Ein russischer Lobbyist verklagt die EnBW wegen Scheingeschäften. Der Konzern dementiert. Was steckt hinter den Beziehungen zu Russland?

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Karlsruhe - Die EnBW wirkte wie eine Festung. Nur das Allernötigste ließ der Energiekonzern zu seinen undurchsichtigen Russlandgeschäften nach draußen dringen. Man habe 130 Millionen Euro abgeschrieben, weil Verträge womöglich nicht erfüllt worden seien. Es gehe um die Lieferung von Atombrennstoff, den Rückbau des Reaktors Obrigheim und ein System zur Überwachung von Nuklearmaterialien - das war alles. Ansonsten verwiesen die Karlsruher stets darauf, dass die interne Aufarbeitung noch laufe. Nachfragen der StZ, etwa zu den russischen Partnern oder den Bezug zu einem Gasgeschäft, wurden abgewimmelt. Der angekündigten Information der Öffentlichkeit stand immer noch irgendetwas entgegen.

 

Auch innerhalb der Festung war die Transparenz kaum größer. Die Russlandthematik umgab in der EnBW eine gewaltige Geheimniskrämerei, nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten wusste Bescheid. Umso größer war das Geraune quer durch alle Hierarchiestufen: Die Sache habe eine enorme Brisanz, hieß es, wenn sie öffentlich werde, explodiere "eine Bombe".

In Russland spricht man zum ersten Mal

Angeheizt wurden die Spekulationen noch durch Äußerungen des Technikvorstandes Hans-Josef Zimmer. Er war wegen der Affäre zeitweise abgesetzt, von ihm fordert die EnBW immer noch Schadenersatz in Millionenhöhe. Doch der 53-Jährige sieht sich in der Sache - womöglich zu Recht - nicht vorrangig als Akteur, sondern als Bauernopfer. Wenn er noch länger als Sündenbock herhalten müsse, soll er intern gedroht haben, dann werde er sich wehren und die wahren Hintergründe offenlegen. Für die wirklich Verantwortlichen, so wurden seine Andeutungen verstanden, werde es dann sehr unangenehm.

Nun wird erstmals eine Version des Geschehens bekannt, die abenteuerlich klingt, aber das Mauern und die Nervosität erklären könnte. Von der EnBW und ihrem früheren Chef Utz Claassen wird sie allerdings scharf dementiert. Sie stammt von den russischen Geschäftspartnern, die öffentlich bisher nie in Erscheinung getreten sind. Schlüsselfigur ist, wie von der StZ schon 2010 berichtet, ein schillernder Lobbyist und Geschäftsmann aus Moskau: Andrey Bykov. Er hat in Russland beste Kontakte in Wirtschaft und Politik, bis hinauf zu Präsident Putin, er ist besonders in der Energiebranche international engagiert, er versteht sich auch als Mittler zwischen Ost und West. In der Schweiz kontrolliert Bykov ein Firmenkonglomerat, zu dem auch Unternehmen gehören, mit denen die EnBW die fraglichen Geschäfte gemacht hat.

Geld gegen Lobbyarbeit

Scheingeschäfte, nach Bykovs Version. Tatsächlich sei es nicht vorrangig um die offiziell genannten Zwecke gegangen, sondern um etwas ungleich Größeres. Für die 120 Millionen Euro, die von der EnBW an seine eidgenössischen Firmen flossen, will der Geschäftsmann sehr wohl eine Gegenleistung erbracht haben: Lobbyarbeit in Russland mit dem Ziel, der EnBW die Kontrolle über riesige Gasfelder in Sibirien zu verschaffen. Es wäre, wenn es geklappt hätte, ein Milliardencoup für den Karlsruher Konzern gewesen. Er hätte sein schwächelndes Gasgeschäft schlagartig massiv gestärkt und sich für Jahrzehnte eine lukrative Gasquelle erschlossen. Auf russischer Seite schien, dank Bykov, alles klar. Doch die kühnen Pläne, die seit 2005, also überwiegend in der Amtszeit Claassens, verfolgt worden sein sollen, scheiterten angeblich kurz vor dem Ziel an den Deutschen. Claassens Nachfolger Hans-Peter Villis, heißt es, habe den Deal 2008 abblasen müssen - auf Druck eines der beiden Großaktionäre, der Electricité de France (EdF). 

