Exklusiv In Kolumbien diskutiert die EnBW über Missstände beim Kohleabbau. Deutsche Organisationen, die diese angeprangert haben, bleiben demonstrativ fern. Ihre Sorge: mit Reden solle Nichtstun kaschiert werden.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Das Podium der Tagung ist hochrangig besetzt. Für die Energie Baden-Württemberg (EnBW) spricht der Technikvorstand Hans-Josef Zimmer, für die Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) der Bundesvorsitzende Michael Vassiliadis. Doch die von dem Energiekonzern gemeinsam mit der Gewerkschaft und der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung veranstaltete Konferenz findet nicht etwa am Firmensitz in Karlsruhe statt, sondern viele Flugstunden entfernt im südamerikanischen Kolumbien. In der Hauptstadt Bogotá geht es an diesem Donnerstag und Freitag um einen – so der Titel – „verantwortungsvollen und nachhaltigen Exportkohleabbau in Kolumbien”. Einheimische und eingeflogene Akteure wollen miteinander diskutieren, wie es dabei um Menschenrechte, Umweltschutz und Arbeitsstandards bestellt ist.

 

Mit dem aufwendig vorbereiteten Kongress setzt die EnBW ein weiteres Zeichen, wie ernst es ihr mit ihrer Verantwortung auch fernab von Baden-Württemberg ist. Der Ausstieg aus der Atomkraft verhalf der Steinkohle auch im Südwesten zu einem unverhofften Comeback. Gut ein Drittel der fast sieben Millionen Tonnen, die 2013 in den EnBW-Kraftwerken verfeuert wurden, stammt aus Kolumbien; vor Russland und den USA ist es für die Karlsruher inzwischen das wichtigste Importland geworden (siehe Infobox).

Ein US-Konzern gehe „über Leichen“

Doch damit geriet der Energiekonzern auch ins Visier von Organisationen, die sich kritisch mit den Bedingungen des weltweiten Kohleabbaus auseinandersetzen. Besonders schlecht, so deren Befund, sehe es da in Kolumbien aus. Vernichtend war das Fazit eines Dossiers („Bitter Coal”), das die deutsche Umweltorganisation Urgewald nebst Partnern im Frühjahr 2013 vorlegte: Auf die Bevölkerung in den Abbauregionen werde keine Rücksicht genommen, die Milliardengewinne flössen ins Ausland ab, zurück blieben verwüstete Landschaften und ausgetrocknete Flüsse.

Besonders schlimm treibe es der US-Konzern Drummond, der buchstäblich „über Leichen” gehe. Bis vor einigen Jahren solle Drummond – zumindest indirekt auch Geschäftspartner der EnBW – eine paramilitärische Einheit finanziert haben, sogar mit Morden an Gewerkschaftern wird das Unternehmen in Verbindung gebracht. Gerade einen Energieversorger, der von einer grün-roten Landesregierung kontrolliert werde, dürfe das nicht kaltlassen, folgerten die Kritiker. Auch Regierungsvertreter bestärkten die EnBW darin, sich „intensiv mit dem Thema auseinanderzusetzen”.

Kritiker bemängeln Worte statt Taten

Man nehme die Probleme „sehr ernst”, heißt es seither in Karlsruhe. Und auch die Kritiker bescheinigten der EnBW „gute Ansätze” und das Bemühen um Transparenz. Doch zugleich hegten sie den Verdacht, es werde viel geredet und wenig gehandelt. Genau das ist der Grund, weshalb die deutschen Organisationen Urgewald und Power Shift dem Kongress in Bogotá jetzt demonstrativ fernbleiben. Sie waren „explizit eingeladen, haben aber zu unserem Bedauern abgesagt”, bestätigt ein Unternehmenssprecher.

„Reden statt handeln” – darum geht es für Urgewald auch bei der Tagung. Damit solle „nur suggeriert werden, dass man etwas tut”, befürchtet die Geschäftsführerin Heffa Schücking. Sie erwarte nicht, dass bei den Diskussionsrunden „sinnvolle Ergebnisse herauskommen”. Besonders irritiert ist Schücking über die Teilnahme von Vertretern des umstrittenen Konzerns Drummond: „Das geht einfach nicht.” Gerade diesem gegenüber müsse die EnBW endlich einmal ein „klares Zeichen setzen”. Doch mit konkreten Konsequenzen tue sich der Energiekonzern merkwürdig schwer. Kritiker sprechen denn auch von Greenwashing: Die EnBW hänge sich ein schönes neues Mäntelchen um, lasse die Dinge aber im wesentlichen beim Alten.

EnBW berichtet über gute Resonanz

Bei der EnBW wird die Kritik nicht direkt pariert, sondern auf die eigenen Aktivitäten verwiesen. Erst im März diesen Jahres etwa habe man ein Expertenteam nach Kolumbien geschickt, um sich über die Verhältnisse aus erster Hand zu informieren, sagt ein Sprecher. Seit April gebe es nun als Konsequenz einen Vor-Ort-Repräsentanten, der als direkter Ansprechpartner bereitstehe. Alle Geschäftspartner würden neben der Bonität auch darauf geprüft, ob sie soziale und ökologische Mindestkriterien einhielten. Und für wichtige Steinkohlelieferanten führe man ein „Nachhaltigkeitsregister”, das alle sechs Monate aktualisiert werde.

Bei den Nichtregierungsorganisationen in Kolumbien, so der EnBW-Sprecher, stoße die Konferenz auf ein „sehr gutes Feedback”. Nur wer mit am Tisch sitze, könne Einfluss nehmen und Verbesserungen vor Ort bewirken. Drei der vier wichtigsten Minenbetreiber seien bei der Tagung vertreten, auch die anderen großen deutschen Versorger, die ebenfalls in der Kritik stehen, schickten Teilnehmer. Die lokalen Gesprächspartner, so die EnBW, bestärkten den Stromkonzern darin, den Kohlebezug aus Kolumbien fortzusetzen. In dem Abbau sähen sie einen „wesentlichen Beitrag zur weiteren wirtschaftlichen Entwicklung und damit auch politischen Stabilisierung des Landes”. Ein Boykott einzelner Minenbetreiber werde auch von örtlichen Gewerkschaften und Umweltverbänden ausdrücklich abgelehnt.

Der Name des Tagungsraums in dem Hotel in Bogotá könnte für die erwarteten 80 Konferenzteilnehmer übrigens ein Ansporn sein. Visionarios heißt er – zu deutsch: Visionäre.