Das Elektroflugzeug e-Genius, das an der Uni Stuttgart entwickelt wurde, ist Vorreiter für umweltfreundliche Luftfahrzeuge.  

Stuttgart - Im Modellbau sind sie schon seit vielen Jahren an der Tagesordnung: die elektrisch angetriebenen Motorsegler. Nun schickt sich der Elektromotor an, auch in großen Flugzeugen die Luft zu erobern. Einer der Pioniere dabei ist das Institut für Flugzeugbau der Uni Stuttgart mit dem Elektromotorsegler e-Genius.

 

Es ist schon nicht alltäglich, dass eine Universität über genügend Geld und technisches Wissen verfügt, um ein eigenes Flugzeug zu konstruieren und zu bauen. Und noch dazu eines, das technologisch ganz weit vorne fliegt. Rudolf Voit-Nitschmann, der Chef des Stuttgarter Flugzeugbau-Instituts, hat mit seinem Team dieses Kunststück fertig gebracht: Er hat 1,5 Millionen Euro an Sponsorengeldern eingeworben und damit den Elektromotorsegler e-Genius in die Luft gebracht. Anfang des Monats hat dieses Flugzeug sozusagen den internationalen Ritterschlag erhalten: Es hat den zweiten Preis beim internationalen Flugwettbewerb Green Flight Challenge 2011 der US-Luft- und Raumfahrtbehörde Nasa errungen - und dazu noch einen Sonderpreis für den leisesten Flieger. Mit nur 56 bis 72 Dezibel würde das Startgeräusch in normalem Verkehrslärm untergehen.

Dieser Tage nun hat Voit-Nitschmann über das Projekt und den "Ausflug" seines Teams nach Kalifornien berichtet: "Elektromobilität in der Luftfahrt - Das Elektroflugzeug e-Genius" hieß sein Vortrag, den er im Rahmen der Reihe "Fragen an die Wissenschaft" im Stuttgarter Rotebühlzentrum gehalten hat. Dabei wurde schnell klar, dass e-Genius nicht vom Himmel gefallen ist, sondern auf einer recht langen Tradition aufbauen konnte. Als Voit-Nitschmann, der in Stuttgart Luft- und Raumfahrttechnik studiert hat, nach 14 Jahren in der Industrie 1994 auf den Flugzeugbau-Lehrstuhl berufen wurde, gründete er umgehend das Forschungsgebiet Elektromobilität. Wenig später baute er zusammen mit seinen Studenten das Sonnenflugzeug Icaré, das seinen Strom mit Solarzellen auf den Flügeln produziert. Es gewann 1996 den mit 100.000 Mark dotierten Berblingerpreis beim Flugwettbewerb der Stadt Ulm. Und in diesem Sommer erflog Icaré laut Voit-Nitschmann mit einer Distanz von 420 Kilometern einen - noch nicht offiziell anerkannten - Weltrekord.

Ein umweltfreundliches und zukunftsträchtiges Flugzeug

Als eines der Nachfolgeprojekte entwickelte das Institut den Elektrosegler Hydrogenius, der mit einer Brennstoffzelle ausgerüstet werden sollte. Bereits der Entwurf des zweisitzigen Flugzeugs wurde 2006 ebenfalls mit dem Berblingerpreis ausgezeichnet. Allerdings blieb es beim Entwurf, weil "Daimler seine für Autos entwickelten Brennstoffzellen nicht für Flugzeuge zur Verfügung stellt", bedauert Voit-Nitschmann. Also musste man sich mit einer anderen Lösung behelfen: Man taufte das Flugzeug auf den Namen e-Genius um und rüstete es statt mit Brennstoffzellen mit Lithium-Ionen-Akkus aus. Insgesamt 5616 dieser auch in Laptops verwendeten Energiespeicher liefern nun bis zu 56 Kilowattstunden Strom für den Elektromotor, einen sogenannten dreiphasigen Synchronmotor mit Permanentmagnet.