Der Weg über Scheingeschäfte, so die These, sei just wegen der Franzosen gewählt worden. Die wären nämlich gar nicht angetan gewesen, wenn sich die im Vergleich zu ihnen kleine EnBW groß in Russland engagiert hätte. Sie wollten dort lieber selber Geschäfte machen - und nach Deutschland weiterhin ihren Atomstrom liefern. Aus seinen guten Kontakten in das Riesenreich machte Claassen nie einen Hehl. Mal ließ er sich vom russischen Botschafter in Berlin und späteren deutschen Gazprom-Chef mit einem Orden ehren, mal empfing er Putin samt dessen Männerfreund Gerhard Schröder am EnBW-Stand auf der Hannover-Messe. In Paris, hieß es in EnBW-Kreisen öfter, habe man Claassens Liebäugeln mit den Russen nicht gerne gesehen.

Die Franzosen austricksen

Wurde deshalb ein inoffizieller Weg eingeschlagen? Wenn das Anbändeln über den Konzern gelaufen wäre, hätte die EdF sofort Wind davon bekommen. Also sollen zwei Tochtergesellschaften eingespannt worden sein: die Kernkraftgesellschaft EnKK und die Betreiberfirma des Reaktors Obrigheim, KWO. Dort waren Zimmer und seine drei Exkollegen, gegen die die EnBW nun vorgeht, in verantwortlicher Position. Folgt man der Version der Russen, wären sie nur benutzt worden - zur Tarnung der Russlandkontakte. Stutzig machen interne Angaben Zimmers, er habe die maßgeblichen Verträge nur auf Geheiß unterschrieben. Doch das Austricksen der Franzosen, so die These, misslang. Sie erfuhren von dem Vorgehen hinter ihrem Rücken und waren erbost.

All das wäre nie an die Öffentlichkeit gekommen. Dafür sorgten auch Klauseln in den Verträgen zwischen den EnBW-Tochterunternehmen und den Firmen Bykovs, wonach etwaige Rechtsstreitigkeiten vor internen Schiedsgerichten auszutragen seien. Dort laufen in der Tat drei Verfahren, in denen die Karlsruher ihre Ansprüche durchsetzen wollen - eines in Deutschland, zwei im Ausland. Doch die einstigen Geschäftspartner haben sich juristisch völlig verhakt, deswegen erreichte der Fall nun doch die öffentliche Justiz.

Die Russen klagen

Beim Landgericht Karlsruhe liegt eine Klage der Russen, mit der sie feststellen lassen wollen, dass ihre Leistung - nämlich die Lobbyarbeit in Russland - sehr wohl erbracht worden sei. Für die Ansprüche der EnBW, so das Ziel, gebe es mithin keine Grundlage. Noch ist die Klage nicht zugestellt, aus einem kuriosen Grund: das Gericht wartet auf den notwendigen Vorschuss. Doch der Inhalt der Klage ist bei der EnBW bereits bekannt. Es könnte sich mithin um eine Drohkulisse handeln. Am Geld für die Gebühren fehlt es den Klägern gewiss nicht. Aufgrund von StZ-Recherchen entschloss sich das Gericht am Mittwoch, die Kernpunkte der Klage per Pressemitteilung öffentlich zu machen; der Anwalt Bykovs bestätigte die Angaben.

Wenn die Version der Russen trotz gewisser Widersprüche auch nur halbwegs stimmen würde, dann hätte sich bei der EnBW ein beispielloser Wirtschaftskrimi abgespielt. Sie stimme aber gar nicht, versichert der Energiekonzern. Von Scheingeschäften könne keine Rede sein, mit den Schweizer Bykov-Firmen habe man "reine Lieferverträge im nuklearen Bereich" geschlossen. Allein darum werde in den Schiedsgerichtsverfahren gestritten. Dieser Weg entspreche dem Standard bei internationalen Verträgen. Offenbar sei die Bykov-Gruppe selbst "von der Substanz ihrer Klage und ihrer Argumente nicht überzeugt", meint die EnBW. Sonst hätte sie längst dafür gesorgt, dass die bereits im September eingereichte Klage auch zugestellt worden wäre.

Genauso klar dementiert der frühere Konzernchef Claassen. Aus Gründen der Vertraulichkeit und Verschwiegenheit könne er sich nicht im Detail äußern, ließ er einen Anwalt ausrichten. Er lege aber Wert auf die Feststellung, dass die "behauptete Geschäftsbeziehung jedenfalls nicht während seiner Amtszeit als Vorstandsvorsitzender" eingegangen worden sei. "Im Übrigen versteht es sich von selbst, dass Herr Professor Claassen etwaige ,Scheingeschäfte' ganz grundsätzlich unter keinen erdenklichen Umständen dulden würde oder geduldet hätte." Eine Anfrage an die EdF blieb zunächst unbeantwortet.