Stuttgart ist extrem stark vom Verkehr belastet. Und bei der Entwicklung neuer Antriebe haben heimische Firmen nur zum Teil die Nase vorn.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Den Stuttgartern stinkt es, und zwar gewaltig: In der jüngsten Bürgerumfrage haben die Menschen den starken Straßenverkehr erneut auf Platz eins aller Probleme in der Stadt gesetzt; die schlechte Luftqualität und der hohe Lärmpegel kommen gleich dahinter auf Platz vier und sechs. Tatsächlich steckt Stuttgart in einem gewaltigen Dilemma: Es lebt vom Auto, und es leidet unter dem Auto.

 

Und zwar Letzteres wie kaum eine andere Stadt in Deutschland. Stuttgart rangiert unter den erfassten 14 Großstädten auf Platz drei, was die Fahrzeugdichte anlangt - 520 Autos kommen auf 1000 Einwohner. Allein die Stuttgarter Autos legen jährlich eine Strecke zurück, die 18-mal der Entfernung zum Mars entspricht. Das Neckartor hat traurige Berühmtheit erlangt als dreckigste Straßenecke der Republik. Und jährlich produziert jeder Stuttgarter mit seinem Auto 4,9 Tonnen Kohlendioxid, das gefährliche Treibhausgas.

Stuttgart ist deshalb weit davon entfernt, ökologischer Vorreiter in Sachen Mobilität zu sein, grüne Mehrheit im Rathaus hin oder her. Dabei müht sich die Stadt durchaus - was sie in den vergangenen Jahren angestoßen hat, ist beachtlich. So hat sie die Verkehrsleitzentrale aufgebaut, um Staus möglichst zu verhindern. Sie investiert große Summen in den öffentlichen Nahverkehr wie zuletzt in die Verlängerung der U6 zum Fasanenhof. Sie hat die Parkgebühren erhöht, um Autofahrer aus der Innenstadt fernzuhalten. Und sie will, was umstritten genug ist, auch neue Straßen bauen, wie den Rosensteintunnel oder die Filderauffahrt. Erfolgreich sind alle diese Maßnahmen nur bedingt. Der Schadstoffausstoß ist, vor allem dank neuer technischer Möglichkeiten, stark zurückgegangen; und die Zahl der angemeldeten Fahrzeuge in Stuttgart ist gesunken. Doch die Kilometerleistung geht weiter steil nach oben. Der Bürger, der gerne über die Verkehrsprobleme schimpft, ist halt auch bequem: Auf Platz drei der Bürgerumfrage landete die Kritik, dass es zu wenig Parkplätze gebe.

Es braucht eine ökologisch-technische Revolution

Die Lösung des Verkehrsproblems kann also nicht darin bestehen, am bestehenden System herumzudoktern - es braucht einen Quantensprung, es braucht eine ökologisch-technische Revolution. Neue Formen der Fortbewegung und neue Antriebstechniken für das Auto spielen dabei eine entscheidende Rolle. Stuttgart ist gar nicht so schlecht aufgestellt, denn hier sitzen viele namhafte Forschungseinrichtungen - so haben sich mehrere Institute der Universität Stuttgart zum Forschungsschwerpunkt Verkehr zusammengeschlossen. Auch die zwei großen Automobilbauer der Stadt haben die Zeichen der Zeit erkannt.

Noch stecken viele Entwicklungen dieser neuen Ära in den Kinderschuhen, aber manches ist schon sichtbar in der Stadt. An fast jeder Ecke laden die City-Fahrräder der Deutschen Bahn zu einer Tour durch die Stadt ein; das Auto soll auf der Kurzstrecke Konkurrenz bekommen. Hin und wieder summt auch ein Elektroroller fast lautlos vorbei - die EnBW hat 500 solcher Cityhüpfer an Testfahrer verteilt. Anderes schlummert noch in den Schubladen der Stadtplaner: Neue Stadtteile sollen so geplant werden, dass Autos ganz überflüssig werden oder dass sich die Bewohner wenige Autos teilen.

Die Brennstoffzelle ist im Kommen

Der Fokus in der Forschung aber ist gerichtet auf die Entwicklung neuer Antriebstechniken für Autos, Busse und Roller. Vier Stoßrichtungen sind dabei besonders stark. Erstens wird intensiv daran gearbeitet, den herkömmlichen Verbrennungsmotor weiter zu verbessern, um die Schadstoffe zu minimieren und den Verbrauch zu senken. Das ist deshalb wichtig, weil der Otto- und der Dieselmotor noch längst keine Auslaufmodelle sind. Nach Einschätzung der Experten wird er vermutlich noch mehrere Jahrzehnte der bestimmende Antrieb sein. In diesem Bereich besitzt Stuttgart nun gewaltige Stärken. Die Weltfirma Bosch gehöre zu den führenden Entwicklern neuer Technologien, sagt Willi Diez, Professor am Institut für Automobilwirtschaft der Fachhochschule Nürtingen-Geislingen. Auch bei Daimler und Porsche beschäftigen sich ganze Abteilungen mit nichts anderem als der Optimierung der bestehenden Verbrennungsmotoren.

