Deutschland soll Leitmarkt für strombetriebene Fahrzeuge werden. Voraussetzung dafür ist nicht zuletzt eine flächendeckende Ladeinfrastruktur. Deren Aufbau fördert Berlin – hat aber wenig Ahnung vom Stand der Dinge.

Stuttgart - Freudenstadt ist absolutes Entwicklungsland. Und auch in Karlsruhe herrscht der pure Mangel. Sieht man sich das Verzeichnis von Ladesäulen für Elektroautos auf der Seite der Bundesnetzagentur (BNetzA) im Internet an, fehlen in vielen baden-württembergischen Kreisen Stromtankstellen. In Freudenstadt etwa soll es nicht eine einzige geben. In der 300 000-Einwohner-Stadt Karlsruhe gerade einmal zwei – und im gesamten Bundesland Saarland gar nur acht.

 

Keine einzige Säule im ganzen Landkreis Freudenstadt? Da kann etwas nicht stimmen. Denn sieht man auf der privat betriebenen Internetseite Goingelectric nach, so sind durchaus mehrere Stromtankstellen in dem Nordschwarzwaldkreis verzeichnet: vier alleine in der Gemeinde Freudenstadt selbst. Weitere in anderen Gemeinden des Kreises. Und auch um den Stadtkreis Karlsruhe, wo ja der größte baden-württembergische Versorger, die EnBW, sitzt, ist es nicht so schlecht bestellt, wie die Bundesnetzagentur glauben macht. 32 Stromtankstellen findet Goingelectric in der Stadt. Alleine 18 betreibt die EnBW.

Die Bundesnetzagentur erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit

Seit dem 18. April 2017 veröffentlicht die Bundesnetzagentur die im Rahmen der Ladesäulenverordnung (LSV) gemeldeten Daten zur öffentlich zugänglichen Ladeinfrastruktur in Deutschland. Zurzeit (Stand 7. Juni) verzeichnet die Behörde deutschlandweit gut 5000 Ladesäulen mit bis zu vier Ladepunkten. Die Internetseite Goingelectric – 2011 auf Privatinitiative gegründet und bestückt mit Daten aus der Nutzergemeinschaft – kommt auf mehr als 12 000 Säulen.

Einen Anspruch auf Vollständigkeit erhebt die Netzagentur nicht und räumt ein: „Weil die LSV keine lückenlose Meldung der gesamten deutschen Ladeinfrastruktur vorschreibt, ist die Zahl der öffentlich zugänglichen Ladesäulen in Deutschland höher als hier angegeben“, heißt es in den Bemerkungen zur Ladesäulenkarte im Internet. Nicht von der Anzeigepflicht betroffen seien etwa Normalladepunkte, die vor dem 17. März 2016 aufgebaut worden seien.

Einen Rückstau von Meldungen gibt es offenbar nicht

Auch das Verkehrsministerium im Land kann nicht weiterhelfen. Eine Sprecherin verweist an die Bundesnetzagentur, wenn es um eine Liste von Ladesäulen im deutschen Südwesten geht. Gleiches beim Bundeswirtschaftsministerium und beim Bundesministerium für Verkehr, die im Internet seitenweise über die Bemühungen der Bundesregierung informieren, die Elektromobilität voranzubringen und mit 300 Millionen Euro auch den Ausbau der Ladeinfrastruktur zu fördern. Allerdings ist das Ziel denkbar weich formuliert: „Bis 2020 sollen viele weitere der besonders aufwendigen und damit teuren Schnellladepunkte an den Verkehrsachsen und in den Metropolen verfügbar sein“, heißt es auf den Ministeriumsseiten.

Dazu passt, dass die Regierung offenbar auch nicht weiß, wie viele Ladesäulen es derzeit schon gibt. Sie verfügt nur über das lückenhafte Verzeichnis der Bundesnetzagentur. Die verweist unter anderem auch darauf, dass die Ladepunktbetreiber der Veröffentlichung ihrer Infrastruktur auf der Homepage der Behörde widersprechen können. Zudem sei es, heißt es auf Nachfrage in Bonn, „nicht auszuschließen, dass sich die Differenzen in den Zahlen zumindest teilweise auch durch fehlende Meldungen durch die Ladesäulenbetreiber erklären lassen“. Einen Rückstau von Meldungen gebe es jedenfalls nicht.

Ladesäulenbetreiber scheuen den bürokratischen Aufwand

„Die Meldepflicht der BNetzA ist ein reiner Papiertiger“, sagt dazu ein Kenner der Materie, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will. Der Aufwand, die Ladeeinrichtungen an die BNetzA zu melden, sei viel zu hoch, und weder die Betreiber noch die Nutzer hätten irgendeinen Mehrwert von einer Meldung. „Echte Zahlen bekommt man nur über die Community-basierten Verzeichnisse“, sagt er und meint in erster Linie Goingelectric.

„Die Erstellung der Ladesäulenkarte durch die Bundesnetzagentur ist ein erster und wichtiger Schritt“, sagt der baden-württembergische Verkehrsminister und entschiedene Elektromobilitätsbefürworter Winfried Hermann (Grüne) auf Anfrage unserer Zeitung. „In der jetzigen Ausprägung stellt diese in der Tat nur einen groben Überblick dar, welcher für Fahrer von Elektrofahrzeugen nur eingeschränkt von Nutzen ist.“

„Rausgeschmissenes Geld“

Das bestätigt auch Jana Höffner vom Verein Electrify BW, der sich die Förderung der E-Mobilität im Südwesten auf die Fahne geschrieben hat: „Ich kennen niemanden, der die Karte der Bundesnetzagentur benutzt – sie ist unvollständig und unbrauchbar.“ Weder könne man nach genauen Steckertypen suchen, noch gebe es Angaben darüber, zu welchen Uhrzeiten und mit welchen Ladekarten getankt werden könne. Ganz zu schweigen von mehr oder minder entscheidenden Komfortangaben, die Goingelectric bietet, wie etwa Störungsmeldungen oder Essgelegenheiten in der Umgebung, die die Wartezeit während des Ladens verkürzen helfen. „So ist das rausgeschmissenes Geld“, findet Höffner.

Der Bundesverband E-Mobilität weist darüber hinaus auf organisatorische Probleme der BNetzA-Karte hin: „Ein lückenhaftes Verzeichnis erschwert eine flächendeckende, objektive Berücksichtigung von Ladeinfrastrukturanträgen in Förderprogrammen und befördert einen Wildwuchs bei der Genehmigung“, sagt Rachid Ait Bouhou, Wissenschaftlicher Beirat für den Bereich Ladeinfrastruktur beim Verband. „Zudem lässt sich eine geordnete Planung des parallel verlaufenden, notwendigen Netzausbaus schwerer koordinieren.“ Auch Minister Hermann sieht Nachbesserungsbedarf: „Eine gute Informationslage ist wichtig, um den Ausbau der Ladeinfrastruktur bedarfsgerecht voranzutreiben. In der Folge muss dafür gesorgt werden, dass das Angebot weiter ausgebaut und vervollständigt wird.“