Als „absurd“ hat der frühere Ministerpräsident Mappus (CDU) die Frage zurückweisen lassen, ob Akten zum Kauf der EnBW-Anteile entfernt worden seien.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Unter normalen Umständen wäre die Firma wohl überschuldet. Fast fünf Milliarden Euro hat die Neckarpri GmbH an Krediten aufgenommen, um 46,5 Prozent der Aktien am Stromkonzern EnBW zu erwerben. Doch ihr einziges Investment hat seit dem Kauf am 6. Dezember vorigen Jahres massiv an Wert verloren: Gezahlt wurden damals 41,50 Euro je Aktie, seither sank der Kurs zeitweise bis auf 32 Euro - ein Buchverlust von 1,1 Milliarden Euro. Nur weil das Land eine "Ausstattungs- und Werterhaltungsgarantie" für Kursschwankungen übernommen hat, droht der Landesfirma keine Überschuldung.

 

Es ist eigentlich eine klassische Fehlspekulation - nur dass sich keine Investmentbank mit privatem Geld gezockt hat, sondern der frühere Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) mit Steuermitteln. Sein "Pech": die schon vorher vorhandenen Risiken für die Zukunft der Kernkraft haben sich mit Fukushima schneller als erwartet realisiert. Den Atomkonzern EnBW traf die Wende in der Atompolitik am schwersten - mit gravierenden Folgen für den Milliardendeal. Ob die zig Millionen an Kreditzinsen, wie geplant, aus der Dividende bezahlt werden können, ist fraglicher denn je.

Nur für Mappus selbst hat der EnBW-Deal - sieht man vom Einfluss auf seine Abwahl ab - bis jetzt keine Folgen. Daran wird sich auch nichts ändern, wenn der Staatsgerichtshof nächste Woche auf Antrag von Grünen und SPD über die Art der Abwicklung verhandelt. Die Richter müssen entscheiden, ob der Regierungschef sich auf eine für Seuchen und Erdbeben vorgesehene Notbewilligungsklausel stützten durfte, um den Landtag zunächst zu umgehen. Aber selbst wenn sie das als verfassungswidrig brandmarken, was keineswegs sicher ist, hätte der Expremier nichts zu befürchten: Der Landtag könnte allenfalls eine Rüge beschließen, gewissermaßen als Empörung fürs Protokoll.

Die Aktenlage ist dürftig

Das baden-württembergische Verfassungsgericht ist die vorerst letzte Instanz, um den in der Bundesrepublik beispiellosen Fall rechtlich aufzuarbeiten. Die Justiz und das Parlament haben ihn abgehakt. Trotz teilweise ausführlich begründeter Strafanzeigen sieht die Staatsanwaltschaft Stuttgart bis heute keinen Anlass, Ermittlungen gegen Mappus oder Exfinanzminister Willi Stächele (beide CDU) etwa wegen Untreue aufzunehmen. Ein Verstoß gegen die Regeln der kaufmännischen Sorgfalt, argumentiert sie, sei so wenig erkennbar wie ein strafrechtlich relevanter Vermögensschaden; nicht einmal eine Vermögensgefährdung liege vor.

Auch im Landtag dürfte der EnBW-Deal, Stand heute, kein Nachspiel haben. Kurz vor der Wahl hatte der damalige Grünen-Fraktionschef Winfried Kretschmann noch einen Untersuchungsausschuss gefordert. Die neue Fraktion aber beschloss ihren Verzicht auf ein solches Gremium - was ihr viele verständnislose Reaktionen eingetragen hat.

Vor allem die Begründung der Vorsitzenden Edith Sitzmann verwundert die Kritiker, die sich telefonisch, per Mail oder in Online-Foren beschweren: Die Aktenlage sei derart "dürftig", dass man kaum Ansatzpunkte zur Aufklärung habe. Aus der Zeit vor dem Vertragsabschluss habe die Regierung überhaupt keine Unterlagen gefunden, danach nur dünne. Das sei "ein skandalöser Vorgang", sagt Sitzmann, der eigentlich "eine intensive Untersuchung wert" wäre.

Mappus will nichts zum EnBW-Deal sagen

Wohl wahr. An Erklärungen, warum die Grünen das nicht wollen (und die SPD schon gar nicht), mangelt es nicht. Mappus sei ja abgewählt und für seinen neuen Arbeitgeber Merck bald nach Brasilien entschwunden, hört man. Gegen wen solle sich ein Ausschuss also richten? Andere Vermutungen besagen, die mit dem Regierenlernen schwer beschäftigten Grünen sähen sich mit der Arbeitslast eines Ausschusses schlicht überfordert. Vielleicht wolle die neue Koalition auch nicht die alten, an dem Deal beteiligten Beamten vorführen, mit denen sie ja weiterarbeiten müsse. Und überhaupt, hört man, solle die EnBW nicht ständig unter Negativschlagzeilen durch einen "EnBW-Ausschuss" leiden.

