Jubel in New York: Drei deutsche Fernsehproduktionen räumen bei den internationalen Emmys ab. Neben „Deutschland 83“ und der Schauspielerin Christiane Paul gewinnt unverhofft auch Matthias Bittners Ludwigsburger Abschlussfilm „Krieg der Lügen“. Das hat womöglich auch politische Gründe.

New York - Matthias Bittner machte sich am Montag auf der Emmy-Bühne in New York mit einem triumphierenden Ruf („awesome“) Luft. Dass der 1982 geborene Münchner mit seinem Dokumentarfilm „Krieg der Lügen“ gerade einen der wichtigsten internationalen Filmpreise gewonnen hatte, kommentierte er beinahe ungläubig: „Wir haben damit angefangen, einen Film an der Filmhochschule zu machen, und wir machen unseren Abschluss mit einem Emmy“, sagte Bittner, als er die Trophäe entgegennahm. Der Film war als Abschlusswerk an der Filmakademie Baden-Württemberg in Ludwigsburg entstanden. „Kein deutsches Filmfestival wollte diesen Film zeigen. Am Ende landest du in den USA, worum es in diesem Film eigentlich geht“, sagte Bittner mit einiger Genugtuung. In dem 2014 fertig gestellten „Krieg der Lügen“ erzählt er von der Vorgeschichte des Irakkriegs. Im Mittelpunkt steht Rafed Ahmed Alwan, ein Chemie-Ingenieur aus dem Irak, der Ende 1999 Asyl in Deutschland beantragt hatte. Er war der Kronzeuge, mit dem die US-Regierung im Jahr 2003 den Angriff auf den Irak rechtfertigte.

 

Große Resonanz erfuhr Bittners Abschlussfilm tatsächlich nicht. Weder war er im Kino zu sehen noch konnte er bisher bei Festivals einen Preis gewinnen. Immerhin zeigte ihn die ARD im Juni vergangenen Jahres im Ersten, denn als Koproduzenten waren der Südwestrundfunk und der Bayerische Rundfunk mit im Boot. Überhaupt war es ein guter Abend für das deutsche Fernsehen: Zwei weitere internationale Emmys gingen an die RTL-Serie „Deutschland 83“ sowie an Christiane Paul als Hauptdarstellerin des WDR-Films „Unterm Radar“. Drei von insgesamt zehn Preisen, da kann in diesem Jahr nur das britische Fernsehen mithalten.

Möglicherweise hat Bittners unverhoffter Erfolg auch mit der politischen Stimmung zu tun. Ein Film wie „Krieg der Lügen“, der sich mit Geheimdienstmachenschaften und der Manipulation der öffentlichen Meinung auseinander setzt, wirkt jedenfalls nicht „von gestern“, sondern aktueller denn je. Das weiß man insbesondere in den USA. Nicht zuletzt die Fehler der Vergangenheit haben zu wachsendem Unmut in der amerikanischen Gesellschaft und zur Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten geführt. Hillary Clinton hatte sich im Präsidentschaftswahlkampf dafür verteidigen müssen, dass sie einst für den Irakkrieg gestimmt hatte.

Der Trump-Schock war bei der Preisverleihung noch zu spüren

Der Trump-Schock war auch bei der Emmy-Preisverleihung im New Yorker Hilton Hotel zu spüren. „Am 8. November war dieser Saal der Veranstaltungsort für einen der dunkelsten, negativsten und vollkommen zerstörerischen Momente in der Geschichte dieses Landes“, sagte der Moderator Alan Cumming. Wenige Tage zuvor hatten hier Trump und seine Anhänger den unerwarteten Wahltriumph gefeiert.

Bittners Film handelt jedoch nicht allein von amerikanischer Politik. Der irakische Asylbewerber Rafed Ahmed Alwan erregte erst einmal das Interesse des Bundesnachrichtendienstes (BND). Er lieferte den Diensten den angeblichen Beweis für die Existenz von Massenvernichtungswaffen schon im Jahr 2000: Pläne einer mobilen Biowaffen-Produktionsanlage. Im Film stellt Alwan es so dar, als habe er nur aufgezeichnet, was sein BND-Kontaktmann hören wollte. „Er wusste, dass all das nur ein Fantasieprodukt war“, behauptet er. Die Anschläge am 11. September 2001 hätten dann alles verändert. Der Ingenieur wehrt sich gegen die Darstellung, er sei allein verantwortlich und nur ein Lügner, auf den die Dienste hereingefallen wären. Vielmehr habe es ein gemeinsames Ziel gegeben: „Das Ganze diente der Befreiung des Iraks.“ 2007 wurde die Geheimdienstquelle „Curveball“, so Alwans Pseudonym, in der Investigativreihe „60 Minutes“ des US-Networks CBS enttarnt.

Das Interview wirkt wie ein Verhör

Alwan ist der Einzige, der in „Krieg der Lügen“ zu Wort kommt. Das macht den Film allerdings auch so faszinierend. Alwan sitzt am Ende eines einfachen Tischs, darauf ein Aschenbecher und etwas zu trinken; der nicht ausgeleuchtete Hintergrund deutet auf eine Art Arbeitszimmer hin. Am anderen Ende des Tischs sitzt der Filmautor, dessen Fragen bisweilen zu hören sind. Die Kamera konzentriert sich jedoch ganz auf Alwan, was das Interview, wie der Befragte zwischendurch klagt, tatsächlich wie ein „Verhör“ wirken lässt. Bittner montiert die konzentrierte Befragung geschickt mit dokumentarischen und inszenierten Bildern. Diese Technik hält die Spannung hoch und den Film im Fluss. Mal wird Alwans Darstellung durch Dokumente belegt, mal ersetzen mehr oder weniger stimmungsvolle Spielszenen die verbale Erzählung.

Bittner habe sich „nach umfangreichen Recherchen“ immer weiter von dem Gedanken entfernt, dass es gelingen könne, die vollkommene Wahrheit „in diesem Dickicht aus konzentrierten Wirklichkeiten, gezielt gestreuten Falschinformationen und politischen Interessen aufzudecken“, hieß es zur ARD-Ausstrahlung in einer Pressemitteilung. Das klang nach Kapitulation, aber einfach hatte es sich der Autor nicht gemacht. Akribisch folgte er den verschiedenen Stationen Alwans in Deutschland. Die Aufenthaltsorte wechseln, die BND-Agenten auch. Mal sind es in den Augen Alwans Komplizen, mal Freunde. Dann fühlt er sich unter Druck gesetzt und fallen gelassen. Alwan rechtfertigt sich, inszeniert sich mal als Überzeugungstäter, mal als unschuldiges Opfer. „Die Wahrheit ist dieser Film“, sagt er zu Beginn. Bittner macht vor allem deutlich, dass man solchen Sätzen besser mit Misstrauen begegnet.