Beim Einstieg des Badenwerks 1995 zahlte Thermoselect 100.000 Mark an die Landes-CDU. Die Beteiligten streiten einen Zusammenhang ab.  

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Es ist eine unendliche Geschichte. Gut sieben Jahre ist es inzwischen her, dass die Energie Baden-Württemberg AG (EnBW) entnervt aus der Thermoselect-Technologie ausstieg. Das einst als "Müllwunder" gepriesene Verfahren zur Abfallentsorgung endete für die Karlsruher als Millionengrab. Doch bis heute streiten die früheren Partner vor diversen Gerichten ums Geld. In einem Verfahren bei der Schweizer Justiz geht es aktuell um jene Anzahlung von 50 Millionen Mark, die der EnBW-Vorläufer Badenwerk 1995 für die Beteiligung an Thermoselect geleistet hat. Der Energiekonzern verlangt den kompletten Betrag zurück, der Thermoselect-Erfinder Günter Kiss fordert im Gegenzug mehr als das Doppelte als angeblich noch ausstehenden Kaufpreis.

 

Abseits der Prozesse wirft die alte Geschäftsverbindung nun ganz neue Fragen auf. Interne Dokumente aus den Unternehmen legen die Vermutung nahe, dass ein Zusammenhang zwischen der Beteiligung und einer Spende an die Südwest-CDU bestehen könnte. Stolze 100.000 Mark hatte Kiss der Landespartei Ende 1995 zukommen lassen, ordnungsgemäß ausgewiesen im Spendenbericht des Bundestages. Spender war formal eine Thermoselect-Niederlassung in Mülheim an der Ruhr, veranlasst hatte die Überweisung indes der Verfahrenserfinder. Kurz vor der Landtagswahl 1996 war die großzügige Gabe bei den Christdemokraten hochwillkommen.

Öffentlichen Wirbel um die Spende gab es erst fünf Jahre später, Anfang 2000. Da musste sich der damalige CDU-Landesgeneralsekretär Volker Kauder - heute Unionsfraktionschef im Bundestag - schon einmal des Verdachts erwehren, sie sei nicht ganz zweckfrei erfolgt. Es sei mitnichten darum gegangen, die Genehmigung des Regierungspräsidiums für dieThermoselect-Anlage im Karlsruher Rheinhafen zu beeinflussen, beteuerte Kauder: "Ein solcher Zusammenhang ist nicht herstellbar." Die Mittelbehörde nannte das ebenfalls "nicht vorstellbar", zumal man zur fraglichen Zeit eine SPD-Präsidentin gehabt habe. Gleichwohl ließ die Südwest-CDU die Geldgabe von ihrem Wirtschaftsprüfer untersuchen. Dieser habe im Spätjahr 2000 "die parteienrechtliche Rechtmäßigkeit...bestätigt", verlautet heute aus der Parteizentrale - ein Ergebnis, das der Generalsekretär übrigens schon Monate vorher verkündete.

Eindeutige Indizien

Nun wird eine frappierende zeitliche Koinzidenz zwischen der Parteispende und der EnBW-Beteiligung an Thermoselect bekannt. Im Februar 1995 hatte der damalige Badenwerk-Chef Gerhard Goll die besagten 50 Millionen Mark an Kiss überweisen lassen. Der Betrag floss auf dessen Konto (Nr.511626015) bei der liechtensteinischen Verwaltungs- und Privatbank Vaduz. Mit der Anzahlung hoffe man "eine gute Basis für die weiteren Verhandlungen" zu schaffen, hieß es im Begleitschreiben an den am Lago Maggiore residierenden Thermoselect-Chef. Es sei wohl darum gegangen, "eine vorläufige Bindung zu erzeugen", sagt Goll heute. Das Badenwerk habe an den aus damaliger Sicht "guten Vermarktungsmöglichkeiten für die Technologie teilhaben" wollen. Umgekehrt habe Thermoselect Interesse an der Zusammenarbeit mit einem renommierten Energieversorger gehabt. Doch es dauerte noch zehn Monate, bis der Vertrag über die Beteiligung von 25,1 Prozent abgeschlossen wurde.

Am 5. Dezember 1995 war es so weit. Ineinem internen Vermerk von Thermoselect ("Persönlich/Vertraulich") sind nicht nur die Eckpunkte des Deals festgehalten - etwa zur weiteren Bezahlung, zur Ertragsbewertung oder zur Meldung beim Kartellamt. In zwei Unterpunkten geht es um die "Spende an die CDU Baden-Württemberg" und deren terminliche Abwicklung: Der Überweisungsauftrag an die Schweizerische Volksbank erfolgte danach am 4.Dezember, also just einen Tag vor Vertragsschluss. Einen Tag danach wurden die 100.000 Mark bei Thermoselect abgebucht, sechs Tage später erhielt die Südwest-CDU sie gutgeschrieben.

Sollte es purer Zufall sein, dass praktisch zeitgleich die Beteiligung besiegelt und die Spende angewiesen wurde? Schwer zu glauben. Wenn die beiden Vorgänge nichts miteinander zu tun hätten, wären sie wohl kaum im gleichen Vermerk aufgeführt worden. Doch von den damals Beteiligten will keiner etwas von einem inhaltlichen Zusammenhang wissen. Die EnBW hatte stets versichert, man habe mit der Spende nichts zu tun - und will dem heute "nichts hinzufügen". Intern berichtete der Konzernchef Goll laut einem Gremienprotokoll im Jahr 2000, die Spende sei vor der Beteiligung an Thermoselect erfolgt. Wie lange vorher, blieb offen - von einem einzigen Tag steht nichts in der Niederschrift.

