In die neue Vertriebschefin Hennersdorf hatte Konzernchef Mastiaux große Erwartungen gesetzt. Nach gut zwei Jahren gibt sie jetzt auf – offiziell aus persönlichen Gründen. Tatsächlich ist sie gescheitert: ihre Erfolge waren bescheiden, die Probleme umso größer.

Titelteam Stuttgarter Zeitung: Andreas Müller (mül)

Stuttgart - Die EnBW machte kein großes Aufheben um den Abgang ihrer Vorzeigefrau. Nur auf Anfrage bestätigte der Karlsruher Energiekonzern, dass die oberste Vertriebschefin sich zum Jahreswechsel verabschiedet habe. Nach gut zwei Jahren gehe Susan Hennersdorf (49) „auf eigenen Wunsch und aus persönlichen Gründen“, sie wolle sich „neuen beruflichen Herausforderungen“ zuwenden. Weitere Auskünfte gebe es nicht dazu.

 

Das war allenfalls die halbe Wahrheit. Private Aspekte haben, wie man hört, wohl eine wichtige Rolle gespielt. Tatsächlich aber gilt Hennersdorfs Mission bei der EnBW zumindest teilweise als gescheitert – jedenfalls gemessen an den hohen Erwartungen, mit denen sie Ende 2014 empfangen worden war. Kurz zuvor war damals der für den Vertrieb zuständige Vorstand Dirk Mausbeck ausgeschieden; sein auslaufender Vertrag wurde nicht verlängert. Offiziell wurde das mit einer Verkleinerung des Vorstands begründet: In schwierigen Zeiten wolle der EnBW-Chef Frank Mastiaux so ein Zeichen setzen, dass nicht nur bei den Indianern, sondern auch bei den Häuptlingen gespart werde.

Hilfreiche Erfahrungen von Vodafone

Den promovierten Ökonomen Mausbeck – erst 2011 auf Betreiben des früheren Konzernchefs Hans-Peter Villis bestellt – traf es aber auch, weil er der neuen Führung als Teil des Problems und nicht als Teil der Lösung galt. Er sei zwar ein kluger Analytiker, hieß es, stehe jedoch zu sehr für die alte, als arrogant empfundene EnBW. Für den Vertrieb war Mastiaux fortan selbst zuständig, auch als Signal, wie wichtig ihm dieses Feld sei. Die Zukunft der Energiekonzerne hängt schließlich entscheidend davon ab, wie sie als einst verwöhnte Monopolisten im Wettbewerb bestehen. „Nah am Kunden“ lautet denn auch eine zentrale Vorgabe des EnBW-Chefs.

Für das eigentliche Geschäft verpflichtete er als „Generalbevollmächtigte“ Hennersdorf, die direkt an ihn berichten werde. Damit habe man „eine Topmanagerin aus dem Vertriebs- und Marketingumfeld“ gewinnen können, berichtete er stolz. Zuvor als Geschäftsführerin bei Vodafone Deutschland für den gesamten Privatkundenvertrieb zuständig, passe Hennersdorf bestens zur EnBW: Der Strukturwandel, den die Telekommunikationsbranche bereits bewältigt habe, stehe der Energiewirtschaft erst noch bevor. Mit diesen wertvollen Erfahrungen werde die Topfrau „den Vertrieb neu ausrichten“, ihn auf Effizienz und Qualität trimmen. Wie viel da aus seiner Sicht im Argen lag, deutete Mastiaux bei der Hauptversammlung 2015 nur an: Der Vertrieb habe zwar zulegen können, sei „aber dennoch hinter seinen Möglichkeiten und unseren Erwartungen zurückgeblieben“, monierte er da.

Der Durchbruch lässt auf sich warten

Ähnlich könnte es klingen, wenn er beim Aktionärstreffen 2017 das kurze Wirken seiner Vertriebschefin bilanziert: Es gab unter ihr zwar durchaus einige Fortschritte, aber nicht den erhofften Durchbruch. In mehrerlei Hinsicht tat sich Hennersdorf trotz unbestrittener Kompetenz schwerer als erwartet – teils wegen der offenbar unterschätzten Größe der Probleme, teils aber auch aus kulturellen und persönlichen Gründen.

