Bei der Stromgewinnung ist eines der größten Probleme die Speicherung des Stroms. Dafür könnten Stollen im Ruhrgebiet und im Harz genutzt werden. Wie realistisch dies ist, wird nun wissenschaftlich untersucht.

Stuttgart - Manchmal fehlen Wasserbau-Ingenieuren wie André Niemann von der Universität Duisburg-Essen (UDE) im Ruhrgebiet schon ein wenig die Berge. Dort kann man nämlich in höheren Regionen und in Tallagen Speicherseen aufstauen und sie durch mächtige Rohrleitungen miteinander verbinden. Wird gerade viel Elektrizität gebraucht, weil zum Beispiel dunkle Wolken über den Himmel ziehen und in vielen Räumen das Licht angeknipst wird, schießt das Wasser dort nach unten und treibt eine Turbine an, die den zusätzlich benötigten Strom liefert. Produzieren später Windkraftwerke oder Solarzellen mehr Elektrizität als gerade gebraucht wird, treibt der überflüssige Strom Pumpen an, die das Wasser für die nächste Wolke wieder in das obere Becken drücken. Gerade wenn Angebot und Nachfrage nach Elektrizität auseinanderklaffen, sind solche Pumpspeicherwerke für die zuverlässige Versorgung mit Strom sehr wichtig. Sie haben aber zwei Nachteile: In den Bergen wehren sich Naturschützer oft gegen Speicherseen. Außerhalb der Gebirge fehlen die Höhenlagen für den oberen Speichersee.

 

Wasserbau-Ingenieure wollen daher den unteren Speichersee in ein Tiefgeschoss unter dem Erdboden verlegen. Dann kann der obere Speicher als Becken an der Erdoberfläche bleiben. „Natürlich können auch beide Speicher unter der Erde liegen, an der Oberfläche sieht man dann nur noch das Betriebsgebäude, Belüftungsanlagen und ein Umspannwerk“, erklärt Friederike Kaiser vom Energie-Forschungszentrum Niedersachsen in Goslar.

Teure Speicherwerke

Solche Untertage-Speicherkraftwerke sind allerdings ziemlich teuer. Gleichzeitig werden in Deutschland bis 2018 die Steinkohlezechen geschlossen. Um an die zum Teil weit mehr als tausend Meter unter der Oberfläche liegende Flöze heranzukommen, haben die Zechen im Ruhrgebiet und im Saarland Schächte bis in diese Tiefen gebaut. Ähnliche Schächte benötigt man aber nicht nur zum Bau und Betrieb eines Pumpspeicherwerks unter Tage: „Sie sind auch eine besonders teure Komponente“, erklärt der Ingenieur für Geotechnik Eugen Perau von UDE. Dem Steinkohlebergbau dagegen kommen die nicht mehr benötigten Schächte nach dem Schließen einer Zeche noch einmal richtig teuer, weil sie aufwändig verfüllt werden müssen. Diese Kosten kann er sich sparen, wenn er die Schächte den Wasserbauern übergibt, die damit wiederum die hohen Neubaukosten sparen. Alles sieht nach einer Win-Win-Situation aus – zumindest wenn sich auch die restlichen Anlagen für ein Pumpspeicherwerk unter Tage gut umsetzen lassen. Das untersuchen daher der Wasserbau-Ingenieur André Niemann, der Geotechniker Eugen Perau, der Netzspezialist Istvan Erlich und der Geologe Ulrich Schreiber von der UDE gemeinsam mit zehn Partnern vom Bergbaudienstleister DMT GmbH bis zur Ruhr-Universität Bochum und vor allem natürlich dem Bergbaubetreiber RAG.

Das Herz einer solchen Pumpspeicher-Anlage ist das Maschinenhaus am unteren Speicher. Unter Tage plant der UDE-Wasserbauer André Niemann dafür eine Kaverne, die bis zu hundert Meter lang, 20 bis 30 Meter breit und 30 bis 50 Meter hoch ist. Von einem Speichersee an der Oberfläche münden Druckrohre in diese Höhle, die zum Beispiel in 600 Meter Tiefe entstehen könnte. Mit einem Druck von 60 bar, also dem sechzigfachen des Luftdrucks auf dem Meer, treibt das Wasser riesige Turbinen an. Diese bewegen Generatoren, die so elektrischen Strom liefern.