Schwierige Aufarbeitung

Golls heutiges "Bemühen um Aufklärung stößt an enge Grenzen", zumal er über keinerlei Unterlagen mehr verfüge. "Es mag sein, dass mich Thermoselect über die Spendenabsicht informiert hat", ließ er die StZ wissen. "Als CDU-Mitglied hätte ich nichts dagegen einzuwenden gehabt." Wenige Jahre zuvor gehörte er noch als ehrenamtlicher Staatsrat der Landesregierung des damaligen Ministerpräsidenten (und CDU-Landeschefs) Erwin Teufel an. Doch wenn er vorab Bescheid gewusst haben sollte, so Goll, hätte die Geldgabe sein Handeln als Vorstandschef "nicht beeinflusst oder gar bestimmt".

 Auch der Empfänger kann wenig zur Erhellung beitragen. Kannte die CDU die enge zeitliche Abfolge von Spende und Beteiligung? Man habe dazu keine Unterlagen mehr, heißt es beim Landesverband, die Aufbewahrungsfrist ende nach zehn Jahren. Richtiger Ansprechpartner sei als damaliger Generalsekretär der heutige Fraktionschef Kauder. Doch der muss ebenfalls passen: "Nach mehr als fünfzehn Jahren kann ich Details einer Spende nicht mehr erinnern."

Ähnlich ergeht es dem einstigen Thermoselect-Chef Günter Kiss, der sich "bereits vor einigen Jahren aus dem aktiven Geschäftsleben zurückgezogen" hat. Da er keine Unterlagen aus der fraglichen Zeit mehr habe, sei er "beim besten Willen nicht in der Lage, ...detailliert Stellung zu nehmen". Eines wusste Kiss auf StZ-Anfrage aber noch ganz genau: Zwischen der Spende an die CDU und dem Beteiligungserwerb "bestand keinerlei sachlicher Zusammenhang". Auch etwaige Vermutungen, dass die Vertragsverhandlungen dadurch befördert werden sollten, könnten nicht zutreffen: Nach seiner Erinnerung seien diese "nie ins Stocken geraten".

Widerstand in den eigenen Reihen

Doch das Engagement des (mehrheitlich landeseigenen) Badenwerks bei Thermoselect war keinesfalls unumstritten. Bis ins Landeskabinett und die CDU-Spitze hinein gab es Vorbehalte dagegen. Man sei "gegenwärtig in schwerer See", berichtete Goll im August 1995 dem Aufsichtsrat - Monate nach der Millionenanzahlung und Monate vor dem Vertragsschluss. Als Gründe nannte er laut Protokoll unter anderem, Thermoselect operiere "mit Methoden, die nicht dem Geschäftsgebaren des Badenwerks entsprechen"; die - letztlich nie bewiesenen - "Bestechungsvorwürfe im Tessin" etwa seien in der öffentlichen Diskussion belastend.

An erster Stelle erwähnte Goll damals allerdings "psychologische Gründe". Eines seiner beiden Beispiele: einige Wochen zuvor habe der Ministerpräsident - CDU-Landeschef Erwin Teufel - "in einem Telefonat geäußert, er halte von dem Thermoselect-Engagement überhaupt nichts; das Badenwerk werde hier noch viele Millionen DM verlieren". Wenige Monate später hatte Teufels CDU indes kein Problem damit, von dem skeptisch beäugten Geschäftspartner eine Großspende anzunehmen. Sollten da etwa einflussreiche widerstrebende Kräfte besänftigt werden?

Teufels Argwohn erwies sich im Rückblick übrigens als nur zu berechtigt. Beim Ausstieg aus Thermoselect beklagte die EnBW Verluste von rund 400 Millionen Euro. Was das Unternehmen davon wiedersehen wird, entscheidet sich nun auch in der Schweiz. In der ersten Instanz hat das Bezirksgericht die EnBW-Klage auf Rückzahlung der 50 Millionen Mark abgewiesen. Derzeit wird der Rechtsstreit beim Obergericht Zürich fortgeführt - eine endlose Geschichte.

Vom Müllwunder zum Problemfall

Hoffnung: Das Thermoselect-Verfahren zur Müllentsorgung – eine Kombination von Pyrolyse und Hochtemperaturvergasung – weckte in den neunziger Jahren hohe Erwartungen. In Scharen pilgerten Landes- und Kommunalpolitiker an den Lago Maggiore, um die Pilotanlage zu besichtigen. Kein Gift, kein Gestank – mit dem „Müllwunder“, architektonisch reizvoll in Rot verpackt, schien eine neue Ära in der Entsorgung anzubrechen.

Enttäuschung: Der EnBW-Vorläufer Badenwerk setzte unter Vorstandschef Gerhard Goll voll auf die neue Technik. Im Karlsruher Rheinhafen wurde eine Thermoselect-Anlage gebaut, bei der es jedoch immer neue Probleme gab; der Volksmund spottete über „Thermodefekt“. 2004 beendete Golls Nachfolger Utz Claassen das Engagement mit hohen Verlusten. Seither prozessieren die einstigen Partner.