Einen Besseren gibt es nicht: Der britische Singer/Songwriter Elvis Costello ist jetzt zum ersten Mal in seiner Karriere in Stuttgart aufgetreten – und hat das Publikum im Theaterhaus begeistert.

Kultur: Jan Ulrich Welke (juw)

Stuttgart - Elvis Costello schreitet nicht, er schlendert auch nicht, er hastet regelrecht auf die Bühne. Kaum hat das Publikum realisiert, dass es losgeht, hat er sich schon eine Gitarre umgeschnallt und drückt die ersten Harmonien in die Saiten, übergangslos die ersten drei Songs durchmessend. Sie oder alle anderen Stücke des Abends aufzuzählen, würde den Rahmen dieses doch sehr aus dem Rahmen fallenden Konzerts sprengen. Drei Dutzend Lieder wird Elvis Costello am Ende seines über zweieinhalb Stunden währenden Auftritts gespielt haben. Er bleibt damit zwar unter dem Limit formatsprengender Popmusiker wie Bruce Springsteen, der ungern mit weniger als drei Stunden Spielzeit abtritt, aber eine solche Nibelungen-Dauer kann ja auch ermüden. Der Grat ist schmal bei einer üppigen Performance, Elvis Costello jedoch meistert das Kunststück, nicht in ausufernde Selbstverliebtheit oder Beliebigkeit abzurutschen.

 

Der Job selbst, den er sich amtlich auferlegt hat, ist indes eine Herkulesaufgabe. Im Theaterhaus hat er zum Abschluss der Deutschlandtournee nicht mehr das amerikanische Musikerinnenduo Larkin Poe dabei, das ihm bei einem Drittel der Show beeindruckend assistiert hat. Im Theaterhaus steht er, ohne Pause und nur kurzzeitig sitzend, bald drei Stunden lang allein auf der Bühne. Eine kleine Auswahl akustischer Gitarren hat er um sich gruppiert, in seltenen Fällen greift er zur semiakustischen, noch seltener zur elektrischen Gitarre, und nur in einem kleinen Intermezzo nimmt er kurz am E-Piano Platz. Ein echter Singer/Songwriter also – und was für einer! In keiner Sekunde kommt Langeweile auf: Costello, den viele für den besten Songwriter auf Erden halten, trennen Lichtjahre von den meisten seiner Musikerkollegen.

Satt und filigran zugleich

Er hat eine faszinierende Art, Gitarre zu spielen. Er nutzt an diesem Abend mal das Plektrum, mal die Finger, mal eine Art jenes Slapstils, den Mark King von Level 42, wenngleich am Bass, bis zur Perfektion beherrscht – und er tut das, ohne dass sich auch nur eine Dissonanz in die sublimen Klänge einschleichen würde. Es ist ein einmaliges Gitarrenspiel, das der Sechzigjährige beherrscht, mit extraordinärer Technik und einem punktgenauen Anschlag, satt und filigran zugleich, transparent bei sehr gut ausgesteuertem Sound obendrein. Dazu kommt ein Organ, das sich – stundenlang nur von ein paar Schlückchen aus dem Teebecher benetzt, die Costello zu sich nimmt – perfekt zu den Songs fügt.

All dies wird auch so deutlich, weil es bisher noch keine Möglichkeit gab, es vor Ort zu verifizieren. Selbst das Archiv der Stuttgarter Zeitung hat im übertragenen Sinne alle Register gezogen, um zu bestätigen, dass Elvis Costello noch nie in Stuttgart gastiert hat. Diese Premiere eint den Mann, der seit fast vierzig Jahren professionell Musik macht, mit Patti Smith, die nach nunmehr 45-jähriger Bühnentätigkeit vor Kurzem ebenfalls ihr erstes Konzert in Stuttgart gegeben hat. Was Costello wiederum mit Marianne Faithfull eint, die am Samstag im Hegelsaal gastierte, ist der verblüffenderweise eher schüttere Publikumszuspruch. 1800 Zuschauer passen in den bestuhlten Hegelsaal, 1100 waren am Wochenende da. Nur 1100 Besucher fasst der große Saal des Theaterhauses, in dem Costello am Dienstagabend gastierte, wo sich ebenfalls allerhand unbesetzte Stühle fanden. Dass Helene Fischer in wenigen Tagen an zwei aufeinander folgenden Abenden in der zweifach ausverkauften Schleyerhalle singt, könnte nun . . .

Die Sache mit Hank und Frank

. . . vielleicht Miesmuffel interessieren, aber das sind wir ja nicht. Weiden wir uns also am besten Moment des Abends, Elvis Costellos gloriosem Stück „Watching the Detectives“, das er mit grandiosen Loops und herausragendem Saitenspiel traumhaft inszeniert. Weiden wir uns daran, dass eigentlich gar nicht schilderbar ist, ob die sanften Balladen oder die stürmischen Einwürfe den größeren Applaus zeitigten, weil beide zu Recht gefeiert wurden. Laben wir uns an einem großartigen Entertainer, der als einzigen Mangel – wie er scherzend anmerkt – vorzuweisen hat, dass er der einzige Ehrengast sei, aus dessen Repertoire von vierhundert Songs er eine Auswahl hätte treffen müssen. Und erfreuen wir uns am süffisant trockenen Humor dieses in jeder Hinsicht großen Geschichtenerzählers, dessen launige, redselige und anekdotengewürzte Ansagen hier ebenfalls jeden Rahmen sprengen würden. Exemplarisch erwähnt sei nur jene Rede von den zwei Söhnen Hank und Frank, die er mit seiner Gattin aufgezogen hat, der Jazzsängerin Diana Krall – und die reizenden Vornamen hätten sie den Sprösslingen nur deshalb verpasst, damit sie später auch als Duett auftreten könnten. Ansonsten sei nur noch die Frage hinterlassen, warum dieser großartige Musiker der Stadt Stuttgart nicht schon viel früher einen Besuch abgestattet hat.