Die Wüstenstrom-Initiative Desertec, an der viele Großunternehmen beteiligt waren, ist gescheitert. Doch Marokko hat die Grundidee nicht aufgegeben. Dort soll noch in diesem Jahr eine Großanlage in Betrieb gehen, die einmal die größte der Welt sein wird.

Stuttgart - Im Jahresdurchschnitt 27 Grad und 9,5 Sonnenstunden pro Tag: das ist das Klima von Ouarzazate im Süden Marokkos. Bisher war die Stadt mit ihren hübschen, braunrot verputzten Häusern vor allem als Kulisse für Filme wie „Die Päpstin“ oder „Lawrence von Arabien“ bekannt. Jetzt entsteht am Rande der Wüstenstadt der größte Solarkomplex der Welt – und das mit viel deutscher Fachkompetenz und Technik. Marokko setzt in Ouarzazate um, woran europäische Unternehmen mit ihrer Wüstenstrominitiative Desertec Industrial Initiative vor kurzem gescheitert sind.

 

Desertec war und ist der Name für die Idee, einen Großteil Europas mit Solarstrom aus der Wüste zu versorgen. Nach jahrelangen Querelen zogen sich jedoch die meisten großen europäischen Stromversorger und Technologiefirmen aus dem Projekt zurück. Jetzt bauen die Marokkaner selbst den größten Solarkraftwerk-Komplex der Welt. „Das ist ein Meilenstein für die Energieversorgung Marokkos, aber auch für die Solarbranche weltweit“, sagt der Ingenieur Thomas Schmitt vom schwäbischen Beratungsunternehmen Fichtner. Schmitt überwacht die Umsetzung des Projekts für den Betreiber, die marokkanische Agentur für Solarenergie (Masen).

„Wenn die Europäer sehen, wie zielstrebig und zügig die Marokkaner das Projekt umsetzten, kann der Traum vom Ökostrom aus der Wüste für Europa vielleicht doch wieder belebt werden“, meint Schmitt. Die Voraussetzungen vor Ort sind ideal: Auf jeden Quadratmeter Wüste fallen 2500 Kilowattstunden Sonnenenergie im Jahr, etwa zweieinhalb Mal so viel wie auf Deutschland, wo je nach Region 900 bis 1200 Kilowattstunden gemessen werden. Das macht auch den Preis des erzeugten Stroms viel lukrativer.

Vier Kraftwerke sollen entstehen

Schon jetzt zeigt sich in Ouarzazate ein imposantes Bild: Schier endlose Reihen von sieben Meter hohen Parabolspiegeln blinken in der Wüste. Sie gehören zum Solarkraftwerk Noor I, das Ende 2015 erstmals Strom in Marokkos Netz speisen wird. Noor bedeutet im arabischen Licht. Das erste von drei geplanten Kraftwerken hat gewaltige Dimensionen: 160 Megawatt Leistung, 537 000 Parabolspiegel in 400 Reihen von je 300 Meter Länge. Zum Vergleich: das größte deutsche Solarkraftwerk, der Solarpark Straßkirchen bei Regensburg, leistet nur 54 Megawatt.

Geplant sind an dem Standort noch drei andere Kraftwerke. Noor II wird ebenso wie Noor I Elektrizität über Parabolrinnen-Technik erzeugen, Noor III wird ein Solarturmkraftwerk. Die Planungen sind weitgehend abgeschlossen. Zudem wird der Bau von Noor IV vorbereitet, einem Fotovoltaikkraftwerk mit 70 Megawatt Leistung. In gut zwei Jahren soll der Gesamtkomplex mit 580 Megawatt Leistung endgültig fertig sein.

„Bis zu 40 Grad und mehr wird es hier am Fuß der 4000 Meter aufragenden Berge des Hohen Atlas heiß“, sagt Schmitt. Er berät die Marokkaner bei kniffligen technischen Problemen wie etwa der Computersteuerung der Parabolspiegel, die dem Lauf der Sonne folgen müssen, und der Kontrolle des synthetischen Öls, das in den Parabolspiegeln auf bis zu 393 Grad erhitzt werden kann. „Aber nicht die Temperatur ist entscheidend, sondern die Dauer und die Verlässlichkeit des Sonnenscheins“, sagt der leitende marokkanische Ingenieur Rachid Bayed von Masen.

Salz speichert Hitze für bis zu sechs Nachstunden

Mit wenigen Ausnahmen brennt die Sonne in Ouarzazate auf rund 1500 Meter Meereshöhe 365 Tage im Jahr vom Himmel. Das Kraftwerk steht im Zentrum des Solarfeldes. Dort wird mit dem heißen Öl Wasser erhitzt und Dampf erzeugt. Dieser treibt eine von Siemens konzipierte Turbine an, die Strom ins Netz speist. „Und das nicht nur am Tag, sondern auch Abends, wenn der Bedarf besonders hoch ist“, sagt Bayed. Denn das Öl erhitzt nicht nur Wasser, sondern bei Bedarf auch ein spezielles Salz, geliefert von der BASF, das die Hitze bis zu sechs Stunden speichert.

„Am Ende ist es wichtig, dass Deutschland weiter seine Rolle bei der Entwicklung der Solarenergie behält. Denn deutsche Technik und Knowhow sind in der ganzen Welt gefragt“, sagt Schmitt. Während die Zahl neuer Fotovoltaikanlagen in Deutschland stark zurückgeht, steigt sie weltweit. Anders als in Nordafrika sind Parabolrinnenkraftwerke im wolkigen und sonnenarmen Deutschland wirtschaftlich aber nicht sinnvoll.