Lessings „Emilia Galotti“ in der Inszenierung von Barbara-David Brüesch feiert im Schauspielhaus Stuttgart Premiere. Überzeugen kann das Stück aber nicht.

Kultur: Adrienne Braun (adr)

Stuttgart - Es ist gar nicht so lange her, da mussten Männer, die ihre Verlobte bereits vor der Hochzeit entjungferten, mit Strafe rechnen und sogenanntes Kranzgeld zahlen. Noch bis in die siebziger Jahre sprachen Gerichte unschuldig Entjungferten Schadenersatz von ein paar hundert Mark zu – weil sie auf dem Heiratsmarkt ja nun an Wert verloren hatten. Über die Jahrhunderte hinweg hat Männer das am meisten beschäftigt, was sie eigentlich gar nichts angeht: die Jungfräulichkeit. Sie war, sie ist bis heute Mittel zur Macht – und in einer Mischung aus Sorge, Besitzanspruch und Kontrolle wird den Frauen das Recht am Körper oder gar der eigenen Lust abgesprochen.

 

„Ich habe Blut“, sagt Emilia Galotti verzweifelt, „auch meine Sinne sind Sinne.“ Aber weil ihre Lüste im Geschacher der Männer nicht eingeplant sind, wird sie schließlich mit dem Dolch niedergestochen. „Emilia Galotti“ ist eines der großen Trauerspiele der Weltliteratur, das diesem weiblichen Begehren ein zartes Stimmchen verleiht – dabei aber doch nicht anders als tragisch enden kann. Das Geschäft, das Vater und Verlobter hier ausgehandelt haben, wird vereitelt, denn der Prinz selbst will Emilia vorab genießen. „Nun ja, ich liebe sie; ich bete sie an.“Wie ein Panther schleicht Benjamin Grüter als Prinz im Schauspielhaus Stuttgart nun über die Bühne. Ein gieriges, ein geiles Tier, das auf Beute aus ist – und einem anderen die Trophäe abjagen will. Nach dem großen Eröffnungswochenende hatte nun schon die nächste Produktion Premiere: Lessings „Emilia Galotti“, die in Winterthur herausgekommen ist und nun in Stuttgart die neue Drehbühne gleich auf die Probe stellt. Und die dreht und dreht sich. Wie im Fluge schweben die Figuren über die nackte Scheibe, sie sausen aneinander vorbei oder laufen gegen die Richtung – und kommen doch nicht voran.

Mit grollendem Bass und einem unschuldigen Kinderchor im Hintergrund stimmt die Regisseurin Barbara-David Brüesch ihre Inszenierung an, leicht und behände fliegen die ersten Szenen dahin und nimmt das Schurkenstück seinen Lauf: Der Prinz, ein selbstgefälliger Playboy, hat von seiner Geliebten Orsina genug, nun will er Emilia haben. Marinelli soll sie ihm beschaffen – der Kammerherr wirkt mit rosa Hemd, Einstecktuch und Haargel wie ein verzogenes Söhnchen von der Elbchaussee.

Es ist nicht einfach, den Winkelzügen der Intrige zu folgen

Lessing wollte nicht nur der Empfindsamkeit das Wort reden, sondern auch die Willkürherrschaft des Adels anprangern. Für die Stuttgarter Fassung wurde dagegen alles, was nicht unmittelbar mit des Grafen Eroberungsfeldzug zu tun hat, beherzt gestrichen. In flotten neunzig Minuten ist die fünfaktige Tragödie durchgespielt, wodurch es aber nicht einfach ist, den Winkelzügen der Intrige zu folgen. Die komplexen Verstrickungen der Figuren bleiben ebenso im Unklaren wie manche ihrer Reaktionen.

Barbara-David Brüesch hat aus der Tragödie eine Art musikalisches Kammerspiel gemacht mit beschwingten Tanzeinlagen und einem forttreibenden Rhythmus – und den Text hierfür quasi mit der Drahtbürste gegen den Strich gekämmt. Sie entlarvt die Motive der Figuren, noch eh sie richtig ausgesprochen sind.

Ob sie wütend sind, berechnend oder anbiedernd, stets schwingt ironische Überheblichkeit mit. Alles Reden wird schal, als könne man dem Text bestenfalls noch mit Zynismus begegnen. Nichts scheint an diesen Versen noch zu entdecken, nichts, was die Regie ernst nehmen wollte.

Das Stück wird zum hohlen Gerede

So erweisen sich der anfänglich so betörende musikalische Zugriff und die mitreißende Dynamik im Verlauf zunehmend als schiere Effekthascherei, die nicht inhaltlich begründet ist, sondern mit dem Stück sogar konkurriert. Die Figuren nehmen sich selbst nicht ernst, und befreit von allen Affekten geraten sie nur noch fad und langweilig. Dem Machtmissbrauch fehlt die Schärfe, die Sorge des Vaters ist lächerlich, die Lust des Prinzen kokett und harmlos. So entwickelt sich eine fatale Dynamik: Um seine Tiefe beraubt, wird das Stück zum hohlen Gerede. Immer dann, wenn sich die Dialoge doch eigentlich verdichten und die Konflikte zuspitzen, sackt die Spannung rapide ab – und sehnt man sich fast danach, die Bühne möge sich doch mal wieder drehen.Auch schauspielerisch hat dieser Abend seine Schwächen, zumal man staunt, wie unsauber das Ensemble artikuliert. Nur Claudius von Stolzmann bringt die Sätze satt und klar über die Rampe – er ist als intriganter Marinelli auch darstellerisch stark. Benjamin Grüter gefällt sich dagegen als Prinz allzu gut in der Rolle des manierierten, selbstgefälligen Beaus, so dass keine weitere Facette aus der Figur herauszulesen ist als dummdreiste Eitelkeit. So mag man auch kaum glauben, dass Emilia angesichts seiner affigen Verführungskünste schwach werden könnte. Lessing hat seine Titelheldin nicht allzu stringent gezeichnet, Sarah Sophie Meyer spielt sie eher rotzig und selbstbewusst – „als ob wir keinen Willen hätten“.

Die heutigen Kostüme (Sabine Kohlstedt) transportieren diese „Emilia Galotti“ zwar in die Gegenwart, aber es drängt sich der Eindruck auf, als gebe es nach 250 Jahren Rezeptionsgeschichte aus diesem Stück eigentlich nichts mehr herauszuholen, sondern tauge es nur noch zu Kalauern. So sagt Marinelli nach dem großen, kämpferischen Monolog der verlassenen Gräfin Orsina nur: „Mäßigen Sie Ihr wildes Geschrei“ – und als sei das alles nur wildes Weibergewäsch, leckt er der Dame mit nasser Zunge das Dekolleté ab.

Vorstellungen am Montag sowie am 1., 3., 16. und 18. März