Bis 2021 hat die EnBW den Vertrag ihres Technikvorstandes Hans-Josef Zimmer verlängert. Zugleich verklagt sie ihn wegen der Russland-Affäre weiter auf 80 Millionen Euro. Für den Energiekonzern ist das kein Widerspruch – doch nun droht ihm neuer Ärger .

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die Mitteilung des Versorgers Energie Baden-Württemberg (EnBW) las sich, als ginge es um eine ganz normale Personalie. Hans-Josef Zimmer, meldete der Karlsruher Konzern, sei vom Aufsichtsrat als Technikvorstand wiederbestellt worden. Damit bleibe er bis zum Mai 2021 im Amt, wenn er die Altersgrenze von 63 Jahren erreiche.

 

Normal war aber schon die letzte, auf Anfang 2012 erfolgte Bestellung Zimmers nicht. Bundesweit erregte sie Aufsehen, weil die EnBW den Atomexperten nicht nur zurück in den Vorstand beförderte, sondern gleichzeitig auf einen horrenden Betrag verklagte. In einem Zivilverfahren vor dem Landgericht Landau fordert sie von ihm etwa 80 Millionen Euro. Begründet wird dies mit angeblichen Pflichtverletzungen des Managers im Zusammenhang mit dubiosen Russland-Geschäften, deretwegen der Konzern 130 Millionen Euro abschreiben musste. Mitte 2012 wurde zudem bekannt, dass die Staatsanwaltschaft Mannheim wegen der Verträge mit dem Moskauer Lobbyisten Andrey Bykov Ermittlungen eingeleitet hatte. Sieben teils aktive, teils ehemalige EnBW-Manager stünden unter dem Verdacht der Untreue und der Steuerhinterziehung – darunter neben zwei Ex-Chefs auch Zimmer.

Seit vier Jahren ermittelt die Justiz

Die Ermittlungen laufen nach wie vor, wie ein Sprecher der Mannheimer Anklagebehörde der StZ bestätigte. Derzeit sei man dabei, Unterlagen auszuwerten, die die Schweiz zu Jahresbeginn im Wege der Rechtshilfe zur Verfügung gestellt habe. Dort nämlich hatten jene Bykov-Firmen ihren Sitz, mit denen die EnBW seit Jahren streitet. Zuvor hatten die Staatsanwälte bei einem Zeugen in München Beweise gesichert – einem schillernden Ex-General der Bundeswehr, dessen Rolle bei den Russland-Geschäften undurchsichtig ist. Wann das Verfahren abgeschlossen werde, sei „noch nicht absehbar“, verkündet der Behördensprecher regelmäßig.

Nicht absehbar ist damit auch, wann das Zivilverfahren gegen Zimmer weitergeht – und jenes gegen seinen pensionierten Kollegen Wolfgang Heni, von dem die EnBW sogar 93 Millionen Euro verlangt. Die Prozesse in Landau und Heilbronn wurden ausgesetzt, bis die Staatsanwaltschaft die Ermittlungen abgeschlossen hat; die Erkenntnisse sollen dann mit einfließen. Mit seinen Millionenklagen gegen zwei weitere Manager ist der Konzern bereits endgültig gescheitert. Auch Zimmer und Heni bestreiten die Vorwürfe dem Vernehmen nach vehement – und stützen Bykovs Position, der zudem drei von vier Schiedsverfahren gegen die EnBW gewonnen hat.

Lehrt Anwalt nun auch EnBW das Fürchten?

