Windräder sind für das flache Land konzipiert. Wie sie auch auf Bergen funktionieren, erforscht der neue Energieexperte Po Wen Cheng an der Uni Stuttgart.

Stuttgart - Sein erstes Semester als Professor an der Universität Stuttgart ist vorüber. Im September hat Po Wen Cheng den Stiftungslehrstuhl für Windenergie übernommen, den 2004 Karl Schlecht der Uni spendiert hat, der Gründer des Aichtaler Unternehmens Putzmeister. Cheng, der in Taiwan geboren wurde, erzählt von seinen Forschungsprojekten, von Technik und Wirtschaftlichkeit von Windenergieanlagen. Doch zu allererst spricht er von einem Studentenprojekt, das er angeregt hat.

 

In diesem Wintersemester hat etwa ein Dutzend seiner Studenten unter seiner Leitung eine kleine Windkraftanlage gebaut. Ein Rotor aus gebogenem Stahlblech mit drei Meter Durchmesser war auf einem zehn Meter hohen Mast montiert. Das Kraftwerk lieferte bei Nennwindgeschwindigkeit eine Leistung von etwa 300 Watt. Das hätte gerade gereicht, um einen einzelnen Computer mit Strom zu versorgen.

Cheng weiß natürlich, dass der Stand der Technik ein anderer ist. Acht Jahre lang war er in der Industrie, hat in Salzbergen (Emsland) verschiedene Forschungs- und Entwicklungsprojekte bei der Windenergie Sparte von General Electric (GE) geleitet. Moderne Technik steckt zum Beispiel in der E-126 von Enercon, der derzeit größten Windenergieanlage der Welt. Der Rotor aus Stahl und Epoxidharz misst 127 Meter, der Mast ist 135 Meter hoch. Der Generator hat eine Nennleistung von 7,5 Megawatt. Hundert davon ersetzen ein kleines Kernkraftwerk, wenn der Wind auch wirklich weht.

„Man lernt mehr, wenn man motiviert ist“

Und dennoch liegt Cheng sein Studentenprojekt am Herzen. Denn erstens hat er sich schon bei seinem Arbeitgeber GE Wind Energy für die Ausbildung junger Ingenieure starkgemacht. Sein Prinzip: „Man lernt mehr, wenn man motiviert ist.“ Praxis motiviert. Und zweitens ist er der Meinung, dass „Windenergieprojekte immer mehrere Aspekte haben“: technische, wirtschaftliche, aber auch soziale.

Einen sozialen Aspekt hat auch das Studentenprojekt des einfachen Eigenbaukraftwerks. Auf die Idee hat ihn ein Buch gebracht. „Der Junge, der den Wind einfing“ heißt es und ist im englischen Original im Jahr 2009 erschienen. William Kamkwamba aus Malawi, Ostafrika, erzählt dort zusammen mit dem britischen Journalisten Brian Mealer, wie er als 14-Jähriger die Schule verlassen musste, weil seine Eltern 80 Dollar Schulgeld für den Jungen nicht aufbringen konnten.

Und wie er ein Buch über Windenergie fand und für sich und seine Familie aus Schrottteilen ein Kraftwerk baute. Denn er wollte abends Bücher lesen können, um selbstständig weiterlernen zu können. Die Geschichte habe ihn inspiriert, sagt Cheng. Und so bekamen seine Studenten den Auftrag, mit all ihrem universitären Wissen eine Windkraftanlage zu bauen, die im Prinzip auch in einem Land wie Malawi gebaut werden könnte. Studienprojekte dieser Art will Cheng einmal im Jahr organisieren und damit an die Vorarbeit von Martin Kühn anknüpfen, seinem Vorgänger, der Anfang 2010 einen Ruf an die Universität Oldenburg angenommen hat.

