In Stuttgart-Gaisburg produziert eine Biogas-Anlage Kraftstoff aus den Abfällen eines Großmarkts. Wenn sich die Technik bewähre, sei das ein fast perfektes Verfahren, schwärmt der Umweltminister.

Stuttgart - Deutschlandweit landen jährlich rund 770.000 Tonnen Bioabfälle aus der Lebensmittelindustrie in der Abfalltonne oder in Kompostierungsanlagen. „Die darin enthaltene Energie geht meist ungenutzt verloren“, bedauert der Ingenieur Steffen Görner. Das Fraunhofer-Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik (IGB) in Stuttgart will das ändern und gemeinsam mit Partnern aus Forschung, Energiewirtschaft, Automobil- und Anlagenbau das große Energiepotenzial nutzen. Das Ziel des Verbundprojekts Etamax ist, die leicht vergärbaren Abfälle fast ganz in Biogas zu verwandeln, das als Kraftstoff verwendet werden kann.

 

Am Donnerstag wurde die Demonstrationsanlage auf dem Gelände des EnBW-Heizkraftwerks in Stuttgart-Gaisburg in Betrieb genommen. „Wir wollen unser Bundesland zu einer Musterregion für die innovative Bioabfallnutzung und -verwertung weiterentwickeln“, sagte Franz Untersteller, Umweltminister des Landes. Dafür brauche es aber die bestmöglichen Technologien, die den „höchstmöglichen energetischen und stofflichen Ertrag aus den Bioabfällen herausholen“. Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung mit 4,3 Millionen Euro geförderte Forschungsvorhaben wage technologisch einen großen Schritt. „Wenn sich das Verfahren bewährt, haben wir die nahezu perfekte Biogasanlage“, so Untersteller.

„Wir verwerten die Obst- und Gemüseabfälle, die täglich in großen Mengen am Stuttgarter Großmarkt anfallen“, erklärt die IGB-Projektleiterin Ursula Schließmann. Der Umschlagplatz für Produkte aus Landwirtschaft und Gartenbau, der das ganze Land Baden-Württemberg versorgt, liegt nur hundert Meter entfernt. Etwa 3000 Tonnen Biomüll fallen dort im Jahr an. „Unsere Demonstrationsanlage verarbeitet zunächst 160 Tonnen Biomüll im Jahr, das sind etwa 500 Kilogramm am Tag“, sagt der IGB-Ingenieur Görner. Das Ziel sei, ein effizientes Verfahren zu entwickeln. Optimal seien kleine, bedarfsgerechte Anlagen, die – wie hier – dort stehen, wo auch der Müll anfällt.

Ein Problem: Obst und Gemüse wechseln mit der Saison

Allerdings werden besondere Anforderungen an den Müll gestellt. Die Obst- und Gemüseabfälle sind von Saison zu Saison unterschiedlich. Das müsse durch eine intelligente Prozesssteuerung aufgefangen werden, sagt Görner. „Zunächst zerkleinern wir das Obst und Gemüse so weit, wie der Prozess es benötigt, und tragen so wenig Energie wie möglich ein.“ Ein Häcksler wurde eigens dafür konstruiert. Dann werden die Rohstoffe im richtigen Verhältnis gemischt. Im Fermenter fault das Gemenge anschließend ohne Sauerstoff und produziert dabei Biogas. Etwa 90 Prozent der organischen Feststoffe werden in etwa acht Tagen vergoren. „Das ist eine bedeutende Steigerung gegenüber konventionellen Biogasanlagen“, so der Ingenieur.

Bei jeder Vergärung fallen Reststoffe an, die nicht weiter abgebaut werden können. Damit harte Kerne und andere Gärrückstände ebenfalls zu Biogas werden, entwickelte das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) gemeinsam mit dem Schweizer Paul-Scherrer-Institut ein neues Verfahren. Bei einem Druck von 150 bar und einer Temperatur bis 500 Grad werden die Reststoffe verdampft. Es entstehen die gleichen Produkte wie bei der Vergärung: Methan und Kohlenstoffdioxid. Übrig bleibt nur etwas Asche.

