Ein anonymes Schreiben hatte einst verschwiegene Pannen im Reaktor Philippsburg enthüllt. Bei der Aufarbeitung kommt nun noch mehr heraus.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Der Energiekonzern EnBW gerät wegen nicht gemeldeter Vorfälle im Kernkraftwerk Philippsburg 2 in die Kritik. Bei der Aufarbeitung von Vorwürfen, die vor einem Jahr in einem anonymen Schreiben erhoben wurden, werden immer mehr Sicherheitsprobleme bekannt. Über die in dem Papier beschriebenen drei Vorgänge in den Jahren 2009 und 2010 hinaus sind mittlerweile zwei weitere gravierende Pannen festgestellt worden.

 

Ein vom Landesumweltminister Franz Untersteller (Grüne) beauftragter Gutachter fand heraus, dass bei Arbeiten an der Löschanlage im Reaktorinneren mehr als zwei Wochen lang der Brandschutz beeinträchtigt war. Untersteller nimmt dies „sehr ernst“ und hat von der EnBW deswegen bis Wochenanfang ultimativ eine Stellungnahme verlangt. Zugleich übermittelte er die Ergebnisse des Gutachtens an die Staatsanwaltschaft Karlsruhe, die einem Sprecher zufolge nun erneut die Aufnahme von Ermittlungen prüft; man warte noch auf zusätzliche Unterlagen. Im vergangenen Jahr war die Behörde nach Strafanzeigen schon einmal tätig geworden, hatte das Verfahren aber eingestellt.

„Eilmeldung“ nach mehr als zwei Jahren

Ein zweiter Vorfall wurde von der EnBW selbst nachträglich gemeldet. Erst bei der „Zusammenstellung von Unterlagen“ für die Überprüfung durch den Gutachter des Landes will der Energiekonzern bemerkt haben, dass im Januar 2010 ein System für Notfälle wie Flugzeugabstürze „formal als ausgefallen zu werten“ war. Dies wurde per „Eilmeldung“, die eigentlich innerhalb von 24 Stunden zu erstatten ist, an das Land nachgemeldet. Das Unternehmen kündigte an, die Vorwürfe in dem anonymen Schreiben „nochmals umfassend und vorbehaltlos“ zu prüfen.

Ins Zwielicht gerät nun auch der Tüv, der solche Störfälle als Gutachter bewerten soll, deren Tragweite aber offenbar nicht erkannt hat. Untersteller will daher auch die Rolle der Sachverständigen durchleuchten lassen. „Kritisch hinterfragen“ möchte er zudem die Atomaufsicht in seinem damals noch CDU-geführten Ministerium, die informell informiert war, aber ebenfalls keine Konsequenzen für nötig hielt. In dem anonymen Schreiben hatte es geheißen, die EnBW und die Aufsicht hätten die Vorfälle geheim halten wollen, um die geplante Laufzeitverlängerung der Kernkraftwerke nicht zu gefährden.

In der Reaktorsicherheitskommission des Bundes wurden die Vorfälle nach StZ-Informationen mit den schweren Pannen 2001 in Philippsburg verglichen, die zur Ablösung zweier Vorstände und zu einem wochenlangen Stillstand des Kraftwerkes geführt hatten. Aus diesen Verstößen habe man offenbar nichts gelernt, die neuen Vorfälle folgten wieder dem gleichen Muster, hieß es in dem Gremium. Zugleich wurde dort der Verdacht geäußert, es gehe nicht um Fehler einzelner Mitarbeiter, sondern um systematische Defizite im Sicherheitsmanagement. Die EnBW bestritt dies.