Der Atomexperte Hans-Josef Zimmer ist trotz hoher Regressklagen gegen ihn wegen der Russlandaffäre wieder in den Vorstand der EnBW eingezogen.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Wiederberufung des Atomexperten Hans-Josef Zimmer (53) zum Technikvorstand der EnBW stößt innerhalb und außerhalb des Energiekonzerns auf Verwunderung. Zimmer kehrte zum Jahreswechsel in sein früheres Amt zurück, obwohl das Unternehmen von ihm und mehreren Exkollegen Regress in zweistelliger Millionenhöhe fordert. Hintergrund ist eine Affäre um Geschäfte mit russischen Partnern, deretwegen die EnBW etwa 130 Millionen Euro abgeschrieben hat. Dabei ging es um die Lieferung von Atombrennstoff, den Rückbau von Reaktoren und ein Überwachungssystem für Nuklearmaterial.

 

Das wegen Zimmers Wohnsitz in der Südpfalz zuständige Landgericht Landau bestätigte, dass gegen den Topmanager zwei Zivilklagen vorliegen. Es gehe in der Summe um einen mittleren zweistelligen Millionenbetrag, sagte ein Sprecher. Die Klagen seien erst vor einem Vierteljahr eingereicht worden, derzeit habe der Beklagte Gelegenheit zur Stellungnahme. Gegen drei Exkollegen Zimmers wurden an den jeweils zuständigen Landgerichten vergleichbare Klagen eingereicht. Nach unbestätigten Informationen verlangt die EnBW von ihnen mehr als 90 Millionen Euro. Sie halten die Forderung für unbegründet und weisen den Vorwurf der Pflichtverletzung zurück.

Der Aufsichtsrat hatte Zimmer Anfang Dezember für fünf Jahre erneut als Technikvorstand bestellt; er ist seit 1. Januar wieder im Amt. Auch der Vertrag des für Personal und Recht zuständigen Vorstandes Bernhard Beck wurde um fünf Jahre verlängert. Nachdem der EnBW-Chef Hans-Peter Villis kurz zuvor sein Ausscheiden angekündigt hatte, solle damit „ein Zeichen der Kontinuität gesetzt“ werden, erklärte das Unternehmen.

Zimmer war bereits von 2007 bis Mitte 2010 Technikvorstand. Dann legte er das Mandat nach offiziellen Angaben freiwillig nieder, „um eine vorbehaltlose Prüfung von zwischen der EnBW und russischen Geschäftspartnern vertraglich vereinbarten Leistungen zu ermöglichen“. Die Prüfung und Bewertung dieser Sachverhalte sei inzwischen abgeschlossen, hatte der Energiekonzern mitgeteilt. Der Aufsichtsratschef Claus-Dieter Hoffmann lobte Zimmer und Beck als „kompetente und erfahrene Persönlichkeiten, die das Unternehmen EnBW bestens kennen“; dies sei gerade angesichts der bevorstehenden Änderungen wichtig.

Juristische Maßnahmen werden wohl nicht zurückgezogen

Auf StZ-Anfrage teilte Hoffmann mit, die interne Prüfung der Vorgänge habe keine Erkenntnisse ergeben, „die einer erneuten Bestellung von Dr. Zimmer entgegenstanden“. Der Aufsichtsrat habe den Sachverhalt und die Bewertung vor dem Beschluss gekannt. Auch die „juristischen Maßnahmen gegen die russischen Geschäftspartner und gegen frühere Organmitglieder betroffener EnBW-Tochtergesellschaften“ seien kein Hindernis gewesen. Gemeint ist offenbar die EnBW Kernkraft-Gesellschaft EnKK; ebenso wie Zimmer waren die drei anderen Beklagten dort in verantwortlicher Funktion.

Derzeit gebe es keine Beschlüsse, die juristischen Maßnahmen gegen die Betroffenen zurückzuziehen, teilte Hoffmann weiter mit. Zu den Erfolgsaussichten wollte er sich nicht äußern, da man laufende Verfahren generell nicht kommentiere. Hinter den Kulissen gibt es offenbar Bestrebungen, mit den Beklagten eine Einigung zu erreichen. Über deren Stand ist nichts Näheres bekannt. Zimmer reagierte zunächst nicht auf eine StZ-Anfrage.

Intern weist er nach StZ-Informationen jede Schuld zurück; er habe sich persönlich nichts vorzuwerfen. Allerdings hat er offenbar die maßgeblichen Verträge unterschrieben, ohne deren Folgen ganz zu überblicken, und ist deshalb in der Haftung. Ob eine Einigung gelingt, dürfte nicht nur von den betroffenen Managern, sondern auch von ihren Versicherungen abhängen. Die geforderten Millionenbeträge dürften ihre finanzielle Leistungsfähigkeit bei Weitem übersteigen. Die russische Seite hat ihrerseits rechtliche Schritte gegen die EnBW eingeleitet, über die gestern zunächst nichts Näheres zu erfahren war.

In unternehmensnahen Kreisen hieß es, man kenne keinen vergleichbaren Fall, in dem ein Vorstand trotz derart immenser Regressforderungen des eigenen Unternehmens bestellt worden sei. Die Mitwirkung der beiden Aufsichtsräte aus der Landesregierung, Finanzminister Nils Schmid (SPD) und Staatsministerin Silke Krebs (Grüne), wurde mit gewisser Sorge kommentiert. Schmid und Krebs wollten offenbar den Oberschwäbischen Elektrizitätswerken (OEW) als zweitem Großaktionär entgegenkommen, die nach Villis nicht auch noch Zimmer verlieren wollten. Auch Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) äußerte sich lobend über den Manager: Er sei nicht nur ein Atomexperte, sondern genieße weithin einen guten Ruf als Fachmann für Energietechnik insgesamt.

EnBW schreibt 130 Millionen Euro ab

Affäre: Die EnBW hatte die Affäre um die undurchsichtigen Russlandgeschäfte eher beiläufig und verklausuliert öffentlich gemacht: Sie vermeldete Anfang 2010 Abschreibungen von zunächst 116 und später 130 Millionen Euro wegen „Wertberichtigungen im Kraftwerksbereich“. Der Grund: Verträge mit ausländischen Partnern seien womöglich nicht erfüllt worden. Erst durch Recherchen der StZ wurden nähere Hintergründe bekannt.

Aufarbeitung: Die EnBW hat die Vorgänge inzwischen intern aufgearbeitet; dazu wurde ein Sonderausschuss des Aufsichtsrates eingerichtet. „Wenn die Vorgänge abgeschlossen sind, wird die EnBW die Öffentlichkeit darüber informieren“, hatte das Unternehmen der StZ Ende 2010 zugesagt. So weit sei es aber noch nicht, heißt es heute: Prüfung und Bewertung seien zwar abgeschlossen, nicht jedoch die juristischen Maßnahmen.