Alles ist also nach wie vor offen – und trotzdem verlängert die EnBW Zimmers Vertrag? Er wisse offenbar zu viel, als dass man sich von ihm trennen könnte, wird seit Jahren gemunkelt. Offiziell ist davon natürlich keine Rede. Es gelte das, was man bereits Ende 2011 gesagt habe, sagte ein Konzernsprecher der StZ: Die früheren Tätigkeiten des Managers für Konzerngesellschaften, bei denen er die Pflichtverletzungen begangen haben soll, stünden in „keinem rechtlichen Zusammenhang“ mit seinen aktuellen Aufgaben als Vorstand. Auch „aktienrechtliche Stellungnahmen renommierter Gutachter“ hätten damals bestätigt, dass seiner Rückkehr in den Vorstand nichts entgegenstehe. Während der internen Untersuchung hatte der Saarländer das Amt formal niedergelegt und seine Arbeit als „Generalbevollmächtigter Technik“ praktisch nahtlos fortgesetzt.

Inzwischen droht der EnBW weiterer Ärger wegen Zimmer. Deutlich wurde das bereits bei der Hauptversammlung 2015, als ein erstmals auftretender Kleinaktionär bohrende Fragen nach der Russland-Affäre stellte: der bekannte Wirtschaftsanwalt Franz Enderle aus der Münchner Kanzlei Bub Gauweiler & Partner. Schon die Deutsche Bank hatte Enderle das Fürchten gelehrt, als Vertreter der Erben des Medienunternehmers Leo Kirch. Es gilt zu einem guten Teil als sein Erfolg, dass das zermürbte Geldhaus am Ende einem Vergleich über mehr als 900 Millionen Euro zustimmte.

Die Bezüge werden trotz der Klage ausbezahlt

Bei der EnBW zeigte sich Enderle, offenbar im Auftrag von Bykov, nicht minder kampfeslustig. So erkundigte er sich etwa, ob Zimmers Vorstandsbezüge eigentlich mit den Millionenforderungen des Konzerns verrechnet würden; man müsse sich das Geld ja sichern. Diese Frage stelle sich erst, wenn Ansprüche gegen ihn rechtskräftig festgestellt seien, erwiderte der Rechtsvorstand Bernhard Beck; zudem gebe es ja noch die Manager-Haftpflichtversicherung. Diese solle in der Russland-Affäre offenbar „abgezockt“ werden, hatten andere Kleinaktionäre gemutmaßt. Enderle verblieb leicht drohend, die Großzügigkeit gegenüber Zimmer werde „sicher interessant“, wenn die EnBW etwaige Ansprüche am Ende nicht realisieren könne.

Zudem legte er den Finger in eine weitere Wunde. Eine der gegen Zimmer klagenden Konzerngesellschaften ist inzwischen mit der EnBW AG verschmolzen worden, die damit laut Beck selbst zur Klägerin geworden ist. Wer, fragte Enderle, vertrete die Gesellschaft nun in dem Prozess? Im Falle des Technikvorstands sei es der Aufsichtsrat, antwortete der Rechtsvorstand. Es bleibt freilich bei der kuriosen Situation, dass es innerhalb des Vorstandes zwei komplett gegensätzliche Sichtweisen auf die Russland-Affäre gibt: jene von Zimmer, der alle Vorwürfe zurückweist, und jene des übrigens Vorstandes, der Bykovs Version für abwegig hält. Welche von beiden stimmt, könnte noch brisant werden: Laut Aktiengesetz sind Aufsichtsräte und Vorstände verpflichtet, bei der Hauptversammlung zutreffende Angaben zu machen; andernfalls droht sogar Haft.

Nächster Akt vor Gericht in Mannheim

Mit den Auskünften bei der Hauptversammlung 2015 zeigte sich Franz Enderle jedenfalls nicht zufrieden. Seiner Ankündigung, gegen deren Beschlüsse vorzugehen, hat er inzwischen Taten folgen lassen: Beim Landgericht Mannheim liegt einem Sprecher zufolge seit Längerem eine entsprechende Anfechtungsklage. Ursprünglich sollte die mündliche Verhandlung im Februar stattfinden, nun ist sie für Ende April angesetzt – kurz vor dem Aktionärstreffen 2016. Die Russland-Affäre wird den Konzern also nicht so schnell loslassen.