Einst in der Türkei sportlich gescheitert, kehrt Joachim Löw nun als Erfolgscoach zurück. Am Freitag müssen sich seine Jungs am Bosporus beweisen.  

Sport: Carlos Ubina (cu)

Stuttgart - Er ist schon länger nicht mehr da gewesen. Und persönliche Kontakte pflegt er nur noch zu wenigen Leuten aus dem Umfeld von Fenerbahce Istanbul. Doch auf seine Zeit in der Türkei blickt Joachim Löw fast schon euphorisch zurück. "Sehr, sehr prägend" seien diese Erfahrungen gewesen, sagt der Bundestrainer. Menschlich wie sportlich. Dabei muten gerade seine letzten sportlichen Erfahrungen dort alles andere als angenehm an. Nach nur vier Monaten endete Löws zweites Türkei-Engagement bei Adanaspor: Er wurde fortgejagt, und die Trainerkarriere schien in einer Sackgasse zu stecken.

 

Das ist mehr als zehn Jahre her. Nun kehrt Löw als Erfolgscoach zum EM-Qualifikationsspiel am Freitag (20.30 Uhr/ARD) an den Bosporus zurück - als ein Fußballlehrer, der neue Maßstäbe setzt. Auf der spielerischen Ebene, weil sich die deutsche Nationalmannschaft selbst für Brasilien zu einem Referenzpunkt entwickelt hat: Der Rekordweltmeister soll laut seinem Trainer Mano Menezes so gut werden wie Löws Elf. Auf der fachlichen Ebene hat der Badener dem Trainerberuf in Deutschland sogar neues Gewicht verliehen. Mit seiner unaufgeregten und analytischen Art etablierte er eine neue Fußballkultur, die nicht nur auf Siege aus ist, sondern die auch schön anzuschauen ist.

Ungeschlagen überstehen

"Unsere Zielsetzung ist es nun, die EM-Qualifikation ungeschlagen zu überstehen", sagt Löw vor den Begegnungen in Istanbul und vier Tage später in Düsseldorf gegen Belgien. Anders ausgedrückt: der Bundestrainer fordert zehn Siege aus zehn Spielen, nachdem die Pflicht für die Europameisterschaft 2012 bereits vor einem Monat nach acht Siegen in acht Spielen vorzeitig und souverän erfüllt wurde.

Doch Löw wäre nicht Löw, wenn er sein Team nicht ständig vor neue Herausforderungen stellen würde. Dabei geht es dem 51-Jährigen weniger um einen möglichen DFB-Rekord (bislang acht Siege in acht Spielen bei der Qualifikation zur WM 1982), und schon gar nicht um seine persönliche Bilanz. Die glänzt ohnehin. Mit 49 Siegen aus 71 Partien und einem Schnitt von 2,24 Punkten pro Spiel liegt Löw vor allen seinen Vorgängern.

Stabilität und Selbstbewusstsein

Vielmehr hat der Bundestrainer den Titelgewinn nächstes Jahr vor Augen, und für dieses Vorhaben benötigt die Mannschaft Stabilität und Selbstbewusstsein. Beide Eigenschaften wären durch eine makellose Qualifikationsrunde untermauert, zudem könnte sich die deutsche Auswahl gelassen zum EM-Favoriten erklären lassen - ein Aspekt, der durchaus Wirkung auf die Gegner entfalten kann.

Taktik gegen die Türkei

Guus Hiddink, der Nationaltrainer der Türken, zeigt jedenfalls höchsten Respekt vor der Arbeit seines Kollegen. "Es werden jetzt mehr kreative Spieler berufen, die für den ästhetischen Fußball stehen", sagte der Niederländer schon vor dem ersten Aufeinandertreffen vor einem Jahr in Berlin. 3:0 endete die Begegnung, und Löws Personalauswahl sowie deren taktisches Repertoire hat sich seither erweitert.

Junge Kräfte wie Mats Hummels, Mario Götze oder André Schürrle drängen nach und halten den Kader unter Spannung. Und statt mit dem bewährten 4-2-3-1-System ließ Löw zuletzt in einer 4-1-4-1-Formation noch offensiver spielen. Toni Kroos kam die Aufgabe zu, sich im Mittelfeld weiter nach vorne zu schieben. Der Münchner wird gegen die Türkei aber wohl wegen einer Grippe ausfallen. Mesut Özil und Miroslav Klose reisten am Dienstag angeschlagen zum Treffpunkt in Mainz an, am Abend pausierten auch Philipp Lahm und Per Mertesacker mit dem Training. Mit allen plant Löw jedoch, der als Nachrücker mit Ilkay Gündogan liebäugelt. Der Deutsch-Türke könnte sich so mit einem Einsatz für den DFB festspielen.

Relegation möglich

All das zusammengenommen macht es für die Türken nicht gerade einfach, den zweiten Tabellenplatz in der Gruppe A zu sichern, der ja immerhin noch die Relegation ermöglicht. Im Fernduell mit Belgien benötigen die Gastgeber dazu noch dringend Punkte. Doch gerade weil die Konstellation hinter der deutschen Mannschaft heikel ist, plant Löw am nächsten Dienstag gegen Belgien nicht die Totalrotation.

"Wir werden in den nächsten Spielen zwar einige personelle Experimente durchführen, aber sieben Wechsel wird es nicht geben", sagt Löw. Da ist er ganz Ehrenmann und will sich nicht dem Vorwurf einer Wettbewerbsverzerrung ausgesetzt sehen. Was in der Türkei und speziell von Harun Arslan sicher als feiner Zug gewertet wird. Denn Löws Berater muss sich am Freitag beim Daumendrücken zwischen seinem Heimatland sowie seinem Freund und besten Klienten entscheiden.