Viele Deutsche wollen einem Jungen oder Mädchen eine bessere Zukunft bieten. Doch Adoptionen sind als schnelle Hilfe nicht geeignet.

Stuttgart - Beim Adoptionsverein Help a child klingeln die Telefone rund um die Uhr, das Mailpostfach quillt über. "Unsere Helfer sind im Stress", sagt eine Mitarbeiterin. Unzählige Menschen in Deutschland möchten nach dem Erbeben ein Kind aus Haiti in ihrer Familie aufnehmen. Auch bei der Organisation Eltern für Kinder in Berlin stehen die Telefone nicht mehr still. "Wir haben aufgehört, die Anrufe zu zählen", sagt die Vorsitzende Martina Rethmeyer. Seit dem Erdbeben in Haiti melden sich sieben- bis achtmal so viele Adoptionswillige wie üblich.

Help a child mit Sitz in Kaltenengers bei Koblenz und Eltern für Kinder sind die einzigen freien Adoptionsvereine in Deutschland, die Kinder aus Haiti vermitteln dürfen und dafür auch staatlich geprüft wurden - entsprechend groß ist nun nach der Erdbebenkatastrophe der Ansturm auf diese beiden Organisationen.

"Die Menschen haben den Wunsch zu helfen, was wir auch gut verstehen", sagt Martina Rethmeyer. Doch dieser Wunsch könne nicht so einfach erfüllt werden. "Viele können sich gar nicht vorstellen, was eine Auslandsadoption überhaupt bedeutet." Vor allem jetzt nach dem fürchterlichen Beben: Das Kind muss sich nicht nur in eine fremde Kultur einleben, sondern auch die schrecklichen Erlebnisse der vergangenen Tage verarbeiten. "Wir müssen den Menschen klarmachen, dass eine Adoption ein langwieriger Prozess ist." Ein Auslands-Adoptionsverfahren zieht sich in Deutschland normalerweise bis zu drei Jahre hin: Die Eltern müssen Eignungsgespräche führen und in Kursen die Kultur des Kindes kennenlernen. Für die Kleinen, die durch das Beben schon einmal aus ihrem Zuhause gerissen wurden, darf eine Adoption kein zweites Trauma sein.

Schon vor dem Erdbeben wurden in Haiti Kinder verkauft


"Eine Patenschaft für ein Kind zu übernehmen oder zu spenden ist sinnvoller", sagt Reinhold Grüner, der Leiter der zentralen Adoptionsstelle in Stuttgart. Neben den beiden freien Adoptionsvereinen sind die Landesjugendämter die ersten Anlaufstellen für Menschen, die ein Kind zu sich nehmen wollen. In Stuttgart gab es in den vergangenen Tagen vereinzelt Anrufer, die sich nach Adoptionen von haitianischen Kindern erkundigten. Das Amt ist für Haiti aber nicht zuständig, weil der Karibikstaat nicht zu den Vertragsländern des sogenannten Haager Übereinkommens gehört, das Auslandsadoptionen regelt.

"Die schlimmen Bilder aus Haiti gehen natürlich ans Herz", sagt Reinhold Grüner. "Mit einer Adoption ist den Kindern in dieser Situation aber nicht geholfen." Grüner warnt sogar davor, Adoptionen rechtlich zu erleichtern, so wie es etwa Frankreich plant. Nur wenn das Verfahren schon vor dem Erdbeben angelaufen ist, bemüht sich das Auswärtige Amt nun darum, die formal bereits adoptierten Kinder rasch aus Haiti nach Deutschland zu holen. Grundsätzlich ist die aufwendige Bürokratie als Sicherheitsnetz aber notwendig. "Ich bin froh, dass wir in Deutschland so strenge Vorschriften haben", sagt Grüner. Ein abgekürztes Verfahren würde dem Kinderhandel Tür und Tor öffnen. "Und es darf natürlich nicht sein, dass aus der Katastrophe jetzt auch noch Profit gezogen wird."

Hilfsorganisationen warnen vor Kinderhändlern und illegalen Adoptionen in Haiti. "Für 150 Dollar kann man dort jetzt ein Kind bekommen", sagte Sascha Decker von der Kindernothilfe Duisburg in einem Fernsehinterview. "Die Mädchen und Jungen brauchen eine Identität und Papiere, sonst sind sie leichte Beute für Schlepper."

Ein klares Nein auf die Frage, ob es nicht sinnvoll ist, Kinder möglichst schnell zu adoptieren, kommt auch aus dem Bundesfamilienministerium. "Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit", sagt der Sprecher Marc Kinert. Schon vor dem Erdbeben wurden in Haiti Kinder geraubt und verkauft. Nach dem Beben ist die Situation noch drastischer: Der Staat ist völlig zusammengebrochen, Tausende von Kindern schlagen sich alleine durch. "Es ist schwierig zu klären, ob das Kind wirklich Waise ist oder ob die Eltern nicht doch noch leben", sagt Kinert. Unicef hat am Donnerstag angekündigt, sichere Zonen für herumirrende Mädchen und Jungen zu errichten. Rudi Tarneden von Unicef: "Wir müssen diese Kinder finden, versorgen, schützen und wieder mit ihren Angehörigen zusammenbringen."

Mehr Informationen unter: efk-adoption.org , helpachild.de