hand.
Hängt die Abwanderung der Gläubigen auch damit zusammen, dass das EKD-Führungspersonal kaum bekannt ist?
Nein. Laut den Studien über unsere Mitglieder spielt für die Bindungswirkung der Kirche der Pfarrer vor Ort eine viel größere Rolle als die EKD-Spitze. Die wiederum ist wichtig, um Themen etwa gegenüber der Politik zu vertreten. Da hat die EKD eine wichtige und in Jahrzehnten gewachsene Funktion in unserem Land.
Bei Ihrer Wahl hatten Sie angekündigt, die Kirche solle sich politisch stärker einmischen. Das setzen Sie momentan offenbar vor allem in der Flüchtlingsfrage um.
Die Flüchtlingsfrage beschäftigt derzeit die Menschen und die Politik aus wirklich gutem Grund. Für uns Christen kommt noch etwas anderes hinzu. Denn hier wird auch die Verbindung zwischen unserem Glauben und unserem öffentlichen Engagement offensichtlich. Das Gebot zum Schutz der Fremdlinge zieht sich durch die ganze Bibel.
Wie beurteilen Sie da die jüngsten Beschlüsse des EU-Gipfels?
Als unzureichend. Wir dürfen es nicht zulassen, dass Menschen weiterhin in großer Zahl auf dem Mittelmeer sterben. Das heißt, eine EU-Seenotrettungs-Mission darf nicht auf die Gebiete vor den Küsten Europas beschränkt bleiben. Das wäre eine moralische Bankrotterklärung der EU. Ich appelliere an die Bundesregierung, Druck auf die EU auszuüben, dass es zu einer umfassenden Mission kommt.
Muss die Bundesrepublik selbst mehr Flüchtlinge aufnehmen?
Ich bekomme sehr persönliche E-Mails von Menschen aus dem Nordirak und Syrien, die ihre Angehörigen aus den umkämpften Gebieten in Sicherheit bringen wollen. Diese Verzweifelten sollten nicht auf Schlepperbanden angewiesen sein. Deshalb sind neue Resettlement-Kontingente nötig. So könnten die Betroffenen ohne eine zeitraubende Prüfung im Rahmen des Asylverfahrens und vor allem ohne gefährliche Fluchtwege Aufnahme finden. Daneben sollten mehr Möglichkeiten der legalen Zuwanderung von Migranten geschaffen werden.
Wie groß sollte ein solches Flüchtlingskontingent für Deutschland sein?
Aus meiner Sicht wäre ein Kontingent von 20 000 Flüchtlingen für die Bundesrepublik ein Schritt in die richtige Richtung. Der wird allerdings nicht ausreichen. Europa sollte insgesamt mehr tun und diejenigen Staaten in die Pflicht nehmen, die sich bisher kaum beteiligen.
Müssen da nicht die Kirchen auch eine gemeinsame internationale Aktion starten?
Darüber sind wir mit evangelischen Kirchen in Europa im Gespräch. Ich wünsche mir, dass wir gemeinsam einen Akzent setzen in die europäische Öffentlichkeit hinein.
Die moralische Pflicht zu helfen, ist politisch unbestritten. Schwierig wird es bei der Umsetzung: bei den Finanzen und im Umgang mit Protesten gegen Flüchtlingsunterkünfte.
Angesichts der hohen Steuereinnahmen hat der Staat noch genügend Spielraum, Flüchtlinge aufzunehmen. Am Geld darf es nicht scheitern, wenn es um das Leben von Menschen geht. Ansonsten müssen natürlich ausreichend Unterkünfte gebaut und diese möglichst so gelegt werden, dass einzelne Orte nicht zu stark belastet werden. Gefordert ist eine Exzellenzinitiative der Humanität.
Damit reden Sie der Nothilfe das Wort. Was muss sich aber langfristig ändern?
Wir sollten jetzt schon die Flüchtlingspolitik der Zukunft in den Blick nehmen. Das heißt: die Ursachen von Krieg und Gewalt sowie die Armut in vielen Teil der Welt bekämpfen. Die Kirchen kritisieren seit Jahren die Waffenexporte und die ungerechte Verteilung von Ressourcen auf dem Globus. Ich schlage vor, dass künftig alle Regierungsbeschlüsse einer „Eine-Welt-Verträglichkeitsprüfung“ unterzogen werden, um die Auswirkungen auf die armen Länder zu untersuchen und die entsprechenden Konsequenzen zu ziehen. Auch in die Beratungen über das Freihandelsabkommen TTIP gehört diese Perspektive hinein. Flüchtlingspolitik darf in Zukunft nicht nur Krisenmanagement sein.