Die Besonderheit: die Stuttgarter Flugzeugbauingenieure rüsteten nicht einfach einen vorhandenen Segler auf Elektroantrieb um - was technisch einfacher gewesen wäre -, sondern konstruierten ein neuartiges Flugzeug rund um den umweltfreundlichen und zukunftsträchtigen Antriebsstrang. Dabei waren die Ideen mehrerer Fachdisziplinen gefragt, weshalb Voit-Nitschmann betont, "dass wir das Flugzeug multidisziplinär optimiert haben".

Die auffälligste Neuerung: der Motor mit einer Leistung von 60 Kilowatt sitzt im Heck, was einen 15 bis 20 Prozent höheren Wirkungsgrad verspricht als ein vorne installierter Antrieb. Der Motor und die zugehörige Elektronik sind wassergekühlt.

E-Genius ist alltagstauglich

Auf Anhieb schaffte der Stuttgarter Motorsegler locker die Bedingungen des Nasa-Flugwettbewerbs: 320 Kilometer Flugstrecke mussten in weniger als zwei Stunden zurückgelegt werden, wobei weniger als 3,8 Liter (eine Gallone) pro Flugpassagier verbraucht werden durften (oder eine entsprechende Menge Strom). E-Genius kann bis zu 400 Kilometer weit fliegen und verbraucht nur 4,75 Kilowattstunden Strom pro 100 Kilometer und Passagier. Das entspricht 0,16 Liter Benzin.

Gleichwohl reichte es für die Stuttgarter in Kaliforniern nur zu dem mit 120.000 Dollar dotierten zweiten Platz. Sieger wurde der von der slowenischen Firma Pipistrel gebaute Doppelrumpfsegler Taurus G4. Während e-Genius bei der Endabrechnung 68 Punkte erhielt, brachte es die viersitzige Taurus dank des besseren "Passagierverbrauchs" auf 73 Punkte - und heimste damit eine Million Dollar Siegprämie ein. Zum Vergleich: das beste Flugzeug mit Verbrennungsmotor brachte es nur auf 35 Punkte. Allerdings halten sich die Stuttgarter zugute, dass ihr e-Genius alltagstauglich ist. Die Pipistrel dagegen sei bisher nur von zwei Testpiloten geflogen worden - und als Passagiere hätten die Slowenen Gewichtsdummies mitgenommen.

Chronik der Elektroflugzeuge

Erstflug Eine Batterieladung reichte im Jahr 1973 dem Österreicher Heino Brditschka, um seinen Elektromotorsegler auf mehr als 300 Meter Höhe zu bringen. Nach einigen Platz- runden landete er nach neun Minuten Flugzeit.

Solarsegler Seit 1980 experimentierten Tüftler und Forschergruppen mit Flugzeugen, die in der Luft mit Solarzellen auf den Flügeln Sonnenlicht in Strom umwandeln. In Deutschland hielt sich Günther Rochelt 1983 mit seiner Solair 1 fünfdreiviertel Stunden lang in der Luft – allerdings mit Thermikunterstützung. Die Universität Stuttgart hat den Solarflieger Icaré entwickelt. Und der Schweizer Bertrand Piccard will mit seinem Flugzeug Solar Impulse eine komplette Weltumrundung schaffen.

Vielfalt Weltweit gibt es bereits mehrere Elektromotorsegler. Dazu gehört der Antares der deutschen Firma Lange sowie der Taurus der slowenischen Firma Pipistrel. Die Universität Stuttgart will mit e-Genius die Alltagstauglichkeit von Elektroseglern beweisen.

Zukunft Große Verkehrsflugzeuge werden noch auf unabsehbar lange Zeit mit Kerosin fliegen. Experten halten es jedoch für realistisch, dass in fünf bis zehn Jahren Elektroflieger für bis zu sechs Passagiere in Serie gebaut werden. Auch Hybridantriebe sind denkbar.