Da manche Obstsorten einen sehr hohen Wasseranteil haben, Melonen bestehen beispielsweise fast nur aus Flüssigkeit, wird das anfallende Gärwasser mit einem Filter abgetrennt. Die Feststoffe werden zu Biogas vergoren, und auch das Filtratwasser selbst ist wertvoll, denn in ihm sind noch viele Nährstoffe enthalten.

Damit werden Algen gezüchtet, die dann später ebenfalls als Biomasse vergoren werden können. Algen sind anspruchslos, benötigen wenig Platz, wachsen schnell und machen Nahrungsmitteln keine Konkurrenz. „Dank eines Fotobioreaktors, der am IGB entwickelt wurde, ist die Gewinnung von Energie zum Beispiel in Form von Algenöl und Restbiomasse für die Vergärung effizient möglich“, berichtet Ursula Schließmann. In den Reaktoren wachsen Algen nur mit Sonnenlicht, Nährstoffen und Kohlendioxid heran. Das CO2 stammt aus der Biogasanlage selbst.

Das Biogas lässt sich noch veredeln

In der Pilotanlage können pro Tag durchschnittlich drei Kilogramm Algen produziert werden. Im Jahr binden sie eine Tonne CO2. Etwa 800 Kubikmeter Biogas könnten aus einer Tonne Algenmasse zusätzlich erzeugt werden. „Wir suchen nun nach der richtigen Alge, die im Rauchgas und den in Mitteleuropa jahreszeitlich schwankenden Licht- und Temperaturverhältnissen wachsen und gedeiht“, sagt Schließmann. Bisher haben die Forscher die Grünalge Chlorella vulgaris im Blick, die viel Öl produziert – etwa so viel wie Raps und Sonnenblumen.

Das produzierte Biogas lässt sich noch veredeln, indem man das darin enthaltene Kohlendioxid abtrennt und den Methananteil von 85 auf 95 Prozent erhöht. Das aufbereitete Biogas wird unter Hochdruck verdichtet und in einer Gastankstelle gespeichert. Dieser Anlagenteil wurde von der EnBW geplant und umgesetzt. Gemeinsam mit der Daimler AG wird im Projekt die Biogaskraftstoffqualität für die mobile Anwendung verbessert.

„Wir nutzen die Chance, den regenerativen Kraftstoff in der Praxis mit unseren Versuchs- und Entwicklungsfahrzeugen zu testen“, sagt Christian Mohrdieck aus der Entwicklungsabteilung von Mercedes-Benz Cars. Die Erfahrungen, die das Unternehmen aus dem Projekt ziehe, würden bei der Entwicklung neuer gasbetriebener Fahrzeuge helfen. Franz Untersteller ist zuversichtlich und hofft, dass im „Feinstaub geplagten Stuttgart schon in ein paar Jahren die ersten mit Biogas aus Abfällen angetriebenen Fahrzeuge herumfahren“.

Kraftstoff für 300 Kilometer am Tag

Produktion
Biogas, eine Mischung aus energetisch nutzbarem Methan und Kohlendioxid, entsteht bei der anaeroben Vergärung organischer Masse. Aus 500 Kilogramm Biomüll erzeugt die Etamax-Anlage 20 bis 25 Kubikmeter Biogas am Tag.

Treibstoff
Wenn diese Menge Biogas als Kraftstoff für Fahrzeuge mit Erdgasantrieb aufbereitet wird, kann das Fahrzeug damit rund 300 Kilometer weit fahren.

Rohstoffe
Der Biomüll muss eine gleichbleibende Qualität haben. Es wird zwar nur Obst und Gemüse verwendet, doch die Abfälle sind saisonal sehr unterschiedlich. Die einen Früchte enthalten viel Wasser, süße Früchte sind energiereich. Gras oder Sträucher, die oft in Biogasanlagen landen, werden nicht verwendet.