Der Ausstoß von Quecksilber in der Müllverbrennungsanlage in Münster am Dienstag vergangener Woche hat den Grenzwert um das Vierfache überschritten. Das Regierungspräsidium beschwichtigt: für die Anwohner habe keine Gefahr bestanden.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Womöglich kann die EnBW die Brennöfen des Heizkraftwerkes in Münster an diesem Freitag wieder hochfahren: Das Regierungspräsidium Stuttgart (RP) hat am Donnerstag mit Hochdruck geprüft, ob es nach dem erhöhten Ausstoß von Quecksilber in die Luft (die StZ berichtete) den Betrieb der Müllverbrennungsanlage wieder zulässt. Ein Ergebnis lag am Abend aber noch nicht vor.

 

Die EnBW teilte am Donnerstag auch das Ausmaß des Störfalls mit. Am Dienstag vergangener Woche müssen sich im angelieferten Müll Gegenstände befunden haben, die stark mit Quecksilber belastet waren – als diese Dinge verbrannt wurden, schlug das Messsystem Alarm, und das Kraftwerk wurde stillgelegt. Die emittierte Menge habe in der Spitze um das Vierfache über dem Grenzwert von 0,05 Milligramm pro Kubikmeter Luft im Halbstundenmittelwert gelegen, sagte Hans-Jörg Groscurth, der Sprecher der EnBW – also bei 0,2. Ein Kraftwerksbetreiber ist verpflichtet, im Jahresmittel den Grenzwert von 0,1 Milligramm pro Kubikmeter einzuhalten. Trotz des Störfalls dürfte dies auch 2015 der Fall sein; denn 2014 lag das Mittel bei 0,004.

Regierungspräsidium: Messungen jetzt nicht mehr sinnvoll

Auch das Regierungspräsidium (RP) geht davon aus, dass es keine Gefahr für die Menschen rund um Münster gegeben habe. Dabei stütze man sich auf ein Gutachten von 2001, so RP-Sprecher Robert Hamm, das nachweise, dass in Münster auch bei erhöhten Werten keine gesundheitliche Gefährdung zu erwarten sei. Messungen seien jetzt nicht mehr sinnvoll, so Hamm weiter, da die Schadstoffe sich verflüchtigt hätten.

Hamm schließt sogar nicht aus, dass es nun nach dem Anfahren des Kraftwerks zunächst erneut zu Überschreitungen des Grenzwertes komme – am vergangenen Donnerstag, als man die Anlage probeweise in Betrieb genommen habe, sei genau dies geschehen. In der Luft werde das Quecksilber aber „extrem“ verdünnt. Zur Absicherung würden der Müll kontrolliert und spezielle Aktivkohlefilter verwendet.

Welche Gegenstände diese große Menge an Quecksilber enthalten haben und ob diese vorsätzlich und damit illegal in den Müll geworfen wurden, kann die EnBW nicht sagen. Der Konzern hat jedenfalls Anzeige gegen Unbekannt erstattet. Quecksilber findet sich heute noch in höherer Konzentration in Batterien, manchen Farben, Pflanzenschutzmitteln – und in Zahnamalgam. Laut dem Umweltbundesamt macht letzterer Posten bis zu drei Viertel des von Menschen genutzten Materials aus.

Kohlekraftwerke stoßen am meisten Quecksilber aus

Blickt man auf die Quecksilber-Emissionen, sieht es anders aus. Insgesamt gelangen in Deutschland jährlich etwa zehn Tonnen in die Umwelt. Müllverbrennungsanlagen spielen als Verursacher dabei kaum eine Rolle; ihr Anteil beträgt nur drei Prozent. Hauptemittenten sind mit 70 Prozent die Kohlekraftwerke. Auch die Anlagen in Gaisburg und Altbach stoßen kontinuierlich Quecksilber aus; wie viel, teilte die EnBW bisher nicht mit.

Dass die Grenzwerte in einer Müllverbrennungsanlage überschritten werden, kommt hin und wieder vor. Im vergangenen Jahr war im Kraftwerk Weißenhorn im Landkreis Neu-Ulm ein erhöhter Wert von 0,07 Milligramm pro Kubikmeter festgestellt worden. Und in der Müllverbrennungsanlage Bonn hatten Unbekannte im Dezember 2013 insgesamt 38 Kilogramm Quecksilber eingeschmuggelt; etwa 470 Gramm davon gelangten in die Umwelt. Die Täter seien nie ermittelt worden, sagt der Bonner Stadtwerke-Sprecher Werner Schui. Man habe aber reagiert: Seither gebe es einen Messpunkt unmittelbar hinter dem Ofen, damit der Alarm sofort ausgelöst werden könne; außerdem habe man ein neues Filtersystem eingebaut. Die Anlage in Bonn war damals trotz des Störfalls nicht abgeschaltet worden.

Veröffentlichung der Störung war keine Pflicht

In den vergangenen Tagen hat der Abfallwirtschaftsbetrieb Stuttgart (AWS) weiter Restmüll nach Münster geliefert, obwohl das Kraftwerk stillsteht. Die Kapazität der Müllbunker ist aber endlich. Bisher hat die AWS täglich 500 Tonnen in Münster und 300 Tonnen im Restmüllheizkraftwerk in Böblingen verbrennen lassen. Sollte Münster wider Erwarten an diesem Freitag nicht in Betrieb gehen, so ist geplant, die Deponie Einöd als Umschlagplatz für höchstens 500 Tonnen zu nutzen. Die AWS werde den Müll aber auf jeden Fall weiter in den Haushalten abholen, versprach Annette Hasselwander, die Sprecherin des AWS.

In Deutschland sind die Emissionen von Quecksilber seit dem Jahr 1990 um zwei Drittel gesunken, global steigen sie aber dramatisch an, vor allem durch neue Kohlekraftwerke in China. Das Umweltbundesamt hat in einer Studie von 2012 deshalb gefordert, die Grenzwerte auch in Deutschland drastisch zu senken. Schon heute sei es in Kohlekraftwerken technisch möglich, ein Jahresmittel von 0,03 Milligramm pro Kubikmeter einzuhalten; Ziel müssten 0,01 Milligramm pro Kubikmeter sein; das wäre ein Zehntel des derzeitigen Jahresmittelwertes. Die Müllverbrennungsanlage in Münster würde auch diesen Wert heute schon schaffen.

Eine Veröffentlichung des Störfalls – wie bei einem Atomkraftwerk – sei gesetzlich nicht vorgeschrieben, betonte EnBW-Sprecher Hans-Jörg Groscurth. Das RP sei aber sofort benachrichtigt worden und könne sowieso „live“ auf die Emissionsdaten in Münster zugreifen.