Den Bau dieser Kaverne beschreibt UDE-Ingenieur Eugen Perau: „Einen so großen Hohlraum kann man nicht auf einen Schlag herstellen, weil der Druck des darüber liegenden Gebirges ihn wieder zusammendrücken würde, bevor man ihn mit einer bis zu zwei Meter dicken Betonschale an den Wänden stabilisieren könnte“, fasst der Geotechniker das Hauptproblem zusammen. Daher bauen die Ingenieure erst einmal kleinere Hohlräume, die dem Gebirgsdruck standhalten. Diese kleiden die Arbeiter mit Beton aus, stützen sie ab und beginnen danach an ihrem Rand einen weiteren Bereich des Gebirges auszuhöhlen. Diese wird ähnlich ausgebaut, nicht mehr benötigte Stützen in der ersten Bauphase können entfernt und eventuell sogar für eine spätere Phase wieder verwendet werden. Auf diese Weise wächst der zunächst kleine Hohlraum Stück für Stück weiter, bis am Ende die riesige Kaverne mit ihrer zwei Meter dicken Betonschale fertig ist.

Als nächstes braucht man ein unteres Speicherbecken. Würde man dafür die ausgebeuteten Kohleflöze nehmen, gäbe es erhebliche Schwierigkeiten. „Dort ist das Gestein zu unruhig, mit der Zeit fallen die ausgeleerten Flöze in sich zusammen“, erklärt André Niemann. Von den Kohle-Schichten aber führen viel besser ausgebaute Transportstrecken für das Schwarze Gold zu den Schächten. Diese deutlich stabileren Strecken eignen sich schon eher als Wasserspeicher. Zusätzlich zu diesen Strecken prüfen die Ingenieure neu gebaute Speicher im Berg. Die dürften ziemlich groß werden. Zwar können die Wasserbauer wegen des großen Höhenunterschiedes viel Energie in relativ kleinen Wassermengen speichern. Aber eine Milliarde Liter und damit die Füllung von sieben Millionen Badewannen Speichervolumen könnten es schon werden. Eine so große Kaverne aber lässt sich unter Tage praktisch nicht oder allenfalls extrem teuer realisieren. Daher überlegt Eugen Perau, das Wasser in einer Art U-Bahn-Tunnel zu speichern, der sich unter mehreren Städten des Ruhrgebietes entlang ziehen könnte. Ein derart überdimensionaler Schlauch lässt sich unter Tage besser stabilisieren als gigantische Höhlen. Den Beweis liefern die Transportstrecken der Kohlezechen im Ruhrgebiet. Dieses Streckennetz ist allein im Bergwerk Prosper-Haniel mehr als 120 Kilometer lang.

Tunnelbau gut erprobt

Obendrein ist der Tunnelbau gut erprobt. Nicht nur im Ruhrgebiet, sondern auch für den Bau von U-Bahnen, Eisenbahn- und Straßentunneln kommen seit vielen Jahren Maschinen zum Einsatz, die Röhren mit einem Durchmesser bis zu 15 Metern in den Berg bohren. Und damit der Tunnel auch hält, kleiden diese gigantischen Apparate von der Länge eines Eisenbahnzuges die Wände gleich nach dem Bohren mit tonnenschweren Betonsteinen aus, die „Tübbing“ genannt werden.

Bis die Bohrmaschinen loslegen, muss aber noch einiges geklärt werden. Wo liegt zum Beispiel der relativ feste Sandstein, in den die Ingenieure die Kavernen für die Maschinenhalle und den Wassertunnel bauen können? In welcher Tiefe sollen die Speicheranlagen überhaupt entstehen? Welche der vorhandenen Schächte der Steinkohlebergwerke sollten am besten für solche Pumpspeicherwerke unter Tage genutzt werden? Bis zum Ende des Jahres 2014 wollen die Forscher solche Fragen grundsätzlich klären. Schließlich läuft der Steinkohlebergbau 2018 aus, danach werden die letzten Schächte verfüllt.

Die in der Tiefe gewonnene Elektrizität kann kaum durch normale Stromkabel an die Oberfläche geleitet werden, weil diese unter ihrem eigenen Gewicht reißen würden. „Stattdessen könnten gasisolierte Rohrleiter den Strom effektiv noch oben transportieren“, vermutet Friederike Kaiser vom Energie-Forschungszentrum Niedersachsen in Goslar. Diese als „GIL“ abgekürzten Systeme bestehen aus zwei ineinander liegenden, konzentrischen Rohren, die durch ein Gasgemisch aus Schwefelhexafluorid und Stickstoff elektrisch voneinander isoliert werden. Im inneren Rohr können hohe Ströme bis etwa 4500 Ampère bei einer Hochspannung bis zu 500 000 Volt fließen. Zumindest 600 Meter Höhenunterschied sollte ein solcher GIL mit dieser effektiven Stromleitung überbrücken.