Lange waren Umweltminister Röttgen und Wirtschaftsminister Rösler uneins. Jetzt steht die Kürzung der Solarförderung. Die Branche ist in Sorge.

Politik/Baden-Württemberg : Bärbel Krauß (luß)

Berlin - Zum Stichtag 9. März plant die Bundesregierung massive Einschnitte bei der Fotovoltaikförderung. Neue Solaranlagen, die nach diesem Stichtag ans Netz gehen, sollen je nach Größe einen um 20 bis 29 Prozent geringeren Fördersatz erhalten als ihre Vorgänger. Darüber hinaus sind von Mai an zu jedem Monatsersten weitere Senkungen geplant. Darauf haben Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) und Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) sich nach langem Streit geeinigt. Bis zum Jahresende werde die Solarförderung damit insgesamt je nach Anlagentyp um 26 bis 34 Prozent zurückgefahren, so die beiden Minister.

 

Mit der kontinuierlichen Degression (siehe Tabelle) wollen die beiden Minister die durch die bisherigen Förderregularien ausgelösten Jahresend- und Jahresmitte-Rallyes beim Neubau von Solaranlagen verhindern. Beide sprachen von maßvollen, branchenverträglichen Einschnitten. Wer künftig in eine Solaranlage investiert, muss sich auf eine weitere Änderung einstellen: Bisher wurde die gesamte Solarstrommenge gefördert. Bei kleinen Dachanlagen sollen künftig nur noch 85 Prozent des produzierten Stroms gefördert werden; bei größeren Anlagen zieht die Bundesregierung die Grenze bei 90 Prozent.

Große Freiflächen werden grundsätzlich nicht mehr gefördert

Darüber hinaus sollen besonders große Freiflächenanlagen – mit mehr als zehn Megawatt Leistung und einem Flächenverbrauch von mehr als sechzig Fußballfeldern – grundsätzlich von der Förderung ausgeschlossen werden. Für die Besitzer von Altanlagen ändert sich laut Umwelt- und Wirtschaftsministerium nichts.Rösler und Röttgen betonten die Notwendigkeit, den Zubau der Solarenergie zu begrenzen und die Kostenbelastungen einzudämmen. Denn das aktuelle Problem der Solarenergie ist ihr Erfolg: 2011 hat sie mit rund 20 Prozent erstmals einen höheren Anteil am deutschen Strommix erreicht als Steinkohle oder Atomkraft. Etwa 18 Milliarden Kilowattstunden Solarstrom wurden laut dem Branchenverband BSW Solar im Vorjahr produziert – genug um ganz Thüringen oder 5,1 Millionen Haushalte ein Jahr lang mit Strom zu versorgen. Das hat im vergangenen Jahr einen erheblichen Beitrag zur Versorgungssicherheit geleistet, als die Regierung den Atomausstieg auf den Weg gebracht und acht Kernreaktoren vorzeitig vom Netz genommen hat.

Mitte November hat der Solarverband bereits gefeiert, dass die einmillionste Solaranlage in Deutschland ans Stromnetz angeschlossen wurde. Sie steht in Berlin auf dem Dach des Instituts für Forschung und Entwicklung von Sportgeräten (FES). Ex-Umweltminister Klaus Töpfer (CDU), der mit dem Beginn des Tausenddächerprogramms im Herbst 1990 den Startschuss für die gesamte Entwicklung gegeben hatte, sagte bei dieser Gelegenheit: „Damals hat niemand damit gerechnet, dass wir schon 2011 die Einemilliongrenze erreichen.“

Der Boom ist auch ein Problem für die Netzstabilität

Die Millionenmarke war noch nicht einmal das Ende der Rekordjagd. Allein im Dezember 2011 wurden mit 3000 Megawatt Leistung so viele Solaranlagen installiert, wie die Bundesregierung im ganzen Jahr für vernünftig erachtet. Der unkontrollierte Boom ist nicht nur teuer, sondern wegen des stark schwankenden Ertrags der Fotovoltaikanlagen auch ein massives Problem für die Netzstabilität.

Ziel von Rösler und Röttgen war, den jährlichen Zubau auf 2500 bis 3500 Megawatt zu begrenzen. Das ist gründlich schiefgegangen, obwohl die schwarz-gelbe Regierung die Solarförderung schon vor den aktuellen Beschlüssen stark zurückgestutzt hat. Nach Röttgens Angaben sind die Vergütungssätze für Solarstrom seit Ende 2008 bereits nahezu halbiert worden. Er wollte zwar nicht wie sein Kabinettskollege Rösler von einem „neuen Fördersystem“ sprechen. Mit der jetzigen Entscheidung seien aber „neue Elemente“ ins Erneuerbare-Energien-Gesetz aufgenommen worden.

In der 20-jährigen Förderung fallen Milliardensummen an

Die Schätzungen, was der Solarboom die Bürger insgesamt bis heute kostet, gehen auseinander. Das Rheinisch-Westfälische Institut für Wirtschaftsforschung (RWI) hat die teuerste Überschlagsrechnung vorgelegt: Demnach sind bisher Solarförderkosten von bis zu 100 Milliarden Euro aufgelaufen. Andere Experten halten diese Kalkulation für weit überhöht. Klar ist aber, dass bei einem garantierten Förderzeitraum von zwanzig Jahren für jede Solaranlage sehr hohe Milliardensummen zusammenkommen. Für 2010 – als Anlagen mit einer Leistung von 7500 Megawatt neu installiert wurden – sind laut Bundesnetzagentur knapp 5,1 Milliarden Euro an Solarförderung angefallen. Im vergangenen Jahr waren es nach Angaben des Bundesverbands der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) schon fast 7,5 Milliarden Euro. Die Prognose des Verbands für 2012 – aufgrund der alten, von Rösler und Röttgen jetzt korrigierten Rechtslage – beläuft sich bereits auf 9,5 Milliarden Euro. Wie Röttgens und Röslers Reform sich auf die Kosten und den Zubau auswirken werden, ist unklar. „Ich kann keine sichere Prognose abgeben“, erklärte Röttgen am Donnerstag lediglich.

Die Gesetzgebung soll in Windeseile erfolgen

Die parlamentarischen Beratungen will die Regierung offenbar in Windeseile abwickeln. Schon in der kommenden Woche soll das Kabinett die Pläne absegnen – die Zustimmung des Bundestags wird erst deutlich nach dem als Stichtag für die Förderwende ins Auge gefassten 9. März erfolgen. Die Debatte im Parlament wird lebhaft werden, schon weil die regionalen Interessen sehr unterschiedlich sind: In Ostdeutschland sitzen viele Produzenten von Solarmodulen; Thüringens Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht (CDU) und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) lehnten die Kürzungen gestern denn auch ab. Während Häuslesbesitzer und Landwirte in den sonnenreichen Südländern Bayern und Baden-Württemberg den Solarboom republikweit vorantreiben, achten die Vertreter der windreichen Küstenländer genau darauf, dass ihre Interessen an einer möglichst üppigen Windstromförderung angesichts des Sonnenbooms nicht unter die Räder kommen. Die Grünen und die Ökoverbände kritisierten die Pläne am Donnerstag scharf. „Damit legt die Bundesregierung die Axt an das Erneuerbare-Energien-Gesetz“, erklärte Grünen-Chef Cem Özdemir.