Erfahrungen aus der Industrie

In seiner Forschung war Po Wen Cheng bei GE Wind Energy für Offshore-Windturbinen zuständig. Den ersten großen Meereswindpark in Schweden hat seine Firma schon im Jahr 2000 gebaut. Als leitender Ingenieur war er für das gesamte vom Energieministerium geförderte Forschungsprojekt zuständig. Themen waren zum Beispiel Lastmessungen an den Anlagen, Einflüsse der Anlagen auf das Netz und die Analyse von Fehlerwahrscheinlichkeiten. „Ein kleiner Drehzahlsensor kostet fast nichts. Ist er aber kaputt, schaltet sich die Anlage ab. An Land steigt man dann ins Auto, und drei Stunden später ist das Problem behoben. Auf See aber gibt es Stürme, im Winter Frost. Wenn eine Anlage mit fünf Megawatt eine Woche ausfällt, belastet das die Betriebskosten erheblich.“

Weitere seiner Forschungsthemen sind Optimierungen an Rotorblättern, Regelungstechnik und der mechanischen Struktur der Anlage. Getestet wird von Mitarbeitern des Instituts derzeit ein Verfahren, Windböen einige Sekunden vor der Ankunft am Rotor zu erkennen und den Rotor darauf einzustellen, um die Belastung zu verringern und so die Lebensdauer zu erhöhen oder die Komponenten leichter und kostengünstiger zu bauen. Dazu wird ein Lidar-Sensor eingesetzt, eine Art Lichtradar. Zudem ist der Stiftungslehrstuhl beteiligt an dem bisher größten von der EU finanzierten Windenergie-Forschungsprojekt „Up Wind“.

In Chengs neuer Position in Stuttgart kommen weitere Themen hinzu. Jetzt, da die grün-rote Regierung auch das Land für die Windenergie öffnet, tun sich spezifisch süddeutsche Forschungsfragen auf. Im Norden geht man eher Richtung Offshoreanlagen. An den Küsten ist nicht mehr viel Platz. Im Süden lautet die Frage: Wie kann man Windenergie sinnvollerweise in hügeligem Gelände nutzen?

Wie Windräder im bergigen Land aussehen müssen

Windenergieanlagen sind nämlich für flaches Gelände optimiert. Testfelder gibt es in Norddeutschland, den Niederlanden und in Dänemark. Dort herrschen andere Anströmbedingungen; der Wind ist weniger turbulent und ändert seine Richtung weniger plötzlich als in bergigem Gelände. „Im Gebirge herrschen andere technische Herausforderungen“, sagt Cheng. Häufige Wechsel der Windrichtung, etwa am Albrand, belasten die Struktur der Anlage. Wie der Wind dort weht, will er in einem Projekt „Windcharakteristik in komplexem Gelände“ untersuchen; die Förderung ist beantragt. Kollegen der Universität Tübingen steuern ein fernsteuerbares, unbemanntes Kleinflugzeug bei, mit dem Windverhältnisse, Temperaturverteilung und andere Kenngrößen der Atmosphäre gemessen werden sollen.

Die beiden Universitäten und mit ihnen die TU München, das Karlsruher Institut für Technologie (KIT), die Hochschule Aachen und das Zentrum für Sonnenenergie- und Wasserstoff-Forschung (ZSW) in Stuttgart und Ulm haben sich zum Windenergie Forschungsnetzwerk Süd (WindForS) zusammengetan. Gemeinsam mit Unternehmen der Windbranche wollen sie ein Windenergie-Testfeld in günstiger Hanglage im Land errichten. Zurzeit ist man auf der Suche nach einem geeigneten Standort; das Umweltministerium hat finanzielle Unterstützung für das Forschungstestfeld signalisiert.

„Die Windenergieforschung ist eine praxisorientierte Forschung. Sie muss einen Zweck erfüllen“, sagt Po Wen Cheng. Dafür arbeitet er. Denn seine Maxime ist: „Technik soll dem Menschen dienen. Nicht andersherum.“