Der Endoskopie-Spezialist aus dem Enzkreis erwartet auch in den kommenden Jahren ordentliche Wachstumsraten – auch dank konstant hoher Ausgaben für Forschung und Entwicklung. Vor allem in Schwellenländern laufen die Geschäft gut.

Wissen/Gesundheit: Werner Ludwig (lud)

Stuttgart - Was haben das Triebwerk eines Passagierjets und eine menschliche Niere gemeinsam? Antwort: In beiden Fällen kommen Endoskope von Richard Wolf zum Einsatz, um ins Innere zu blicken und eventuelle Beschädigungen oder aber krankhafte Veränderungen aufzuspüren. „Die technische Endoskopie funktioniert ganz ähnlich wie die medizinische“, sagt Siegfried Karst, der bei dem Unternehmen aus Knittlingen für Produktion, Forschung und Entwicklung verantwortlich ist. Der Löwenanteil des Umsatzes von Richard Wolf entfällt allerdings auf den Medizinsektor, wo Endoskope vor allem zu Diagnosezwecken und in der minimalinvasiven Chirurgie verwendet werden.

 

Anders als die meisten Medizintechnikhersteller in Baden-Württemberg, die sich im „Medical Valley“ um Tuttlingen herum konzentrieren, hat sich Richard Wolf 1947 im Enzkreis in der Nähe von Maulbronn angesiedelt, wo das Unternehmen bis heute tätig ist. Im Februar wurde dort ein neues Service- und Logistikzentrum für rund 16 Millionen Euro in Betrieb genommen. Von den insgesamt rund 1500 Mitarbeitern arbeiten 1140 in Knittlingen.

Das Sortiment umfasst etwa 6000 Artikel

In einer Vitrine liegen auf rotem Samt einige Endoskope aus dem Sortiment des Unternehmens, das etwa 6000 Artikel umfasst. Grundsätzlich lassen sich Endoskope in zwei Kategorien einteilen: Starre Endoskope, in denen die Bildinformation meist durch ein Linsensystem übertragen wird, und flexible Endoskope, bei denen Glasfaserbündel oder eine eingebaute Kamera diese Aufgabe übernehmen. Das Licht kommt bei beiden Ausführungen entweder von einer Lichtquelle am vorderen Ende oder wird von einer externen Quelle durch Glasfasern dorthin geleitet. Zudem können starre wie flexible Endoskope je nach Einsatzzweck mit teilweise winzigen mechanischen Werkzeugen bestückt werden – zum Beispiel für präzise Schnitte oder Gewebeentnahmen.

Der Schlauch des flexiblen Ureterorenoskops, das für Harnleiter- oder Nierenspiegelungen eingesetzt wird, ist gerade mal 2,9 Millimeter dick. Trotzdem haben die Entwickler darin insgesamt vier winzige Kanäle untergebracht. Sie übertragen Licht und Bild und ermöglichen zudem den Einsatz von zwei Hilfsinstrumenten – beispielsweise eines winzigen Fangkorbs für Nierensteine. Mit Hilfe der filigranen Mechanik kann der Arzt den biegsamen Schlauch bewegen, um bis in die Nierenkelche vorzudringen – also in jene Hohlräume, die den Harn in das Nierenbecken leiten. Das Gerät kann nicht nur um die Ecke schauen, sondern auch mit Laserstrahlen Nierensteine zertrümmern.

In der Montage sitzen Mitarbeiter in weißen Kitteln konzentriert über ihren Mikroskopen, um die oft winzigen Einzelteile der Endoskope zusammenzusetzen – bei Bedarf auch mit der Pinzette. „Da braucht man eine ruhige Hand“, sagt Siegfried Karst. So werden beispielsweise Kabel verlötet, die nur ein Drittel so dick sind wie ein Männerhaar.

Der Anteil von Elektronik und Software wird immer größer

Weltweit zählt sich Richard Wolf zu den fünf bedeutendsten Endoskopherstellern, wobei es zwischen Ländern und Regionen große Unterschiede gebe. Fast 80 Prozent der Umsätze stammen aus dem Export, größter Einzelmarkt sind die USA, wo das Unternehmen schon seit 40 Jahren eine eigene Produktion mit gut 200 Mitarbeitern hat. „Das stärkste Wachstum verzeichnen wir aber in Schwellenländern wie Brasilien, China oder Indien“, sagt Jürgen Steinbeck, in der Geschäftsführung zuständig für Vertrieb, Service und Marketing. Bis zur Ukraine-Krise und den damit verbundenen Handelssanktionen sei auch Russland ein wichtiger Abnehmer gewesen. In Deutschland und anderen entwickelten Ländern sei der Markt für Medizintechnik dagegen weitgehend gesättigt, sodass sich das Geschäft in erster Linie auf Ersatzinvestitionen beschränke.

Trotzdem will Richard Wolf auch in den kommenden Jahren aus eigener Kraft Umsatzzuwächse im „oberen einstelligen Prozentbereich“ erzielen. 2014 lagen die Erlöse laut Steinbeck bei rund 200 Millionen Euro. In den vergangenen zehn Jahren hätten sie sich fast verdoppelt. Die Umsatzrendite liege im branchenüblichen Korridor „zwischen fünf und zehn Prozent“, sagt Finanzchef Jürgen Pfab. Genaue Angaben zum Ergebnis macht das Stiftungsunternehmen nicht.

Die Investitionen in Forschung- und Entwicklung liegen bei zwölf Prozent des Umsatzes und damit über dem Durchschnitt der Branche, den der Bundesverband Medizintechnologie mit neun Prozent angibt. Wie in vielen Bereichen der Industrie wird auch hier der Anteil von Elektronik und Software immer höher – etwa im Bereich der digitalen Bildverarbeitung, die sicherstellen soll, dass der Arzt ein möglichst realistisches Bild des Körperinneren erhält. Eine wichtige Innovation ist auch die 3D-Endoskopie, mit der sich Operationen schneller und genauer durchführen lassen sollen. Der gute Ruf der Hightech-Apparate aus Knittlingen lockt auch Produktpiraten an. „In China finden Sie Geräte, die 1:1 aussehen wie unsere“, sagt Steinbeck. Doch die dortigen Abnehmer ließen sich die Kopien nicht so leicht unterjubeln: „Die wollen lieber das Original.“

Die Ursprünge liegen in Berlin

Gründung: 1906 gründete Georg Wolf mit einem Partner in Berlin die Firma Brückner & Wolf, Fabrik für elektromedizinische Geräte und Instrumente. Anschließend wurde das Unternehmen umbenannt in Georg Wolf GmbH, Fabrik für elektromechanische Apparate und Instrumente. Richard Wolf trat 1922 als Lehrling in den elterlichen Betrieb ein und wurde 1938 Gesellschafter und Geschäftsführer. 1945 wurde des Unternehmen beschlagnahmt und unter Zwangsverwaltung gestellt.

Neuanfang: Anfang 1947 gründeten Richard Wolf und seine Frau Annemarie in Knittlingen die neue Firma Richard Wolf GmbH, die mit zunächst fünf Mitarbeitern medizinische Endoskope produzierte. Nach dem Tod von Richard Wolf im Jahre 1958 führte seine Witwe Annemarie den Betrieb allein weiter. Kurz vor ihrem Tode im Jahre 1968 gründete sie die Richard und Annemarie Wolf-Stiftung und brachte die Gesellschaftsanteile in die Stiftung ein.

Gegenwart: Heute beschäftigt die Richard Wolf GmbH weltweit rund 1500 Menschen, davon 1140 am Stammsitz in Knittlingen. Der Umsatz liegt bei 200 Millionen Euro.