Hat das Land für die EnBW-Aktien zu viel bezahlt? Darüber wird jetzt vor einem internationalen Schiedsgericht verhandelt. Die Klage der Landesregierung aber ist im Südwesten nicht unumstritten. Wir klären die wichtigsten Fragen rund um EnBW-Deal und Prozessauftakt.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Vor dem Schiedsgericht der Internationalen Handelskammer (ICC) in Paris sind die Geschäftspartner beim EnBW-Deal am Donnerstag erstmals aufeinandergetroffen. Das Land Baden-Württemberg streitet mit der Electricité de France (EdF) darum, ob der Kaufpreis für die Aktien überhöht war. Die wichtigsten Fragen und Antworten.

 

Was ist ein Schiedsgericht?

Schiedsgerichte sind private Gerichte, die im Wirtschaftsleben zunehmend an die Stelle staatlicher Gerichte treten. Ihr Vorteil: die Verfahren sind nicht öffentlich, flexibler und kostengünstiger. Die Entscheidung des Gerichts ist für beide Seiten bindend. Am häufigsten wird – wie beim EnBW-Deal – der Internationale Schiedsgerichtshof der ICC angerufen.

Was fordert das Land in seiner Klage?

Das Land und seine Anwälte glauben, der frühere Ministerpräsident Stefan Mappus (CDU) habe mit 4,7 Milliarden Euro erheblich zu viel für das EnBW-Aktienpaket von 45 Prozent bezahlt. Sie verlangten zunächst zwei Milliarden Euro von der EdF zurück – vorsorglich, wie es hieß. Inzwischen haben sie ihre Forderung auf knapp 840 Millionen Euro reduziert.

Wie kommt dieser Betrag zustande?

Das Land hat den Wert der EnBW im Dezember 2010 – dem Datum des Deals – von einem Gutachter bewerten lassen. Dieser kam zu dem Ergebnis, dass vor allem der Paketzuschlag von 18 Prozent auf den Aktienkurs nicht gerechtfertigt gewesen sei.

Wie kann ein gültiger Vertrag nachträglich infrage gestellt werden?

Mit einem Kniff. Im Kaufvertrag haben beide Seiten versichert, bei dem Geschäft würden die jeweiligen nationalen Regeln eingehalten. Dazu gehören auch EU-Vorgaben. Ein überhöhter Kaufpreis, argumentieren die Anwälte des Landes, wäre eine verbotene Beihilfe – mithin ein Regelverstoß.

Was sagt die EU-Kommission dazu?

Sie ist bisher von sich aus nicht tätig geworden und hat sich auch nicht geäußert. Beobachter gehen davon aus, dass sie das Verfahrensende abwartet.

Wie reagiert die EdF auf die Klage?

Mit Unverständnis und Empörung. Die Klage sei „rechtsmissbräuchlich“, man werde sich mit aller Entschlossenheit dagegen wehren, verlautete es aus Paris. Zudem drohen die Franzosen, ihrerseits das Land für etwaige Schäden in Anspruch zu nehmen.

Ein politisch schwerer Schlag

Welche Trümpfe hat das Land gegenüber Paris?

Die größte Sorge der EdF war es stets, in Deutschland in innenpolitische Streitigkeiten hineingezogen zu werden. Seit bald zwei Jahren ist sie nun in den Schlagzeilen. Das könnte die Bereitschaft erhöhen, den Streit mit einem Kompromiss zu beenden.

Was sagen die Landräte von den Oberschwäbischen Elektrizitätswerken (OEW) als zweiter Großaktionär zu der Klage?

Sie waren verärgert, dass das Land Baden-Württemberg sie erst in letzter Minute informiert hat – was regierungsintern inzwischen als Fehler gilt. Den Kaufpreis für die EnBW-Aktien halten sie nach wie vor für angemessen, obwohl die Landesbank in ihrem Auftrag durchaus kritische Töne anschlug. Die Erfolgsaussichten der Klage schätzen die OEW und ihre Anwälte eher gering ein.

Wie beurteilen unabhängige Juristen das Vorgehen des Landes?

Repräsentativ lässt sich das natürlich nicht sagen. Es scheinen aber die skeptischen Stimmen zu überwiegen. Da es kaum vergleichbare Fälle gebe, werde Neuland betreten.

Warum unterstützt die Opposition von CDU und FDP die Klage nicht?

Die einstigen Regierungsparteien glauben ebenfalls, dass der Kaufpreis angemessen war. Sie verweisen auf eigene Gutachter, die zwar Mängel beim Vorgehen monierten, den Preis aber als „nicht falsch“ einstuften. Politisch wäre es für sie ein schwerer Schlag, wenn die Klage auch nur teilweise Erfolg hätte.

Was verspricht sich Finanzminister Nils Schmid von dem Vorgehen?

Er sagt, man müsse im Interesse des Steuerzahlers versuchen, möglichst viel Geld zurückzuholen. Je mehr Millionen man abzüglich der Verfahrenskosten erstreite, umso besser.

Wie hoch sind die Verfahrenskosten?

Es wird mit einem einstelligen, höchstens zweistelligen Millionenbetrag gerechnet. Zu den Kosten des Gerichts kommen noch die Anwaltshonorare.

Besteht das Risiko, dass der Kauf rückgängig gemacht wird?

Nein, sagt das Land, trotz eines entsprechenden Hilfsantrages. Dieser habe juristische Gründe und werde in der Praxis nicht zum Tragen kommen. Auch die EdF wolle schließlich nicht wieder EnBW-Aktionär werden.

Wie lange wird das Verfahren dauern?

Schwer zu sagen. Wenn es nicht doch noch eine gütliche Einigung gibt, dürfte die Entscheidung im Jahr 2013 fallen. Womöglich wird das Gericht noch einen Obergutachter beauftragen, der ebenfalls Zeit benötigt.

Wäre das Land bei einer Niederlage am Ende seiner Möglichkeiten?

Keineswegs. Parallel zu der Schiedsklage prüft es, die Akteure und Berater in Anspruch zu nehmen – also Ex-Ministerpräsident Stefan Mappus und seine Helfer, die Investmentbank Morgan Stanley und die Anwaltskanzlei Gleiss Lutz.