Voreilig erscheint die Absage gleichwohl. Noch, berichtete Ministerpräsident Kretschmann wenig später, sei die Auswertung der Akten nicht ganz abgeschlossen. Erst danach werde man die Sache "intern bewerten und auch öffentlich dazu Stellung nehmen". Als die Fraktion über den Ausschuss beraten habe, ergänzte Kretschmann, sei er übrigens gar nicht anwesend gewesen.

Ob nie Unterlagen angefertigt wurden oder nachträglich womöglich welche verschwanden, ließ der Premier offen. Sein Vorgänger weist solche Vermutungen zumindest indirekt empört zurück. "Aus Respekt vor dem Staatsgerichtshof" werde er zum EnBW-Deal nichts sagen, ließ Mappus auf StZ-Anfrage ausrichten - "nicht mal zu der absurden Frage, ob Akten ,entfernt' worden seien".

Er wollte seinen Wahlschlager nicht gefährden

Aufklärenswert wäre auch, was in den zwei, drei Wochen vor dem Vertragsschluss hinter den Kulissen abgelaufen ist. Bis dahin wusste nur ein kleiner Kreis von Eingeweihten von Mappus' Plänen - seine politischen Vertrauten, die begleitende Investmentbank Morgan Stanley (mit seinem engen Freund Dirk Notheis als Deutschlandchef) und die Anwälte der Großkanzlei Gleiss Lutz.

Dann aber bekamen nach StZ-Informationen ehemals einflussreiche CDU-Leute auf Umwegen Wind von dem Deal - und reagierten entsetzt. Völlig verantwortungslos sei es, was der Ministerpräsident da plane, zum Schaden des Unternehmens und des Landes. Mit aller Macht versuchten die alten Strategen, den Milliardencoup noch zu verhindern. Direkt und indirekt sollen sie interveniert haben, mögliche Vermittler wurden kontaktiert - alles umsonst. Mappus ließ sich nicht umstimmen, wollte seinen Wahlschlager nicht gefährden.

Ein enger Mitarbeiter soll Mappus gewarnt haben

Auch im persönlichen Umfeld des Regierungschefs wurde der vermeintliche Coup höchst unterschiedlich gesehen. Ein enger Mitarbeiter, der sich auch sonst durch ein unabhängiges Urteil hervortat, habe ausdrücklich davor gewarnt, berichten Insider. Doch Mappus hörte wohl eher auf Einflüsterer wie seinen damaligen Medienberater Dirk Metz. Nun habe der junge Ministerpräsident gezeigt, dass er "auch Wirtschaft kann", bejubelte Metz gegenüber Journalisten das Milliardengeschäft.

Zu seiner Rolle will er sich nicht äußern, auch nicht zur bisher unbekannten Verbindung zum EnBW-Chef Hans-Peter Villis: Metz gehörte zeitweise einer inoffiziellen Runde ("Sounding Board") an, mit der sich Villis gelegentlich informell austauschte. Weitere Teilnehmer: Morgan-Stanley-Chef Notheis, der Personalberater Peter Paschek und der Berliner Ex-Senator Wolfgang Branoner (CDU). Ein "Beratungsmandat" habe es nie gegeben, sagte Metz der StZ, während seiner Tätigkeit für die Stuttgarter Staatskanzlei habe er "an keiner Diskussionsrunde mit Herrn Villis teilgenommen".

Warnungen von CDU-Granden und aus seinem Umfeld - auch dazu lässt sich Mappus nicht viel entlocken. "Schon aus Respekt vor dem Staatsgerichtshof", richtet sein Büro aus, gebe es von ihm keinen Kommentar zu solchen "Behauptungen, wie falsch sie auch immer sein mögen".

Der Staatsgerichtshof - Hüter der Landesverfassung

Organ Der Staatsgerichtshof ist das Verfassungsgericht des Landes. Als selbstständiges und unabhängiges Verfassungsorgan soll er sicherstellen, dass die anderen Staatsorgane - Regierung und Landtag - die Verfassung beachten. Seine Entscheidungen haben zum Teil Gesetzeskraft und sind bindend.

Streitfälle Der Gerichtshof wird grundsätzlich nur auf Antrag tätig: im Fall des EnBW-Deals der früheren Opposition von SPD und Grünen. Er entscheidet grundsätzlich nur in verfassungsrechtlichen Streitigkeiten, einzelne Bürger können ihn nicht anrufen, er fungiert auch nicht als letzte Instanz in anderen Verfahren.

Richter Das Gericht besteht aus neun Richtern, die vom Landtag jeweils für neun Jahre gewählt werden. Zu den drei Berufsrichtern kommen jeweils drei Mitglieder mit und ohne Befähigung zum Richteramt. Chef des Staatsgerichtshofs ist der Präsident des Oberlandesgerichts Stuttgart, Eberhard Stilz.