In der frisch gebackenen Ehe von Stadtwerken Stuttgart und EnBW gibt es den ersten brisanten Konflikt: Was zum neuen Netz gehören soll, wird kontrovers diskutiert. Die Entscheidung hat erhebliche finanzielle Auswirkungen.

Klima/Nachhaltigkeit : Thomas Faltin (fal)

Stuttgart - Welche Stromleitungen auf Stuttgarter Gemarkung gehören eigentlich zum neuen Energienetz, das Stadtwerke Stuttgart und die Energie Baden-Württemberg (EnBW) künftig gemeinsam betreiben wollen? Und wo genau muss man das neue Netz vom sonstigen EnBW-Netz entflechten? Über solche Fragen diskutieren die neuen Partner EnBW und Stadtwerke derzeit – und zwar kontrovers, wie zu hören ist: Trotz einer guten Gesprächsatmosphäre ist man sich in diesen Fragen ziemlich uneins.

 

Was sich wie technisches Schnickschnack anhört, besitzt grundsätzliche Bedeutung – und politische Brisanz. Denn jetzt wird entschieden, welche Netzteile in kommunale Hand zurückgegeben werden – das hat Auswirkungen auf mindestens zwei Jahrzehnte hinaus, und zwar sowohl in finanzieller Hinsicht als auch in Fragen der Energiewende.

Einnahmen aus Hochspannungsnetz sind wohl sehr lukrativ

Keiner der Beteiligten ist aber bereit, zu dem Thema Stellung zu nehmen. Klar ist aber: die Stadtwerke Stuttgart sind der Ansicht, dass die 150 Kilometer an Hochspannungsleitungen ebenso zum Netz gehören wie die rund 5000 Kilometer an Leitungen der Nieder- und Mittelspannung.

Von 27 Umspannwerken von Hoch- auf Mittelspannung dienten 26 der lokalen Versorgung – das zeige, wie lokal das Hochspannungsnetz sei, ist aus der Stadt zu vernehmen. Und weiter ist zu hören, dass die Netzgesellschaft aus Stadtwerken und EnBW ohne die Hochspannungsleitungen die Möglichkeit verlöre, das Netz als Einheit zu entwickeln. Zudem ergibt sich wohl rund ein Drittel aller Einnahmen aus dem Hochspannungsnetz – die Stadt und die Stadtwerke hätten also womöglich keinen Zugang zu diesem Geldstrom.

Tatsächlich gehören in einigen Städten – wie in Frankfurt und Hannover oder wie in Düsseldorf, wo die EnBW selbst Gesellschafter ist – die 110-Kilovolt-Hochspannungsleitungen zur dortigen Netzgesellschaft. Die EnBW wiederum vertritt aber die Meinung, dass die Hochspannung zum überregionalen Netz gehört und damit weiterhin ihr alleine zusteht. So steht es übrigens in eindeutiger Form schon in deren Angebot vom letzten Jahr, weshalb die EnBW wohl irritiert ist, dass jetzt nochmals darüber diskutiert werden soll.

Beim Gasnetz sind womöglich mehr als 100 Trennstellen nötig

Gesetzlich geregelt ist aber nicht, was zum Netz gehören soll, ebenso wenig gibt es höchstrichterliche Entscheidungen dazu. Dieser Streitpunkt ist also ebenso wenig geklärt wie die Fragen, ob die Stadt Stuttgart Anrecht auf das Fernwärmenetz der EnBW hat und wie viel die Stadt für das Wassernetz bezahlen muss. In letzterem Punkt sehen sich Stadt und EnBW womöglich in Kürze vor Gericht.

Unterschiedlicher Meinung sind die EnBW und die Stadtwerke auch in der Frage, wo und wie die neuen Gemeinschaftsnetze vom alten EnBW-Netz abgetrennt werden sollen. Beim Gasnetz hält es die EnBW angeblich für notwendig, mehr als hundert Übergabestellen einzurichten: Der überregionale 25-Bar-Ring in und um die Stadt müsse an so vielen Stellen vom lokalen Netz abgetrennt werden.

Die Stadtwerke halten dies dem Vernehmen nach für finanziell problematisch. Da für jede Übergabestelle Technik und Infrastruktur in der Größe einer Einzelgarage benötigt wird, könnten die Entflechtungskosten in die Höhe schießen. Fritz Kuhn sagte im März bei der Vergabe der Konzessionen, dass die Entflechtung des Gasnetzes 23 Millionen Euro und jene des Stromnetzes acht Millionen Euro kosten werde.

Hohe Entflechtungskosten drücken die Rendite erheblich

Diese Kosten tragen in erheblichem Maße dazu bei, dass die Rendite aus dem Netzbetrieb zunächst eher gering bleibt – immerhin entsprechen die genannten Entflechtungskosten mehr als zehn Prozent des gesamten Wertes von Strom- und Gasnetz in Höhe von 250 bis 300 Millionen Euro. Zwar hören sich fünf Prozent Rendite – mit dieser Größenordnung rechnet die Stadt – zunächst einmal nicht schlecht an, doch der Neckar-Elektrizitätsverbund (NEV), bei dem die EnBW ebenfalls mit im Boot ist, hat vor Kurzem werbewirksam 18 Prozent an seine Mitglieder ausgeschüttet.

Mancher in der Stadt fragt sich da schon, warum Stuttgart so viel weniger verdient, obwohl ein Großstadtnetz deutlich rentabler zu betreiben ist als Netze auf dem Land. Allerdings sind bei der NEV Sondereffekte zu berücksichtigen. Experten glauben deshalb, dass sich die Rendite in Stuttgart wie bei den NEV mittelfristig auf etwa acht Prozent einpendeln werde. Im Übrigen haben die Entflechtungskosten Auswirkungen auf den Gas- und Strompreis für den Endkunden. Aufgrund dieser hohen Kosten könnte eine Preissenkung beim Strom deutlich geringer ausfallen als erhofft.

Der Zeitdruck steigt nun dramatisch. Denn die Verträge müssen eigentlich bis Ende August unter Dach und Fach sein – sonst darf die Kooperation nicht wie geplant rückwirkend zum 1. Januar dieses Jahres beginnen. Dabei haben EnBW und Stadtwerke Stuttgart noch nicht einmal damit begonnen, sensible Unternehmensdaten auszutauschen. Wegen der Beschwerde der Elektrizitätswerke Schönau beim Bundeskartellamt haben die Partner dies vorerst zurückgestellt.