Ein Teil unseres Wohlstands steht auf dem Spiel

Zweitens ist die Brennstoffzelle als Antriebstechnik im Kommen - Daimler forscht seit mehr als 20 Jahren an diesem Motor und hat weltweit das beste Know-how. Man tankt Wasserstoff, am Ende strömt Wasserdampf aus dem Auspuff. Gerade sind drei B-Klasse F-Cell auf einer Weltreise, um zu zeigen, wie leistungsfähig die Fahrzeuge sind. Die Probleme der Brennstoffzelle sind aber groß. Laut Florian Rothfuss vom Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft in Stuttgart ist die Technik noch sehr teuer, und die Verbrauchskosten seien ähnlich hoch wie bei einem Benzinmotor. "Es wird eine sehr große Herausforderung, die Brennstoffzelle in den nächsten Jahren zur Serienreife zu bringen", so Rothfuss. Klar aber ist: "Die Region Stuttgart ist in diesem Bereich superstark." Die Reichweite liegt derzeit bei bis zu 400 Kilometer, was ein gewaltiger Vorteil gegenüber den schwachbrüstigen Batterien der Elektroautos ist. Womöglich erhält die Brennstoffzelle gegenüber den E-Autos bald wieder Oberwasser - denn mit der Abschaltung der Atomkraftwerke könnte der Strom deutlich teurer werden.

Drittens arbeiten die Autobauer fieberhaft daran, immer mehr Modelle auch als Hybridfahrzeuge anzubieten, die sowohl einen Benzin- als auch einen Elektromotor haben. Porsche hat den Cayenne mittlerweile als Hybrid im Angebot. Daimler ist vor allem bei den Hybrid-Nutzfahrzeugen stark; bei den Limousinen gibt es aber bis jetzt nur die S-Klasse mit der neuen Technik. Insgesamt haben die japanischen Autobauer, allen voran Toyota, die Nase vorn. Stuttgart holt nur langsam auf.

Auch bei der vierten und derzeit wichtigsten Antriebsform ist Stuttgart im Rückstand - dem Elektrofahrzeug. Der Schlüssel ist die leistungsfähige Batterie, und dabei sind Firmen in den USA und Japan deutlich weiter. Zumindest gibt es Kooperationen, wie jene von Daimler mit der kalifornischen Firma Tesla Motors. Am Dienstag haben Bosch und Daimler nun verkündet, bei der Entwicklung und dem Bau von Elektromotoren zusammenzuarbeiten, was der Region einen Schub geben könnte. Willi Diez hält solche Zusammenschlüsse für unbedingt erforderlich, weil die nächsten fünf Jahre darüber entscheiden, wo die Global Player sitzen. Auch ein Teil unseres Wohlstands steht dabei auf dem Spiel. Florian Rothfuss ist aber optimistisch, dass die Region den Technologiewandel schafft: "Die Unternehmen in der Region haben es drauf, sehr schnell Kompetenzen aufzubauen."

Die Chancen

Keine Schadstoffe: In vielen herkömmlichem Autos stecken heute kleine Chemiefabriken – sie filtern die Schadstoffe aus den Abgasen. Auch beim Verbrennungsmotor vollzieht sich gerade eine kleine Revolution. Beim Hybridfahrzeug werden Schadstoffe weiter minimiert, beim E-Auto und bei der Brennstoffzelle werden überhaupt keine schädlichen Emissionen mehr produziert.

Geringere Kosten: Auf lange Sicht haben die Fahrzeuge mit neuen Antriebssystemen den erfreulichen Nebeneffekt, dass sie das Autofahren günstiger machen. Die Anschaffung ist zwar teurer, aber der geringere Benzin- verbrauch oder der billigere Strom machen sich binnen weniger Jahre bezahlt. Beim Hybridmodell der S-Klasse liegt der Mehrpreis bei zehn Prozent oder 9000 Euro.

Die Probleme

Kosten: Vorerst hat das reine Elektroauto nur geringe Marktchancen, weil es wegen der Batterie um rund 15.000 Euro teurer ist als ein konventionelles Auto. Die meisten Menschen kaufen aber nur ein E-Auto, wenn es zu einem vertretbaren Preis erhältlich ist und ähnliche Leistungen wie herkömmliche Autos bietet.

Reichweite: Bis jetzt müssen Elektroautos nach spätestens 130 Kilometern wieder an die Steckdose. Außerdem dauert das Laden der Batterie mehrere Stunden.

CO2-Bilanz: Der Strom für ein Elektroauto sollte aus erneuerbaren Energiequellen stammen. Denn sonst fällt bei der Produktion des Stroms unter Umständen mehr Kohlendioxid an, als das E-Auto gegenüber dem Fahrzeug mit Verbrennungsmotor vermeidet.

Was jeder tun kann

Fahrrad: Die Anmeldung zum Call-a-Bike- System ist etwas umständlich, doch es ist überaus praktisch, das Rad an einer Stelle zu mieten und an einer anderen Stelle wieder abzugeben. Warum nicht mal ausprobieren?

Spritsparen: Der ADAC in Stuttgart bietet Kurse an, wie man spritsparend Auto fährt. Das entlastet Geldbeutel und Klima, weil bis zu 30 Prozent weniger Benzin verbraucht wird.

Hybridauto: Echte Elektroautos sind noch selten, aber beim Hybrid bieten viele Hersteller schon bezahlbare Modelle an. Die Mehrkosten bei der Anschaffung sollen sich nach vier bis acht Jahren amortisiert haben. Warum vor dem nächsten Autokauf nicht nachrechnen?

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