Die altgedienten Vertriebsprofis der EnBW hatten nicht gerade darauf gewartet, dass ihnen eine Frau von außen das Geschäft erklärte, noch dazu in einer ausgesprochen forschen Tonlage. Ohne den Stallgeruch der Branche und aus Hamburg einpendelnd wirkte sie in Karlsruhe oft wie eine Exotin. Im Grunde sei sie im Unternehmen „nie richtig angekommen“, sagen Kenner. Hinzu kamen unvermeidliche Sparmaßnahmen, mit denen sie sich natürlich auch keine Freunde machte. Führende Vertriebsleute verließen die EnBW mehr oder weniger freiwillig, die bleibenden beobachteten gespannt, welche Erfolge Hennersdorf denn nun vorweisen könne – und sahen wenig. Schon bald kam die Frage auf, wie lange sich die Hochgelobte wohl halten könne. Sie amtiere nur noch „auf Bewährung“, befanden selbst Wohlmeinende. Zuletzt war wohl auch die Geduld ihres Förderers Mastiaux erschöpft.

Kapitulation im Großkundengeschäft

Die wichtigste Entscheidung in ihrer Amtszeit war eher eine Kapitulation: Im vorigen Sommer verkündete die EnBW, ganz aus dem Großkundengeschäft (Managersprache: „B2B“) auszusteigen. Angesichts des Verfalls der Strompreise und hoher Kosten lasse es sich nicht mehr wirtschaftlich betreiben – ein Paukenschlag, der intern massive Sorgen auslöste. Für die Betroffenen sei das „ein großes Unglück“, kommentierte die Gewerkschaft Verdi bestürzt. Habe es dazu wirklich keine Alternative gegeben?

Weitaus weniger spektakulär waren die Fortschritte, die unter Hennersdorf gelangen. Man habe „eine Vielzahl von neuen Produkten und Aktivitäten“ entwickelt, bilanzierte Mastiaux vorigen Herbst im StZ-Interview und nannte als Beispiel das Angebot „Solar plus“, das Kunden alle Mühe mit Fotovoltaikanlagen abnehme. Gerne vorgezeigt wird auch die multifunktionale Straßenlaterne „Smight“, die sich bisher indes noch nicht als Renner erwies. An weiteren Geschäftsideen wird auf dem EnBW-eigenen Innovationscampus emsig gebastelt. Gleichzeitig zu sparen und kreativ zu sein – das sei schon eine enorme Herausforderung, heißt es in Karlsruhe.

Gerede um eine pikante Personalie

Zusätzliche Irritationen gab es im Vertrieb um eine pikante Personalie. Als eine enge Mitarbeiterin aus dem Stab um Mastiaux auf eine Führungsposition für Privat- und Gewerbekunden befördert wurde, stieß das auf gewisse Verwunderung: Die junge Frau sei ja wirklich gut, aber ihr Aufstieg doch ziemlich steil. Später stellte sich heraus, dass der EnBW-Chef die Beförderte nicht nur beruflich schätzt. Prompt gab es Gerede. Die Experten für Regeltreue (Compliance) untersuchten die Stellenbesetzung, dann beschäftigte die auch den Aufsichtsrat. Ergebnis: Alles sei sauber abgelaufen, die private Nähe habe keine dienstliche Relevanz. Trotzdem verließ die Mitarbeiterin bald darauf das Unternehmen, offiziell aus freien Stücken, noch deutlich vor der Vertriebschefin Hennersdorf.

Deren Nachfolge hat Mastiaux zügig geregelt. Was bisher eine Frau machte, teilen sich seit Jahresbeginn zwei Männer, mit getrennter Verantwortung: Steffen Ringwald, als Kommunalbeauftragter der EnBW im Südwesten bestens bekannt, und Timo Sillober, der wie einst Hennersdorf von Vodafone kam; er soll vor allem neue Produkte entwickeln. Beide werden direkt an Mastiaux berichten – der Vertrieb bleibt in Karlsruhe also Chefsache.